Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIEN / Volkstheater: DER GUTE MENSCH VON SEZUAN

13.10.2019 | KRITIKEN, Theater


Foto: lupispuma_com_Volkstheater

WIEN / Volkstheater:
DER GUTE MENSCH VON SEZUAN von Bertolt Brecht
Mitarbeit Ruth Berlau, Margarete Steffin
Premiere: 12. Oktober 2019

Ob „Der gute Mensch von Sezuan“ das Stück der Stunde ist? Bert Brecht war jedenfalls zu intelligent und auch viel zu zynisch, um der Welt eine kuschelweiche Gutmenschen-Parabel zu liefern. Im Gegenteil – kein Kickl könnte kälter über die Menschheit urteilen, als er es in dieser märchenhaften und dabei so fest am Boden der Realität stehenden Geschichte tut, die er nicht wirklich in ein fiktives China gestellt hat (so wenig, wie der „Kaukasische Kreidekreis“ im Kaukasus spielt…).

Wenn hier eine Prostituierte namens Shen Te schlicht und einfach ein Herz für ihre Mitmenschen hat, stellt sie – damals, als Brecht das Stück während des Zweiten Weltkriegs schrieb, gab es den Begriff „Gutmensch“ noch nicht – den wirklich raren Fall eines guten Menschen da. Sie ist und bleibt die einzige weit und breit, und als sie zu ein wenig Geld kommt, wird sie von ihrer gierigen Umwelt mit unverschämten Forderungen fast in Stücke gerissen.

Nicht, dass man irgendetwas, das Brecht da zeigt, psychologisch bezweifeln würde. Auch nicht, dass der Mann, dessen sie sich annimmt und in den sie sich verliebt, sie einfach nur als Quelle betrachtet, aus der sich Geld pressen lässt. Das ist zwar nicht direkt Kapitalismus-Kritik (die kommt in ihrer reinen Form erst etwas später im 2. Teil, wen Shen Te in Verkleidung zum Fabriksbetreiber wird), aber letztlich geht es um die alte Weisheit, dass es immer ums Geld geht. Abgesehen davon, dass erst das Fressen kommt und dann die Moral, aber das hat Brecht anderswo sehr schön formuliert…

Das Stück zeigt nun auf (wiederum wäre ein Kickl der zufriedenste Zuschauer), dass man den gnadenlosen Killerinstinkten der Armen (und der Reichen wohl auch…) nur durch eine eiserne Hand entgegen tritt. Dafür erfindet die seelisch so zarte Shen Te ihren „Vetter“ Shiu Ta, der nun (außerdem ist er ein Mann!) so agiert, dass alle es verstehen und alle kuschen. Begreifen lernen, dass man nichts geschenkt bekommt, sondern schwer dafür arbeiten muss. Dass man keinerlei Gnade und Freundlichkeit erwarten kann, weil sie ja auch selbst keine geben. Das und nichts anderes erzählt die Parabel. Kann das gut gehen, wenn es so ist? In unserer Welt funktioniert es zumindest.

So lässt Brecht – der ja Ideologien nie ernst genommen hat, auch nicht den Kommunismus, von dem er sich nach dem Krieg so üppig füttern ließ – am Ende sagen, worum es idealerweise geht (und vielleicht erkennt mancher erst jetzt, woher Marcel Reich-Ranicki seine stete Schlussformel für das „Literarische Quartett“ nahm, so sehen wir „betroffen den Vorhang zu und alle Fragen offen“): Der Dichter fordert das Publikum auf, die soziale Frage zu lösen, zu der ihm natürlich auch nichts einfällt. Außer dem flehentlichen Wunsch, es müsse doch den „guten Menschen“ geben… Vielleicht haben die an dem Stück mitdichtenden Damen da die Milch der frommen Denkungsart hinzu gefügt.

Brecht hat auch noch, um das ganze Geschehen weiter aus faktischer Realität zu holen, drei „Götter“ auf die Welt geschickt, die offenbar den Auftrag haben, den „guten Menschen“ zu suchen (ein klassisches Märchenmotiv). Nun, seit Menschengedenken hat kein Regisseur diese Figuren als „Götter“ gezeichnet. Auch Robert Gerloff nicht, der im Volkstheater eine sehr passable Inszenierung liefert, die nur etwas zu lang ist und im zweiten Teil aus dem Ruder läuft.

Mit dieser Parabel kann man umgehen, wie man will, wenn einem etwas einfällt. Gabriela Neubauer hat ein turmartiges Gebäude auf die Mitte der Bühne gebaut, das zwar nicht wirklich mitspielt, aber den Vorteil hat, dass man Brechts Gesicht riesig darauf projizieren kann. Mit „echter“ Riesenzigarre, die auch gelegentlich raucht – Lehrstück mit Ironie, der Meister schaut sich das Spektakel quasi an.

