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WIEN / Volkstheater: DER NAME

Die liebe Familie…

26.10.2024 | KRITIKEN, Theater

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Fotos : Volkstheater / Marcel Urlaub

WIEN / Volkstheater: 
DER NAME von Jon Fosse
Premiere: 25. Oktober 2024 

Die liebe Familie…

Bedenkt man, mit welch oft triefendem Gefühlsüberschwang in Europa und Amerika Familiengeschichten gemeiniglich aufgeladen werden, so zeichnet Jon Fosse, Norwegens Literatur-Nobelpreis-Träger des Jahres 2023, in seinem Stück „Der Name“ ein ganz anderes Bild. Gut, wir sind in Skandinavien, vielleicht ist nicht nur das Klima, sondern sind auch die Menschen kälter. Oder sie nehmen sich nicht die Mühe, ihr Verhalten klebrigen Fernsehserien anzupassen, sondern zeigen ihre Gleichgültigkeit den Mitmenschen gegenüber, auch wenn es Familienmitglieder sind, unverhohlen. Sie zerbrechen sich nicht einmal den Kopf darüber, wie sie sind – und warum.

„Der Name“ ist fast ein Vierteljahrhundert alt, im Jahr 2000 wurde das Stück  an der Berliner Schaubühne und bei den Salzburger Festspielen gezeigt und begründete Fosses Ruhm als sperriger Dramatiker. Volkstheater-Direktor Kay Voges, angeblich immer fasziniert von dem Werk, hat es in seiner letzten Spielzeit als Leiter des Hauses noch hier auf die Bühne gebracht – als seine letzte Wiener Inszenierung auch.

„Familie“ ist der abgegriffene Wunderbegriff unserer Gesellschaft, den jeder, der auf sich hält, beim Interview als „Wichtigstes in seinem Leben“ bezeichnen wird. Vater und Mutter in Fosses Stück, die irgendwo auf einer windigen norwegischen Insel leben, machen sich hingegen gar nichts aus einander. Und schon gar nicht etwas aus ihren Kindern, was die Töchter wie verloren durchs Leben wanken lässt. Eine von ihnen kommt hochschwanger heim, ihren Freund und Kindesvater im Schlepptau. Sie haben kein Geld, wissen nicht, wohin, da sucht man bei den Eltern Unterschlupf, auch wenn man einst hier weg ging, weil man es nicht ertragen hat. Dabei ist die zentrale Figur der Schwangeren hier nicht das bemitleidenswerte Opfer, sondern eine junge Frau, die mit Gewalt und Bösartigkeit nach Aufmerksamkeit verlangt und umso böser wird, da sie diese nicht erhält… Wie wenig sie auch mit ihrem Freund gemeinsam hat, zeigt sich in der Szene, da sie nach einem Namen für das Ungeborene suchen  und offenbar nichts von einander wissen.

Was nun folgt sind beklemmende, faszinierende eindreiviertel Stunden der Kommunikationslosigkeit, wo niemand auch nur versucht, so etwas wie elementare Manieren zu zeigen, wenn man die Ankömmlinge in Not so gut wie nicht wahrnimmt. Der Vater gibt der Tochter Geld, wohl in der Hoffnung, dass sie bald wieder geht (freikaufen nennt man das), die Mutter flüchtet krank und ratlos bei jeder Gelegenheit ins Schlafzimmer, und wenn die daheim lebende Tochter auch versucht, die Schwester und deren Freund zum Kartenspielen aufzufordern, damit man etwas gemeinsam tut  – es klappt nicht. Keiner schert sich um den anderen. Und man wird als Zuschauer das Gefühl nicht los, dass genau das in vielen Familien passiert – als Gegenposition dazu, über einander zu klatschen und zu tratschen, Mitgefühl zu zeigen (oder zu heucheln) und einander als „liebe Familie“ penetrant auf die Nerven zu gehen…

Kay Voges will, wie er in einem Interview (im Programm-Folder) sagt, an diesem Stück vor allem die „Musikalität“ bewundert haben. Nun, inszeniert hat er sie jedenfalls nicht. Vielmehr gibt er dem Stück alle Sperrigkeit, alle menschlichen Brüche, die der richtige schonungslose Umgang mit dem Thema verlangt. Er geht sogar noch weiter, er überträgt die Dysfunktionalität der Familie auch auf das Bühnenbild (Michael Sieberock-Serafimowitsc bietet keinerlei skandinavische Noblesse), das immer wieder gewissermaßen zusammenbricht, die Lichter flattern, die Geräusche verheißen Untergang. Hier übertreibt der Regisseur allerdings, weniger wäre mehr. Trotzdem funktionieren Stück und Inszenierung im Gleichklang.

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Anna Rieser gibt die schwangere Tochter, die spürt., dass es nirgends einen Platz für sie gibt, und die mit Emotionalität  reagiert, ohne in konventionelle Theaterverzweiflung zu verfallen. . Thomas Dannemann als Vater scheint der Widerstand gegen alle und alles ins Gesicht geschrieben. Birgit Unterweger als Mutter ist spürbar nicht von dieser Welt. Irem Gökçen als Tochter versucht, ihre verlorene Seele zu verbergen. Nick Romeo Reimann als hereinschneiender Jugendfreund ist normal genug, um sich bald wieder aus dem Staub zu machen.

Und da ist noch Fabian Reichenbach als der Kindesvater, der sicher ohne Erwartungen in diese Familie kommt, aber solchen Grad der Nichtbeachtung vielleicht doch nicht erwartet hat. Das Staunen und die wunderbare Traurigkeit, mit der er das Geschehen ringsum beobachtet, führen immer wieder zu den stärksten Eindrücken des starken Abends.

Hätte Kay Voges uns öfter derart „ehrliches“ Theater geboten, man hätte ihn weniger oft (als „Vernichter des Volkstheaters“) zum Teufel gewünscht.  Aber jetzt ist es zu spät. Immerhin ein großer, verdienter Premierenerfolg.

Renate Wagner

 

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