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WIEN / Volkstheater: BULLET TIME

Nur eine Kopfgeburt

16.09.2024 | KRITIKEN, Theater

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Foto: Volkstheater / Marcel Urlaub

WIEN / Volkstheater:
BULLET TIME von Alexander Kerlin
Die Geburt des Kinos aus dem Geiste eines Mörders
Uraufführung
Premiere: 7. September 2024,
besucht wurde die zweite Vorstellung am 15. September 2024

Nur eine Kopfgeburt

Kay Voges, der in Wien von niemandem geliebte Direktor des Volkstheaters, der das Haus in eine AgitProp- Performance-Stätte verwandelt hat, in der dem Theater ein geringer Platz eingeräumt wird, beginnt seine letzte Saison interessanterweise mit einem sozusagen selbst gebastelten Theaterstück. „Bullet Time“ wurde als Auftragswerk von dem Chefdramaturgen des Hauses, Alexander Kerlin., verfasst. Man kann also davon ausgehen, dass das Thema in Absprache mit dem Direktor, der das Werk als Eröffnungspremiere dieser Saison selbst inszeniert hat, gewählt wurde. Und das ist seltsam genug.

Mord im „Wilden Westen“, Kalifornien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, betrogener Ehemann erschießt den Liebhaber seiner Frau, Prozeß, er wird trotz Schuldeingeständnisses frei gesprochen. Keine aufregende Sache, aber bei dem Mörder handelte es sich um Eadweard Muybridge (1830-1904), der auf seinem Gebiet, der Fotografie, ein innovatives Genie war. Für Leland Stanford (1824-1893), einen Tycoon-Pionier Kaliforniens, der heute noch durch die von ihm gegründete Stanford Universität bekannt ist, erfand er gewissermaßen „lebende Bilder“. Was geschaffen wurde, um die Bewegungen von Stanfords Pferden zu dokumentieren (die in der Kunstgeschichte berühmte Fotoserie des galoppierenden Pferdes Occident wird in ihrer Entstehung erklärt) führte zur Erfindung des Films. Ein theoretisches Thema, das man eher in einer Zeitschrift nachlesen würde und das hier zu einem eher theoretischen Theaterabend wird.

Die permanente Rahmenhandlung ist jene der Gerichtsverhandlung gegen den geständigen Mörder Muybridge (dessen Freispruch wohl mit einiger Sicherheit von Stanford gekauft wurde). Eine eher trockene Angelegenheit, die durch ein paar starke Darstellerleistungen einigermaßen lebendig wurde, ohne dennoch besonders zu interessieren.

Aber Kay Voges seinerseits interessierte als Regisseur vor allem die Form des Abends: Zwischen Richter, links, und Anklagebank rechts, gibt es in der Mitte eine Art Theaterraum, in dem Szenen aus der Vergangenheit gespielt werden (Bühne: Michael Sieberock-Serafimowitsch).Die ganze Aufführung wird für den Zuschauer verdoppelt – immer sind Live-Kameras dabei, um sowohl die Gerichtsverhandlung wie auch die Spielszenen (und das durchaus mit einiger Brillanz) mitzufilmen und auf eine riesige Videowand über dem Geschehen zu werfen.

Das kennt man als Methode heutigen Theatermachens nun zur Genüge, Frank Castorf hat es wohl erfunden und seither hat man es genau so oft (auch in Operninszenierungen des Theaters an der Wien) gesehen. Immerhin kommt es einigen Schauspielern zugute, dass man ihre Darstellung groß und gewissermaßen detailliert verfolgen kann – Christoph Schüchner als Journalist Ellis, Uwe Schmieder als Galerist, Claudia Sabitzer als Kellnerin kommen hier zu bester Geltung.

Weder Autor noch Darsteller Frank Genser verraten, ob Muybridge zur Zeit des Mordes an geistiger Verwirrung litt oder diese nur vorspielte. Stark kommen Fabian Reichenbach als Staatsanwalt und Evi Kehrstephan als recht puritanische Verteidigerin zur Geltung. Lavinia Nowak artikuliert als Muybridges unzufriedene Gattin weiblichen Protest, Elias Eilinghoff ist ihr kurzfristiger (weil bald ermordeter) Liebhaber. Anke Zillich erlebt man in mehreren Rollen. Ein starkes Ensemble für ein schwaches Gerichtsstück.

Doch das ist ja nicht das einzige, worum es geht. Rund um Leland Stanford  (in wenigen Szenen eindrucksvoll; Uwe Rohbeck) soll nun über die Geschichte, Funktion und Gefahr von Fotografie und Film philosophiert werden, auch unter steter Einbeziehung griechischer Mythologie. Auch eine recht theoretische Sache, die noch weniger auf die Bühne passt wie ein uninteressanter Prozeß, und man fragt sich, was hier eigentlich vermittelt werden sollte.

Aber immerhin war der Abend etwas, was man bei Kay Voges nicht unbedingt erwarten darf: Theater. Wenn auch eine zwar gut gemachte, aber inhaltlich dürre Kopfgeburt.

Renate Wagner

 

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