Foto: Marcel Urlaub
WIEN / Volkstheater:
CAMINO REAL von Tennessee Williams
Live on Stage CALEXICO
Premiere: 15, November 2024
Mit Rock-Sound in die Zwischenwelt
Tennessee Williams (1911-1983) hat Dutzende und Dutzende Stücke geschrieben, davon ein paar „well made plays“ wie „Die Glasmenagerie“ oder „Endstation Sehnsucht“, die sich wohl auf den Bühnen halten werden, so lange es Theater gibt. Und neben halb bekannten seiner Werke sind da auch jene, die einem kaum je unterkommen. Wenn man sich nicht irrt, hat man „Camino Real“ (1953 zwischen der „Tätowierten Rose“ und der doch sehr bekannten „Katze auf dem heißen Blechdach“ entstanden) seit Jahrzehnten auf keiner Wiener Bühne gesehen. Nun gibt es eine Aufführung in der letzten Spielzeit von Direktor Kay Voges im Volkstheater – ein Abend, der weniger von Tennessee Williams lebt als von Calexico…
Camino Real ist in diesem Stück nicht der titelgebende Königsweg, sondern – ja was? Man könnte es als Vorhölle bezeichnen, als Zwischenreich zwischen Gerade-Noch-Sein und Bald-Nicht-Mehr-Sein, wo die Seelen nicht recht wissen, was sie mit sich anfangen sollen. Immerhin macht „Gutman“, der Erzähler, der die 16 Stationen des „Camino Real“ ansagt und kommentiert, klar, was die Voraussetzung ist, in diesem Bardo zu landen – Eintrittskarte: Verzweiflung…
Nun ist das kein zusammenhängendes Stück, weit eher eine Szenenfolge, in der vor allem bekannte Figuren aus Geschichte und Literatur auftauchen und sich mixen – wenn (der einst reale) Casanova ein unglückseliges Liebesspiel mit der Kameliendame (erfunden von Dumas, wenn man nicht das echte Vorbild meint) spielt. Wenn Lord Byron sich in einem schmerzlichen Monolog daran erinnert, wie die aus dem Wasser gezogene Leiche seines Freundes Shelley am Strand verbrannt wurde… Wenn eine seltsame Wahrsagerin eine Tochter namens Esmeralda hat, die wohl von Victor Hugo stammt… Ein Vexierspiel für Gebildete, während sich rundum ein paar seltsame Gestalten bewegen, die man nicht näher definieren kann.
Und dann ist da noch die Hauptfigur, ein junger Boxer namens Kilroy (ob Tennessee Williams den echten Billy Kilroy gemeint hat, müsste man recherchieren), ein rabiater Junge mit einem großen „goldenen“ Herzen, dessen Funktion letztlich genau so wenig umrissen ist wie die der anderen Figuren. Es ist etwas Willkürliches, Vages um das ganze Stück.
Aber immerhin gelingt es der Regisseurin Anna-Sophie Mahler, den Abend in einer nicht wirklich definierbaren Dekoration von Katrin Connan und nicht minder seltsamen Kostümen von Victoria Behr einigermaßen zusammen zu halten. Das permanent irreale Element der Geschichte, die mit zwei Stunden ausreichend lang ist, wird auch durch stete Nebel- und Lichteffekte erzielt, die jede reale Deutlichkeit wegpinseln und permanente Verschwommenheit erzeugen…
Andreas Beck kommentiert den Abend kraftvoll, Stephan Kevi ist als Kilroy ein Kraftbündel, das den Abend beherrscht, sobald er wild und trotzig auf der Bühne ist, Uwe Schmieder hat einen großen Auftritt mit den schaurigen Erinnerungen des Lord Byron. Elias Eilinghoff als Casanova und Bettina Lieder als Marguerite (zwei wahre Groteskfiguren) wollen noch nicht sterben, merken aber, dass es auf sie zukommt. Anke Zillich bemüht sich, eine dämonische Wahrsagerin zu sein, ist aber nur eine Geschäftsfrau mit Tricks, die auch Lavinia Nowak als ihre Tochter vorschiebt, wenn es darum geht, Kilroy Geld abzuluchsen. Unter allen anderen Figuren, die sich in zweitrangigen Rollen noch über die Bühne bewegen, fällt Paula Carbonell Spörk als echte Spanierin auf, die ihre betörende Stimme hören lässt.
Womit man dabei ist, was diesen Abend eigentlich ausmacht, nämlich die permanente Mitwirkung der Band Calexico aus Tucson, Arizona. Die Regisseurin kennt sie von früherer Zusammenarbeit, und die Idee, die drei Musiker, zu denen sich Paul Wallisch am Keyboard gesellt, zu verpflichten, war zweifellos der Geniestreich des Abends. Joey Burns komponiert und ist ein faszinierender Sänger an der Gitarre, die Trompetenklänge von Martin Wenk erzeugen Gänsehaut im besten Sinn des Wortes, und John Convertino taucht das Haus in den für die Band typischen Sound, der laut Volkstheater-Pressetext aus mexikanischem Mariachi, Tex-Mex, Country-Rock, Jazz und Folk besteht und den Abend immer wieder zum Rock-Konzert macht. Wenn auch das Williams-Stück nicht wirklich überzeugt, kann man davon ausgehen, dass Musikfreunde der Calexicos wegen in den Abend strömen und voll auf ihre Rechnung kommen werden.
Renate Wagner