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WIEN / Volkstheater: DER WÜRGEENGEL

21.10.2022 | KRITIKEN, Theater

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Foto: Volkstheater

WIEN / Volkstheater:
DER WÜRGEENGEL
frei nach dem gleichnamigen Film von Luis Buñuel
Premiere: 14. Oktober 2022,
besucht wurde die zweite Vorstellung am 20. Oktober 2022 

Also, an das Original, den Film „El Ángel Exterminador“ von Luis Buñuel, denkt man besser nicht. Das große surreale Gesellschaftsporträt von 1962, das nicht altern kann, weil seine Form zeitlos ist, war die Vorlage für die Oper „The Exterminating Angel“ von Thomas Adès, die um einiges näher an der Handlung blieb als die Fassung, die das Volkstheater nun zeigt, ohne dass man klar machen würde, wer dafür verantwortlich ist. Was soll’s – das Original erkennt man ohnedies kaum.

Regisseur Sebastian Baumgarten will an der Geschichte der „Eingeschlossenen“ jede Menge aktueller Probleme von gesellschaftlicher Abschottung diskutieren, wie man nachlesen kann, aber in der Realität des Theaterabends vermittelt sich nichts davon. Was man in erster Linie bekommt, ist ein Schauerlebnis.

Man hat den deutschen Installationskünstler Tobias Rehberger als Ausstatter gewonnen, und dieser hat eine faszinierend irreale Welt auf die Bühne gestellt, die sich an der Decke vielfach spiegelt, die in viele Farben, lila und rot, blau und grün, getaucht und immer wieder von Videos überzogen wird, die das ganze Gebäude zu zerstören scheinen. Das wirkt eine gewisse Zeit, sobald man aber merkt, dass der Abend nicht viel mehr zu bieten hat, ermüdet es nur – weil es auch immer dasselbe ist.

Die Bühne dreht sich langsam, zehn Schauspieler bewegen sich darauf. Nicht nur, dass man durch die dauernde Bewegung und die Farbdramaturgie einzelne Personen kaum erkennt, sie alle spielen auch noch mehrere Rollen, was die Unübersichtlichkeit potenziert. Die Geschichte der Eingeschlossenen, ihre Aktionen, Ausbruchsversuche, Regignationen teilen sich nicht mit (und hier wäre wahrlich etwas zu erzählen gewesen!), die skurrilen Zwischenspiele stammen zwar von Luis Buñuel selbst (ein Herumgeblödle mit „Hamlet“), sind aber sinnfrei einzig zur Irritation eingebaut worden, und zu schlechterletzt fehlen vom Original ganz wichtige Elemente wie die „Außenwelt“, die die Eingeschlossenen bei Luis Buñuel neugierig beäugt.

Wenn nach gut 100 Minuten sich die „befreiten“ Darsteller (die man gar nicht einzeln nennen kann, weil man sie kaum identifiziert) zum Schlußapplaus aufstellen, ist Erleichterung das einzige Gefühl im (in der zweiten Vorstellung schwach besetzten) Zuschauerraum. Dass man aus dem Gebotenen bei aller handwerklichen Virtuosität gedanklichen Gewinn gezogen hätte, kann man nicht behaupten.

Was war’s letztendlich? Ein auf den ersten Blick und noch eine zeitlang tolles Bühnenbild, das aber nicht abendfüllend ist. Ein Regisseur, der sich dem Stil des Hauses und seines Direktors angeschlossen hat – Form vor Inhalt, schrecklich viel Leerlauf, mit Verständnis braucht man das Publikum nicht zu belasten. Kay Voges sagte in einem „Standard“-Interview, er könne „dreimal so viele Abos wie noch im Vorjahr“ vorweisen. Wenn er seinem Publikum viele Abende wie diesen vorsetzt, wird er die Abonnenten bald wieder los sein.

Renate Wagner

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