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WIEN / Volkstheater: CACHÉ

Mehr Form als Inhalt

18.09.2025 | KRITIKEN, Theater

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Foto: Marcella-Ruiz-Cruz

WIEN / Volkstheater: 
CACHÉ
nach dem Film von Michael Haneke
Uraufführung
Premiere: 14. September 2025,
besucht wurde die zweite Vorstellung am 18. September 2024

Mehr Form als Inhalt

„Caché“ zählt zu den vielen Filmen von Michael Haneke, die unvergessen und unvergesslich blieben – kalt, grausam, gnadenlos, hintergründig, also seine übliche Handschrift. Anfangs fast ein Krimi, am Ende die Demontage einer Gesellschaft. Es geht um Schuld, die nicht vergeben werden kann. Um Sühne, die nicht geleistet wird.

Im Volkstheater wurde der Film nun als Uraufführung auf die Bühne gebracht, ein verantwortlicher „Autor“ wird nicht genannt, wahrscheinlich eine Arbeit von Regie und Dramaturgie, eng am Text des Originals – und doch immer wieder weit weg. Allein, dass man mit vier Darstellern sein Auslangen finden wollte, also alle bis auf den Hauptdarsteller mehrere Figuren verkörpern, muss bei Menschen, die den Film nicht kennen (oder vergessen haben, ist ja auch schon eine zeitlang her), Verwirrung hervorrufen. Zudem hat es Regisseurin Felicitas Brucker zweifellos zusätzlich auf ebendiese Verwirrung angelegt – sie wollte ein Regie-Kunststück vollbringen, was ihr durchaus gelungen ist, aber zum Kern von „Caché“, zu einer adäquaten theatralischen Umsetzung dessen, was Haneke geistig und formal im Film gelungen ist, ist sie nicht vorgedrungen.

Anfangs also, wie erwähnt, fast ein Krimi. Ein gut situiertes intellektuelles Ehepaar im Einfamilienhaus am Stadtrand von Paris wird gestalkt – und kann sich lange Zeit nicht vorstellen, warum. Die Belästigung kommt durch Videobänder. Nun ist der Film 20 Jahre alt, damals gab es das noch. Wer heute versuchen würde, ein altes, irgendwo aufgetauchtes Videoband abzuspielen, wird keinen Apparat mehr dazu finden… Ist „Caché“ deshalb von gestern? Schon deshalb nicht, weil Video heute integraler Bestandteil der meisten Theaterinszenierungen ist (also auch hier) – und weil das zugrunde liegende Thema in unserer Welt noch brisanter erscheint als einst.

Denn eine links / grüne Woke-Bewegung hat neben Gender, Diversität und Klima auch noch die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte (als Kolonial-Schuld) auf ihre Agenda-Liste gesetzt. Haneke beschwört (damals sicher nicht zur Freude der Franzosen) jenes Massaker an Algeriern, das die französische Polizei 1961 in Paris veranstaltete und das Hunderte Leben kostete. Daran erinnert sich die „Grande Nation“ so ungern wie der Durchschnitts-Deutsche an den Holocaust…

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Also, die Geschichte würde halten, wenn sich die Inszenierung nicht im Formalen verzettelte. Eine einstöckige Hausdekoration (Ausstattung: Viva Schudt) ist durch eine steile Treppe verbunden, die den Abend für die Darsteller zum „Sportstück“ macht – unzählige Male hetzen sie hinauf und hinunter. Dazu kommen zwei Videowände, eine riesige, die andere groß. Sie verdoppeln, vervielfachen kunstvoll  das reale Geschehen, werden aber auch trickreich mit eingespieltem Material versehen – und man weiß auch absolut nicht immer, wer ist wo und worum geht es in den Zuspielungen. Man ist nur immer mit dem Schauen, Zusammenstoppeln und Rätseln beschäftigt, so dass die Geschichte per se nicht wirklich zur Geltung kommt.

Sie offenbart sich erst mit der Zeit. Da war Georges, der negative Held des Geschehens, ein sechsjähriger Bub. Seine Eltern hatten einen Bauernhof, wo ein algerisches Ehepaar arbeitete, das bei dem Massaker von Paris ums Leben kam. Nun wollten die Eltern von George deren Sohn, den sechsjährigen Jungen Majid. adoptieren – aus Anstand oder schlechtem Gewissen, jedenfalls hätten sie ihm eine Zukunft ermöglicht. Aber das wollte der kleine weiße Franzose nicht, dass der farbige Algerier mit ihm aufwachsen sollte – und er verhinderte es auf die denkbar perfideste Weise. Und hat es wohl vergessen (bzw. tief in seinem Gedächtnis versteckt). Bis es mehr als 40 Jahre später wieder in sein Leben tritt…

Wie geht man mit Schuld, auf die man gestoßen wird, um? Georges schiebt sie weg (und man kann dazu tausende Parallelen ziehen, was Menschen in früheren Zeiten ihres Lebens getan und in ihrer Erinnerung vergraben haben). Und auf der Bühne wird das gar nicht so interessant.

Dabei liefert Hauptdarsteller Sebastian Rudolph die überzeugendste Leistung des Abends, zwischen Leugnung, Nervosität, zunehmender Gehetztheit, Ratlosigkeit, hilfloser Wut. Er hat ein Schicksal, die anderen haben auf der Bühne keines. Schön, dass Johanna Wokalek wieder in Wien ist, aber ihre Rolle als Ehefrau gibt nicht wirklich viel her (außerdem muss sie noch ihre eigene Schwiegermutter und die Chefin ihres Mannes spielen). Bernardo Arias Porras verkörpert nicht nur Majid und dessen Sohn, sondern auch noch andere, für den Zuseher mehr oder minder leicht zu identifizierende Figuren. Für Moritz Grossmann als Sohn ohne Eigenschaften hat man noch eine mehr oder minder unnötige Turn / Tanz-Szene eingelegt.

Am Ende geht die Szene, die man nicht sieht, sondern nur hört, weil Johanna Wokalek sie aus dem Drehbuch vorliest, mehr unter die Haut als alles andere bisher. Da wird geschildert, wie der kleine, sich heftig wehrende Majid gewaltsam vom Hof weggebracht wird…

Einige gute Kritiken (darunter eine nicht nachvollziehbare Hymne der APA) füllten das Volkstheater zur zweiten Vorstellung. Man will es dem neuen Direktor gönnen, an Ambition hat er es nicht fehlen lassen.

Renate Wagner

 

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