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WIEN / Volkstheater: DREI SCHWESTERN

25.09.2021 | KRITIKEN, Theater

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c Volkstheater / Nikolaus Ostermann

WIEN / Volkstheater: 
DREI SCHWESTERN
Von Susanne Kennedy nach Anton Tschechow
Premiere: 22. September 2021,
besucht wurde die zweite Vorstellung am 25. September 2021

Als vor eineinhalb Jahren der erste Lockdown ausbrach und vor allem die Theater- und Opernwelt in Schockstarre stürzte, begannen viele Theater- und Opernhäuser (und das Publikum war sehr, sehr dankbar!!!), ihre Aufzeichnungen als Streams ins Netz zu stellen. Reicher hätte man gar nicht beschenkt werden können. Die Berliner Schaubühne grub die „Drei Schwestern“-Inszenierung von Peter Stein aus dem Jahre 1986 aus, mit Edith Clever, Jutta Lampe und Corinna Kirchhoff. Dreieinhalb Stunden brauchte Stein, um jeden Spinnenfaden des Nervengewebes dieser verlorenen Seelen zusammen zu knüpfen. Mag da vielleicht ein wenig Staub darauf gelegen sein, so war es doch ein Beispiel genialer, gleicherweise gewisserhafter wie inspirierter Interpretationskunst.

Die Münchner Kammerspiele hingegen, die ihre Dieter Dorn-Tradition längst zum Teufel geworfen haben, zeigten Susanne Kennedys „Drei Schwestern“ aus dem Jahr 2019, eineinhalb Stunden, und deutlicher hätte man nicht machen können, wie die Theaterwelt, wie das Verständnis und die Form sich in diesen mehr als dreißig Jahren verändert haben. Bloß – es ist ein Weg, den ein Publikum mit anderen ästhetischen Voraussetzungen nicht mitgehen will. Nicht, weil man denkfaul, altmodisch, sowieso hinterwäldlerisch ist. Sondern weil man nur des Kaisers neue Kleider sieht, und der gute Mann ist – nackt.

Dass Kay Voges nun diese Inszenierung nach Wien geholt hat, beweist neuerlich (was man ohnedies schon weiß), dass er – sicher in Übereinkunft mit der Kulturstadträtin, die ihn berufen hat – entschlossen ist, diese Art von Theaterverständnis dem Publikum des Hauses mit Gewalt aufzuzwingen. (Ob er die Bude damit leerspielt, ist ja egal, die Stadt Wien zahlt.)

Was zeigt nun Susanne Kennedy, zugegebenermaßen „nach Tschechow“, wie es heißt. Nun, sicher nicht „Drei Schwestern“, sicher nicht ihre Schicksale, höchstens Bruchstücke von Tschechows Text (ein Dutzend Sätze vielleicht?), und im übrigen – ja was? Die mit Gesichtsmasken zu absoluter Leere verfremdeten Darsteller (die, wenn sie sprechen, vom Tonband kommen angeblich mit fremden Stimmen) wirken, als wären sie Geschöpfe aus einem Science-Fiction Film. Was die sich schier endlos dahinwälzenden Kurzszenen besagen, in denen es jede Menge akustisch Unverständliches, Englisch zitiertes und Pop-Musik gibt, wissen die Götter, und man ist immer dankbar, wenn eine Stimme „Cut“ sagt und wieder ein Stück Seltsamkeit beendet.

Natürlich kann man all das interpretatorisch hochjubeln, wenn man bei dem Spiel („Ich bin ein moderner, aufgeschlossener Mensch, natürlich verstehe ich, was da gemeint ist“) mitmachen will. Erklärungshilfen werden nebenbei gestreut. Das ist „die Simulation einer Simulation einer Simulation“, hört man einmal (aha, und was bedeutet das auf Deutsch?), im Pressetext ist von „Perspektivenwechsel“ die Rede (das ist ja wohl nicht zu leugnen), die Zeit ist ein Kreis und alles wiederholt sich… ja leider. Ja und?

Man will auch nicht bewundern, wie viele technische, pardon digitale Kunststücke beschworen werden, wenn in dem Bühnenausschnitt auf der Bühne Darsteller und Videoprojektionen zu verschmelzen scheinen. Dass die Leute an den Schaltpulten ihren Job verstehen, ist ja eigentlich selbstverständlich.

Viel mehr wäre man am Theater nicht an der digitalen Kunstwelt interessiert, die uns ohnedies alle auffressen wird, sondern an den –  Menschen. Aber da haben Regisseure wie Frau Kennedy (und auch noch einige andere) den Schauspielerberuf ohnedies sinnlos gemacht. Denn ohne Gesicht und Sprache herumzustehen (oder sich auf den Boden zu flätzen) – dafür ist man einst zum Theater gegangen? Um bis zur Unkenntlichkeit zur Funktion eines willkürlichen Regiewillens zu werden? Ist die Not („Die Kunst geht nach Brot“) so groß, dass man alles mit sich machen lässt?

Ein Vorschlag zur Güte: Susanne Kennedy möge machen, erfinden, kreieren, was immer sie will. Und dann ihre Performances (vorgeschlagener Titel vielleicht: „Hinter dem Mond“?) an Festivals wie die Wiener Festwochen verkaufen, die einst ein wunderbares Theaterfest waren, sich aber mittlerweile ein ganz anderes Publikum gesucht haben (und Theaterfreunde mit „realen“ Bedürfnissen vertrieben haben). Aber sie soll nie, nie, nie den Namen „Tschechow“ im Zusammenhang mit ihrer Arbeit gebrauchen und nie damit in ein Theater gehen, wo ein Publikum kindischerweise erwarten könnte, „Drei Schwestern“ zu sehen. Dieser Missbrauch von künstlerischem Eigentum ist einfach nicht zu vertreten. Hier die Stücke, dort die „Interpretationen“, und es gibt nicht einmal eine Brücke zwischen den beiden. Das haben die Dichter nicht verdient. Die Interpreten sollen auf ihren eigenen Hochzeiten tanzen.

Zweierlei sei noch angemerkt: Keine Ahnung, wie viele Plätze das Volkstheater nach allen Umbauten noch hat, in Urzeiten waren es 1900, heute mögen es noch tausend sein. Bei der zweiten Vorstellung saßen (großzügig gerechnet) vielleicht 50 Leute unten und noch eine Handvoll am Balkon (die Galerie hatte man gar nicht geöffnet) – eine Auslastung von schätzungsweise bestenfalls zehn Prozent. Wenn das kein Publikumsvotum ist. Und für wen macht man – ich glaube, ich habe es vergessen – eigentlich Theater? Nun, das Publikum darf „nein“ sagen – und es tut es.

Aber – im „Standard“ behauptet der Kritiker, „Kennedys Theater ist, man muss das so deutlich sagen, genial.“ Und dass sie künftig öfter hier arbeiten wird, nennt er eine „goldrichtige Entscheidung“. Auch das Feuilleton hat daran mitgewirkt, dass unsere Theaterwelt heute so aussieht, wie sie aussieht…

Renate Wagner

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Volkstheater
DREI SCHWESTERN
von Susanne Kennedy nach Anton Tschechow

mit
Marie Groothof
Eva Löbau
Anna Maria Sturm
Benjamin Radjaipour
Martina Spitzer
Uwe Rohbeck
Claudio Gatzke
Susanne Schöndorfer
Birgit Stimmer

Regie Susanne Kennedy
Bühne Lena Newton
Kostüm Teresa Vergho
Sounddesign und Voice-Montage Richard Janssen
Lightdesign Rainer Casper

 

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