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WIEN / Volkstheater: DIE UNBEKANNTE AUS DER SEINE

Radikal und ratzeputz

12.04.2024 | KRITIKEN, Theater

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Fotos: Volkstheater

WIEN / Volkstheater:
DIE UNBEKANNTE AUS DER SEINE
Komödie in drei Akten und einem Epilog
von Ödön von Horváth mit Texten nach Christine Lavant
Premiere: 23. März 2024,
besucht wurde die Vorstellung am 11. April 2024 

Radikal und ratzeputz

Ödön von Horvath, der einst so viel Gespielte, droht unmodern zu werden. Seine „Unbekannte aus der Seine“ hat man in Wien seit mehr als einem Vierteljahrhundert nicht gesehen. Damals, im September 1997, übrigens auch im Volkstheater. Nun in der Welt von Kay Voges steht das Stück zwar angeblich am Spielplan. Aber man sieht so gut wie nichts davon. Man bekommt wieder nur eine „Inszenierung“, deren Zusammenhang mit dem Original kaum aufzudröseln ist.

Man muss sich allerdings nicht wundern – die vom Feuilleton viel bewunderte Anna Bergmann hat in Wien ja schon mehrfach gezeigt, was sie alles kaputt machen kann, etwa 2015 in der Josefstadt „Fräulein Julie“ (auch mit einem überbordenden Musikanteil wie hier). Horvaths „Unbekannte“ hat sie schon einmal inszeniert und damals, 2011 am Münchner Volkstheater, aus der berühmten mysteriösen Selbstmörderin „aus der Seine“ ein Mordopfer gemacht. Dabei sind die Femizide aus grausigem Anlass ja erst in den letzten Jahren so schaurig aktuell geworden.

Aber hier wird (abgesehen von Texten von Christine Lavant) noch so unendlich viel hinzugefügt und hinzugedichtet, dass man das Stück nicht mehr erkennt (zumal, wenn man es kennt)  – da wird radikal und ratzeputz herumgefuhrwerkt. Eine futuristische, totalitäre Zukunft, die Albert (von der Regisseurin zum Mörder der Unbekannten gemacht) dann als eine Art Nazi-Schergen zeigt. Eine gerade noch so lebendige Wasserleiche auf Riesen-Videoleinwand, dass sie kaum nachvollziehbare Texte der Lavant sprechen kann. Viel Regen, viel Musik und unendlich viel darstellerische und sonstige Exzentrik, die reiner Selbstzweck ist. (Ob sich Schauspieler gern im Wasser plantschend wälzen?)

Verloren geht Horvaths Sprache, die schließlich ein essentieller Teil seiner künstlerischen Identität ist, verloren gehen in der Schrille der Überzeichnung die kleinen, schäbigen, armseligen, teils auch wirklich armen Menschen. Verloren geht in den zwei pausenlosen Stunden kurz gesagt der ganze Horvath.

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Immerhin scheint Anna Bergmann ihre Adepten zu haben. Anders ist etwa nicht zu erklären, dass man Lucas Gregorowicz plötzlich auf der Bühne des Volkstheaters findet. Er ist zwar einst so unbemerkt an das Burgtheater gekommen, wie er wieder verschwunden ist, aber in der kurzen Zeit seiner Präsenz war er bemerkenswert. Was er hier spielen darf, wird nicht klar – nur ein verwirrter, blutbefleckter  Mörder (weil der Überfall schief ging und die Uhrmacherin – bei Horvath ist es ein Mann – getötet wurde?), viel mehr gibt das, was er zeigen darf, nicht her.

Noch eine Adeptin – Sona MacDonald, derzeit zugegebenermaßen in der Josefstadt grob unterbeschäftigt, kommt für Anna Bergmann ans Volkstheater, weil sie ihr offenbar für das singende Fräulein Julie, das sie in deren Regie in der Josefstadt spielen durfte, so dankbar ist. Im weißen Anzug steht sie wie ein Geist aus einer anderen Welt da, singt in ihrer souveränen Manier, was aber nichts daran ändert, dass man das so wenig braucht wie den ausgewalzten Kinderchor.  

Die „Unbekannte“ hätte man sich zarter vorgestellt als Birgit Unterweger, die im fleischfarbenen Body ihre gute Figur zur Schau stellt und jede Menge Energie verströmt. Starr und steif gibt Evi Kehrstephan Alberts Blumenhändlerin-Geliebte. Eine Handvoll Herren der Schöpfung wirken nicht wie von Horvath, sondern wie von Anna Bergmann. Take your pick.

Renate Wagner

 

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