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WIEN / Volkstheater: DER DIENER ZWEIER HERREN

23.11.2023 | KRITIKEN, Theater

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Fotos: Volkstheater

WIEN / Volkstheater: 
DER DIENER ZWEIER HERREN von Carlo Goldoni
Premiere: 18: November 2023.
besucht wurde die zweite Vorstellung am 22: November 2023   

Im Volkstheater von Kay Voges gibt es vordringlich Shows, AgitProp, Performances oder auch einmal eine heftig daneben gegangene Romandramatisierung. Wenn da Carlo Goldonis „Der Diener zweier Herren“ am Spielplan erscheint, könnte man fast Hoffnung fassen. Auf (der Begriff ist bewusst gewählt) vielleicht „normales“ Theater? Ein Werk und eine „kenntliche“ Inszenierung? Eine Auseinandersetzung über fast drei Jahrhunderte hinweg auf den Ebenen von Inhalt und Stil – und Goldoni nicht ganz zu vergessen?

Denn „Der Diener zweier Herren“ ist nicht so ohne, ist nicht nur banales Unterhaltungstheater. Hier hat Carlo Goldoni der Commedia dell’arte, dem traditionellen Stegreiftheater, eine literarische Form gegeben, die gleichzeitig den Höhepunkt des Genres markiert. Goldoni goß 1745 neuen Wein in alte Schläuche. Er behielt das Figurenpersonal – Diener, Liebhaber, alte Männer – bei, füllte es aber mit Charakteren. Truffaldino ist als Diener der klassische Underdog, bedauernswert, wie er von seinen Herrschaften gnadenlos herumgeschubst, aber nicht gefüttert wird. Den alten Männern geht es (wie weißen alten Männern immer?) um Macht und Prestige. Die jungen Leute versuchen sich zu wehren (etwa gegen Zwangsehen). Und all das im klassischen Rahmen des vorgegebenen Stils.

Vollkommen umgesetzt hat dies einst Giorgio Strehler, mit Virtuosität und Brillanz (höher konnte man das Handwerk nicht treiben) einerseits, mit Witz, Humor und Humanitas andererseits. Sieht man die heutige Version, die das Volkstheater nun bietet, möchte man fast nach Triest fahren und an Strehlers Grab den Kranz des „Theaters an sich“ niederlegen…

Nun kann Stil nicht derselbe sein wie Mitte des 18. Jahrhunderts zu Goldonis Zeiten, auch nicht wie in den sechziger, siebziger Jahren, als man Strehlers „Servitore“ als Festwochen-Gastspiel und ein paar Jahre spöter bei den Salzburger Festspielen sah. Aber was ist es, das der Neapolitaner Antonio Latella (der am Burgtheater schon Wildes „Bunbury“ komplett verätzt hat) zeigt? Anarchisches, wie man es ihm nachsagt, Provokantes (mal schauen, wie viel Blödsinn sich das Publikum bieten lässt) und einfach Nervtötendes.

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Als „Stil“ geboten – immer wieder zuckender Veitstanz der Protagonisten, endlose Wiederholungen, Holzhammer-„Komik“, fast kein menschlicher Ton, Übertreibung, Zickigkeit, Albernheit als Prinzip. Nur nichts „Normales“ – als die beiden alten Herren des Stücks (Andreas Beck als Pantalone und Stefan Suske als  Doktor Lombardi) ein paar Minuten ein normales Gespräch führen, ohne Zuckungen welcher Art auch immer, ist man völlig verdutzt: Was ist denn da los? Aber keine Angst, es bleibt nicht dabei.

Die erste halbe Stunde wird auf leerer Bühne (Giuseppe Stellato), in einer Art andeutungsweise stilisierter Kostüme (Simona D’Amico) mühselig die Ehe zwischen Clarice (Irem Gökçen) und Sivlio (Mario Fuchs) ausgehandelt, wobei der junge Mann die Aufgabe hat, die meiste Zeit seinen nackten Unterleib zu präsentieren, wohl um zu zeigen, wie lächerlich seine dort befindliche „Waffe“ wohl ist (dafür wird man Schauspieler?).

Truffaldino (Elias Eilinghoff) kriecht aus einem Loch im Boden wie ein debiler Krüppel, und so bleibt er auch, grimassierend, vergeblich Publikums-Animation versuchend, natürlich um alle seine berühmten Szenen gebracht. Was er spürbar kann, ist in diesem Rahmen verschwendet.

Nach einer halben  Stunde meldet sich Beatrice (Lavinia Nowak) aus dem Zuschauerraum, fragt, was das alles für ein Blödsinn ist, aber sie macht ja doch mit. Ihr Liebhaber Florindo  ist mit Birgit Unterweger auch weiblich besetzt, das lesbische Hautgout wabert leicht. Aber eigentlich scheint das Problem des Regisseurs anderer Art – die Dienerin Smeraldina (Lisa Schützenberger), die bis dahin weiter nicht aufgefallen ist, bekommt plötzlich einen Anfall und rappt eine Hasstirade auf das Patriarchat. Dann ist Pause (bis dahin hat man schon mühselige zwei Stunden hinter sich.)

Im zweiten Teil wird es sehr, sehr düster (was ja eigentlich nicht vorgesehen ist). Man mag Brighella (Uwe Schmieder) schätzen, aber dass er gefühlte Stunden lang eine Kochpantomime aufführen muss, braucht niemand (und ist nur ein Beispiel von vielen – wie die unnötigen Gesangseinlagen-  für die mangelnde Theaterökonomie des Abends). Nichts ist vom Zauber der „Servier“-Szene erhalten, der Darsteller muss sie gewissermaßen verfremdet präsentieren. Dann fallen Tauben vom Himmel (man ist schließlich in Venedig), und es erklingt jene Musik, die man nicht mehr als Adagietto von Mahlers „Fünfter“, sondern nur noch als „Tod in Venedig“-Filmmusik kennt.

Die Melancholie hat ihre Berechtigung, denn nun fällt alles, was noch ein Stück war, auseinander, wenn es nur noch darum geht, dass Beatrice und Florindo (in diesem Fall, wie erinnerlich, zwei junge Frauen) Truffaldino verprügeln – aber wie! Nach allen Regeln der Kunst, so (scheinbar) brutal, dass man gar nicht mehr zusehen will, und schließlich beißen sie ihm noch ins Gesicht, was sie da ausspucken, wissen die Götter, aber wir sind wohl bei den Kannibalen gelandet…

Die zweite Vorstellung dieser Produktion fand ein halb volles Haus und immerhin einige Leute, die heftig klatschten. Offenbar haben sie die Fragwürdigkeit und Scheußlichkeit unserer Welt an diesem Abend auf der Bühne wieder gefunden und sich daran begeistert.

Renate Wagner

 

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