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WIEN / Volkstheater:
DIE ROTE ZORA UND IHRE BANDE
nach dem gleichnamigen Roman von Kurt Held
Premiere: 22. September 2018
Noch bevor mit „Pippi Langstrumpf“ eine der sonst „verdächtigen“ Rothaarigen die berühmteste Kinderfigur der Welt wurde, hatte der deutsche, im Schweizer Exil lebende Autor Kurt Kläber die „rote Zora“ nicht erfunden, sondern auf einer Reise im damaligen Jugoslawien erlebt: Waisenkinder, die sich in der Gruppe durchschlugen. „Die rote Zora und ihre Bande“ erschien unter dem Pseudonym Kurt Held 1941 als „Erzählung aus Dalmatien für die Jugend“ (Pippi Langstrumpf zog erst 1945 nach, die Nöstlinger kam 1970 mit ihrer „Feuerroten Friederike“…)
Im Volkstheater setzt man nun auf die „Rote Zora“ als „Stück für alle von 7 bis 107“, und Regisseur Robert Gerloff bearbeitete und inszenierte in Richtung eines Kindermusicals, das drei Musiker am linken Rand der Bühne mit vielen lauten Klängen, teils Balkan-Folklore anklingen lassend, zuschütten (Musik: Imre Lichtenberger Bozoki).
Ideologisch ist das Stück schwer in den Griff zu bekommen. Die Waisenkinder, die von den großteils faschistoid gezeichneten Dorfbewohnern ausgegrenzt und verfolgt werden, hätten, so meinen sie, ein Recht auf ihre Raubzüge in Hühnerställe und Geschäfte, sie müssen ja von etwas leben. Wenn sie dann in Gestalt des Fischers Gorian ihren „guten Menschen“ finden, helfen sie ihm, sich gegen die Fischfangkollektive zu behaupten, die jeden freien Fischer aufkaufen und in die Unselbständigkeit zwingen wollen.
Das Ende des Buches unterscheidet sich vom Stück, das für die Erwachsenen in paar billige aktuell-österreichische Politwitzchen einbaut („Ich schweige jetzt einmal Kurz“), entscheidend. Bei Held werden die Jugendlichen schließlich von einzelnen Dorfmitgliedern aufgenommen, während heutzutage „Integration“ offenbar ein Schimpfwort ist, das mit Unterdrückung und Ausbeutung gleichgesetzt wird. Darum jubelt die Bande am Ende auch ihr Recht auf Selbstbestimmung ihres Lebens ins Publikum. Ja, und Nöstlingers „Feuerrote Friederike“, die einen kurzen Gastauftritt bekommt, sagt gleich, wie sie es sich vorstellt: „Eine Welt, in der diejenigen, die nichts arbeiten wollen, alles umsonst bekommen.“ Das ist doch wenigstens eine klare Aussage.
Die Unangepassten und die Außenseiter waren immer Liebkinder der Literatur und des Theaters, sie sind ja auch interessanter als die Braven – und für sie gelten auch andere Gesetze. Wenn die „bösen“ Gymnasiasten von Zoras Bande nicht minder verprügelt und getreten werden wie vice versa, ist das offenbar ganz in Ordnung. Und welche Aussage man nun mit der Geschichte mitnehmen soll, wird nicht klar. Aber Denken ist ohnedies nicht angesagt.
Denn Robert Gerloff hat den Abend auf extreme Lautstärke angelegt, Zora und ihre Bande sind ununterbrochen hüpfend und schreiend und kollektive Kampfes- und Siegesgesten zeigend unterwegs (und die Kopfmikrophone übersteigern das noch). Dagegen erlebt man die Dorfbewohner-Kapitalisten (sogar mit Hitler-Gruss) einfach als böse / blöde, und das Geschehen parodistisch-übersteigert, in Slapstick-Manier auf „kindergerecht“ (?) gepolt.
Hanna Binder, die der Regisseur am Volkstheater schon als Goethes Stella eingesetzt hat, bringt unter den signalisierenden roten Locken den nötigen Impetus mit, um Zoras Führungsqualitäten klar zu machen. Luka Vlatković als Branko, die männliche Zentralfigur, bleibt dagegen ebenso wie Bandenmitglied Duro (Tobias Resch) eher am Rande, während die üppige Lisa-Maria Sommerfeld (Bandenmitglied Pavle) durch eine schier unglaubliche „Röhre“ auffällt und Constanze Winkler (Bandenmitglied Nikola) durch ihre Vielseitigkeit: Sie spielt auch einen Hund und ist dann als Bürgermeistertochter gar nicht wieder zu erkennen…
Stefan Suske als der „gute Mensch“ Gorian ist der einzige wirklich überzeugende Sprecher an diesem Abend, wo es manchmal so sehr an Verständlichkeit fehlt, dass man sich fragt, ob auf der Bühne nicht Serbokroatisch gesprochen wird. Fast alle übrigen Darsteller spielen mehrere Rollen, wobei Steffi Krautz als der hässliche Kapitalist Karaman überzeugt. Offenbar fehlt es an männlichen Darstellern, denn auch Claudia Sabitzer schlüpft als Bäcker in eine Männerrolle. Parodistisch sind Gábor Biedermann als Gendarm, Günther Wiederschwinger als Bürgermeister – beide gleich töricht – unterwegs. Der finale Auftritt von Elizabeth Pritchard-Smith als feuerrote Friederike ist darstellerisch schlechtweg unzulänglich. Eine Handvoll böser Gymnasiasten verwandelt sich später in eine Handvoll lustiger Thunfische…
Dazu hat Ausstatterin Gabriela Neubauer eine durchaus stimmige, aufwendige Szenerie auf die Drehbühne gestellt, die den Dorfplatz, die Schloßruine, wo Zora und die Bande hausen, und das Haus des guten Fischers Gorian zeigt – samt Meereswellen und im zweiten Teil mit einem „Thunfische“-Ballett (Choreografie: Mirjam Klebel), das wirklich drollig ist. Das trägt schon einiges zur Wirkung des Abends bei, der vom Publikum unreflektiert begeistert aufgenommen wurde.
Renate Wagner