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WIEN / Volkstheater:
DER MENSCHENFEIND von Molière
Premiere: 1. Oktober 2016,
besucht wurde die zweite Vorstellung am 2. Oktober 2016
Es geschehen noch Zeichen und Wunder. Gerade im Volkstheater, wo man lange Zeit seines Lebens als Theaterbesucher nicht froh wurde, findet sich auf einmal ein (junger!) Regisseur, der vor einem Werk Respekt hat und dem es außerdem schier mühelos gelingt, es aus einer Distanz von 350 Jahren (!) zu uns herzuholen, als wär’s ein Stück von uns. Nicht schlecht als Leistung von diesem 24jährigen Felix Hafner. Wenn er es auch mit dem „Menschenfeind“, also einem der besten Stücke Molières zu tun hat. Wie man dergleichen nichtsdestoweniger ruinieren kann, hat zuletzt in Wien 2002 Günter Krämer mit Helmuth Lohner an der Josefstadt gezeigt…
Von allen Archetypen Molières – der Geizige, der Eingebildete Kranke – tun wir uns mit dem Misanthropen Alceste nicht zuletzt deshalb am leichtesten, weil er nicht in ein Milieu der Rest-Commedia dell’arte eingebettet ist. Hier gibt es als Rahmen eine damals (und, wie man sieht: auch heute) echte Gesellschaft. Was sich einst am Hof des Sonnenkönigs drängelte, sind heute die Tussis und Bussi-Bussis der „Seitenblicke“-Gesellschaft. Als ob sie eins zu eins abgekupfert wären in ihrer Verlogenheit, Intriganz, Oberflächlichkeit, Gemeinheit, Promiskuität. Jeder umarmt jeden und beugt sich zur Seite, um Schlechtes über ihn zu sagen – so gehört man „dazu“.
Mitten drin Alceste, den das – pardon, es so auszudrücken – ankotzt. Zurecht. Man kann persönlich nur, wenn man nicht einer der „anderen“ ist, auf seiner Seite sein. Aber Molière spielt hier virtuos das große Spiel der Dialektik: Auch wer recht hat, macht sich lächerlich, wenn er mit Kanonen auf Spatzen schießt. Am Ende bleibt der, der ein „Charakter“ sein sollte (und sich dafür hält), einfach als Sturkopf zurück. Er hat schon recht. Aber er hat keine Chance…
Zweierlei Einschränkendes sei zu der Produktion des Volkstheaters vorausgeschickt. Erstens ist es zwar goldrichtig, sich der Molière’schen Herausforderung der gereimten Alexandriner zu stellen (Übersetzung von Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens) – das ist eine glatte, elastische Sprache, die die Künstlichkeit von Milieu und Menschen reflektiert, aber dem Geschehen zweifellos auch eine gewisse Eleganz verleiht. Bloß – kein einziger Darsteller auf der Bühne ist der hohen Herausforderung dieses Sprechduktus gewachsen. Besonders schlechte Sprecher hat man im Badora-Ensemble immer wieder festgestellt: Hier bringen sie sich selbst um ihre Wirkung, wenn sie immer wieder über ihre mangelnde Technik stolpern.
Lukas Holzhausen, Evi Kehrstephan
Und zweitens: Wie kann man in einem Ensemble, das mit Günter Franzmeier die Idealbesetzung des Alceste zur Verfügung hätte, die zentrale Rolle mit dem trocken-nichtssagenden Lukas Holzhausen besetzen? Nichts an ihm ist interessant, kontrovers, er ist weder tragisch noch komisch. Er nimmt dem Abend sein Zentrum.
Die anderen, von Werner Fritz heutig, dabei durchaus komisch stilisiert gekleidet, sind besser, vor allem Evi Kehrstephan als Célimène. Die Dame ist zwar eine Gesellschaftspflanze übelster Ordnung (unter der Maske unschuldig-blonder Hübschheit), aber sie lacht die Männer, die rund um sie kreisen, die ganze Zeit mehr oder minder aus. Man fragt sich, ob wie wirklich mitspielt, oder ob sie den Tanz der Eitelkeiten nur beobachtet.
Besondere Kraft entwickelt sie, wenn eine andere weibliche Kraft ihr entgegenkommt: Der Regisseur hat den Streit zwischen ihr und Arsinoé (die hoch giftige Birgit Stöger) zu einer Schlacht mit kleinen Kuchen ausgeweitet: So künstlich das auch wirkt, die beiden kriegen es hin. Und all die Galle, die sie gegen einander versprühen, auch.
Mögen die anderen zu „brav“ sein, so realisieren sie doch ihre Figuren und das Stück, und das ist wichtiger, als möglicherweise überhebliche und zusammenhanglose Regieideen zu realisieren. Und einiges Sinnhafte ist Felix Hafner in dem Bühnenbild von Paul Lerchbaumer auch eingefallen. Da ist die Treppe, die die Bühne beherrscht, und zum Laufsteg wird – immer wieder marschieren sie auf und ab, dieser Mitglieder einer „Gesellschaft“, mit dem penetranten „Cheese“ ins Publikum, als wären da die ersehnten Pressefotografen, mit dem hungrig-starren Blick, der signalisiert: Erkennt Ihr mich auch? Ich bin doch der/die XY! Morgen werdet Ihr mich in den „Seitenblicken“ sehen! Das bringt einen eigenen körpersprachlichen Habitus mit, der hier perfekt vermittelt wird.
Und im übrigen würden die Darsteller ihre Rollen noch stärker und schärfer finden, wären sie nicht so damit beschäftigt, den Text zu bändigen. Wischiwaschi-Inszenierungen von Wischiwaschi-Stücken machen diese Defizite nicht sonderlich kenntlich. Aber kaum steht man vor einer echten Anforderung, wird schon klar, wer sein Handwerk beherrscht und wer nicht.
Immerhin: Das Stück war nicht nur kenntlich, es kam auch an. Das Publikum der zweiten Vorstellung, ein Sonntagnachmittag, zeigte sich ehrlich angetan. So ehrlich, wie der Regisseur mit Molière umgegangen ist.
Renate Wagner