Hoffentlich wird er dabei nicht schwindlig: Nur weil Ulrich Rasche den Wienern jetzt im Burgtheater („Die Bakchen“) zeigt, dass sich der Bühnenboden ununterbrochen bewegt und die Darsteller folglich dauernd am Laufen sind, müsste man das hier nicht auch tun – aber tatsächlich ist die Drehbühne einen großen Teil des Abends unermüdlich am Werk, und das wirkt in kürzester Zeit etwas affektiert…

Wir sind durch die Kostüme von Johanna Hlawica in einer heutigen, aber doch leidlich stilisierten Welt, wenn etwa die Familie, die über Shen Te fordernd herfällt, durch einen Mantel mit verschiedenen Ärmelöffnungen quasi zum Kollektiv gebunden sind. Die drei Götter stecken in undefinierbaren Umhängen, benehmen sich aber definierbar wie zeitgenössische Politiker, die sich die Sache (die mit dem allgemeinen Unrecht nämlich) zwar ansehen, aber um Gottes willen nichts unternehmen wollen. Die Inszenierung verläuft, schon durch die dauernde Bewegung, die die Drehbühne vorgibt, gewissermaßen choreographisch und empfängt geradezu pointierende Kommentare durch drei Musiker am Bühnenrand.

Allerdings ufert alles im zweiten, schwächeren Teil gewaltig aus, da wird plötzlich ein Musical „mit Gesang und Tanz“ aus der Sache, und der ehrenwerte Imre Lichtenberger-Bozoki, der die dreiköpfige „Band“ anführt und auch das bearbeitet hat, was von Dessaus Musik noch da ist, wird dann geradezu penetrant mit seinen immer lauter werdenden Solokünsten auf der Trompete (die sie laut Programmheft ist, aber eigentlich wie eine Posaune aussieht). So eitel muss man dann auch nicht sein, dass man auf Szenenapplaus hinspielt.

Trotzdem, wenn der Abend auch unausgewogen ist, so liefert er doch letztendlich das Stück – und wie oft ist einem das im Badora-Volkstheater schon passiert? Man denke nur mit Schauder an den so elend gemeuchelten Grillparzer –. Man hat die Shen Te oft als zartes junges Geschöpf gesehen, das kann Claudia Sabitzer nicht bieten, wohl aber viel Gefühl und Anstand, was sie ganz wunderbar ausstrahlt. Die neben ihr stärkste Gestalt ist die Witwe Shin – wohl, weil hier ein besonderer Besetzungscoup gelungen ist: Getrud Roll, die so lange Zeit erst bei Hans Gratzer, dann an diesem Volkstheater eine so wichtige Rolle im Wiener Theaterleben gespielt hat, ist wieder da, trocken nüchtern, aber am Ende doch ein Mensch. So, wie sie die Schlussworte bringt, schwingt sich die Parabel weniger zur Moralpredigt, als zur feierlichen Absichtserklärung auf, Menschen und Menschheit nicht aufzugeben…

Alle anderen spielen mehrere Rollen, am stärksten kommt Steffi Krautz zur Geltung: eine Blanche Dubois war sie wahrlich nicht, eine gierige Vermieterin und intrigante Mutter bringt sie mit aller Schärfe auf die Bühne. Jan Thümer wirkt als Persönlichkeit gebrochen genug, um den schäbigen Liebhaber akkurat nachzuzeichnen. Andreas Patton ist ein nicht minder zwiespältiger Kapitalist, Isabella Knöll, Constanze Winkler, Günther Wiederschwinger, Nils Hohenhövel und Lukas Watzl agieren vielfach, wobei letzterem als Wasserverkäufer der Beginn des Stücks gehört.

Nun, eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, und selbst wenn es bei Anna Badora in ihrer letzten Spielzeit nur noch fabelhafte Inszenierungen gäbe, es wäre zu spät. Wobei man gerade gelesen hat, dass ihr Nachfolger plant, die Bezirkstournee aufzulassen… gleich zum Einstand eine jahrzehntelange Tradition zertrümmern zu wollen, dazu gehört viel Nichtwissen und keine Ahnung dessen, was man Fingerspitzengefühl nennt… Die Freude auf einen Neuanfang schmälert sich solcherart gewaltig.

Renate Wagner

P.S. Normalerweise hat sich niemand darum geschert, wie viel Arbeit Brecht von seinem „Harem“, den ihm so ergebenen, so klugen und begabten Frauen, erledigen ließ. Das Volkstheater würdigt die Mitarbeit von Ruth Berlau und Margarete Steffin. Aber die Damen sind halt immer nur kleine Glühwürmchen im Strahlenkranz des Dichters, der sich so geschickt durch alle Ideologien durchgewunden hat…

 

Diese Seite drucken