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WIEN / Volkstheater:
EINSAME MENSCHEN von Gerhart Hauptmann
Premiere: 29. September 2021
Man darf die Hoffnung nicht aufgeben. Nachdem die ersten drei Premieren der Ära Kay Voges am Volkstheater nur ziellose „Regietheater“-Spielereien geboten haben, erweckte die vierte Premiere erstmals den Eindruck, dass sich alle Beteiligten hier ehrlich für das Stück interessiert hatten, um das es ging.
Und dieses ist ausgerechnet von Gerhart Hauptmann (1862-1946), der als Dramatiker einst mit den „Webern“ berühmt wurde und 1912 den Literatur-Nobelpreis erhielt. Und heute kann man bestenfalls alle heiligen Zeiten seinen „Ratten“ auf der Bühne begegnen, der Rest seines umfangreichen dramatischen Werks fiel buchstäblich der Vergessenheit anheim.
Nun hat das Volkstheater „Einsame Menschen“ hervorgeholt, sein drittes Stück, 1891 in Berlin uraufgeführt, also gut 130 Jahre alt, eine Geschichte, der man schon der gestrigen Sprache wegen kaum Chancen eingeräumt hätte. Und siehe da – wenn man sich auf das Stück einlässt, wie es das sechsköpfige Ensemble tat, dann funktioniert es. Wie wirr die Entstehungsgeschichte der Produktion war, kann man nicht einmal spekulieren, wenn außer Jan Friedrich noch Direktor Kay Voges und das Ensemble selbst unter „Regie“ angeführt wird und niemand für das Bühnenbild verantwortlich zeichnet, das links und rechts von einer riesigen, greifenden Hand begrenzt wird, undefinierbare Haufen von irgendetwas zeigt und mit viel Nebel arbeitet. Und dabei beweist, dass man auch für einen an sich im bürgerlichen Milieu spielenden Fünfakter keine Tische und Sessel braucht, sondern nur die Intensität der Darsteller.
Das Stück wurde „zugerichtet“, wie es auch Martin Kusej immer tut, keine Akte und Abfolgen gespielt wie vom Dichter vorgesehen, sondern in Kurzszenen gehackt, die auf die jeweilige Aussage abzielen. Lichtzerhacker und Musik trennen die Szenen, in zwei Stunden ist die Geschichte erzählt – und das sehr überzeugend.
Denn Situationen wie diese gibt es, bei aller Liberaliät der Bobo-Schichten der Gesellschaft, zweifellos noch heute. Dass ein junger Mann an seinen bürgerlichen Fesseln zerrt, wenn er in seiner braven Ehefrau (die sein Kind hat) nicht die intellektuelle Gefährtin findet, und dass er diese, wenn sie auftaucht, „auch“ haben will und trotzig nicht versteht, warum das nicht gehen sollte – das ist mit Sicherheit kein Einzelfall. Darum geht es zentral in dem Stück, das der junge Hauptmann schrieb, der im Lauf seines Lebens immer wieder zwischen zwei Frauen und damit in den Zwiespalt zwischen gesellschaftlichen Anforderungen und privaten Wünschen und Begierden geriet.
Ein gelungenes Drama zeichnet sich nicht zuletzt dadurch aus, dass seine Figuren in sich stimmen, jede für sich und in Bezug auf die anderen, und das ist hier der Fall – für jede einzelne, wobei man feststellen konnte, dass hier exzellente, starke Schauspieler auf der Bühne standen, exakte, klare Sprecher ihres Textes, dem sie die größtmögliche Selbstverständlichkeit verliehen.
Nick Romeo Reimann ist der junge Johannes Vockerat, eingeschnürt zwischen einer wohl meinenden Mutter und einer liebenden Gattin, seiner „Pflichten“ bewusst und dennoch hingerissen zu einer jungen Frau, die sein geistiges Niveau hat. Reimann trotzt, argumentiert, verliert auch mal die Nerven und bleibt dabei gänzlich unpathetisch, keine Show, erstaunliche Echtheit.
Eine Prachtleistung liefert Anke Zillich als seine Mutter, die für jene Menschen steht, die sich total an einen anderen (in diesem Fall den Sohn) klammern, es aus ganzem Herzen gut meinen, aber nie auf die Idee kommen können, dass das, was sie für unumstößlich richtig halten, für andere nicht gelten muss. Wie sie in bekannter, bewährter Mutter-Manier manipuliert, damit die Dinge in ihrem Sinn laufen, ist auch ein Gustostück.
Anna Rieser, die als Johannes’ Gattin Käthe lange Zeit bloß mit seinem Kind im Arm dastehen muss, weil das die Funktion ist, die man ihr im Leben zugesteht, lernt aus dem Beispiel der Rivalin und verändert sich entsprechend, bis sie ihr auch optisch ähnlich sieht. Erst in der Konfrontation mit der Intellektuellen bricht ihr Minderwertigkeitskomplex über mangelnde Bildung hervor. Nicht im Stück vorgesehen, aber überzeugend dafür, was mit ihr passiert, ist der körperliche Kampf, das Geraufe, das sie sich mit ihrem Gatten am Ende liefert, bevor er sich doch das Leben nimmt (was man vielleicht gar nicht mit bekommt, wenn man es nicht weiß).
Die Konkurrentin Anna Mahr (eine Gestalt wie die vielen seltsamen, herausfordernden Ibsen-Frauen) ist Gitte Reppin, anfangs extrem exzentrisch, später in der seltsamen Bürgerlichkeit des Hauses Vockerat eintauchend, in dem sie von den Frauen, die die Gefahr genau wittern, nicht gewünscht wird.
Die Bürgerlichkeit vertritt Stefan Suske als Vater optimal, weil seelenruhig in seiner Überzeugung ruhend, kein schäumender Patriarch, aber ebenso hart, wenn man seinen Wünschen nicht entspricht.
Und da ist schließlich noch Claudio Gatzke als der Künstler Braun, der als Gesprächspartner für Johannes sofort aussortiert wird, als die Frau auftaucht, der aber im Gegensatz zu seinem Freund einfach ein Gewissen hat.
Es ist ein bemerkenswertes Zusammenspiel, das die Darsteller liefern, ein psychologisches Mosaik, das sie bauen, wobei sie letztlich nicht nur einen interessanten Theaterabend liefern, sondern auch einiges für die Reputation dieses vergessenen Hauptmann-Stücks tun.
Renate Wagner
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Volkstheater
29. September 2021
EINSAME MENSCHEN
von Gerhart Hauptmann
Johannes Vockerat NICK ROMEO REIMANN
Käthe Vockerat, seine Frau ANNA RIESER
Frau Vockerat, seine Mutter ANKE ZILLICH
Anna Mahr GITTE REPPIN
Braun CLAUDIO GATZKE
Herr Vockerat STEFAN SUSKE
Regie ENSEMBLE / JAN FRIEDRICH / KAY VOGES
Kostüm VANESSA RUST
Musik FELIX RÖSCH