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WIEN / Volkstheater: BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER

01.02.2019 | KRITIKEN, Theater


Foto: lupispuma_com/Volkstheater

WIEN / Volkstheater:
BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER von Max Frisch
Premiere: 1. Februar 2019

Dafür, dass es (neben „Andorra“) das berühmteste Stück von Max Frisch ist, mehr noch, eines der berühmtesten deutscher Sprache überhaupt, wird „Biedermann und die Brandstifter“ in Wien kaum je gespielt. Zuletzt 2002, damals auch im Volkstheater, mit dem unvergessenen Toni Böhm als Biedermann. Günter Franzmeier, der heute in der Titelrolle zu sehen ist, war damals unter den Brandstiftern zu finden… Das Stück, das kurz genug ist, dass Frisch es für die Züricher Uraufführung 1958 (mit Gustav Knuth, Ernst Schröder und Boy Gobert) mit dem Einakter „Die große Wut des Philipp Hotz“ zusammenspannte, dauerte 2002 gerade 80 Minuten. Regisseur Viktor Bodó hat die Spieldauer diesmal auf 100 Minuten gestreckt – ob all der Jokus, der die politische Parabel in eine Show verwandelt, mit riesig aufgeblähten Opern- oder Pop-Zitaten, mit Kinoszenen- oder Sporteinlagen, nur der Verlängerung dient, ist schwer zu sagen.

Dass das Volkstheater alles tut, um Aufmerksamkeit zu erregen, steht fest – vor der Vorstellung brannten riesige Feuer vor den Haus, Feuergarben schossen vom Balkon in den Himmel, das gab vielleicht einen Hintergrund für die zahllosen Selfies ab! Im Haus dann eine Aufführung, die von Anfang an parodistisch erschien – aber Max Frisch hat den „Chor“, den er aus der Antike paraphrasierend hier eingebracht hat, ja auch nicht ernst gemeint. Nichts dagegen zu sagen, zumal sich (Bühne: Juli Balázs, Kostüme: Fruzsina Nagy) ein fünfziger Jahre-Ambiente eröffnet, das die Bürger, die Max Frisch seinerzeit gemeint hat, in einen überzeugenden Rahmen stellt: So deutlich sind die „Bourgeois“ in unseren heutigen Designs ja nicht mehr auszunehmen…

Wenn Frisch sein Stück „ein Lehrstück ohne Lehre“ nannte, ist es die reinste Koketterie. Deutlicher konnte man es den Durchschnittsmenschen nicht sagen, dass sie an allem selbst schuld sind, was politisch bei ihnen passiert. Herr Biedermann lässt teils naiv, teils dumm, teils auch irgendwie zu höflich und zu gut erzogen, jedenfalls bar jeder Weit- und Einsicht, jene Männer in sein Haus herein, die seinen Untergang beschlossen haben, er nickt auch noch, wenn sie die Benzinfässer hereinrollen, er gibt ihnen am Ende sogar das Streichholz…

Als das Stück uraufgeführt wurde, tobte der Kalte Krieg und man sah nur die Kommunisten kommen. Frisch selbst hatte durchaus die Nazis gemeint. Auch das Volkstheater meint natürlich die „Rechten“. Sollten sich diese in die Aufführung verirren, werden sie das Gleichnis auf andere Ankömmlinge umlegen können und meinen, dass man den eigenen Untergang willentlich-wissentlich herbei beschwöre… Ist das nicht fabelhaft, dass eine politische Parabel in jede Richtung hin passt?

Regisseur Viktor Bodó lässt sich – und das ist dankenswert – auf keine politische Zielrichtung ein. Allerdings stellt sich bald heraus, dass er der Aussagekraft der Geschichte nicht traut oder sie auch nicht so wichtig findet, anders lässt sich das dauernde Gleiten in Verfremdung und Albernheit nicht erklären. Das ist brillant gemacht, keine Frage, hat aber mit dem Stück nichts zu tun, an dem einiges verfremdet ist (Witwe Knechtling, die nur kurz vorgesehen ist, krallt sich beharrlich in das Geschehen) und so manches verändert wird. Nachspiel gibt es keines. Auch keine große Feuersbrunst am Ende. Aber die hat man beim Hereingehen schon gehabt.

Wenn es also (Komposition: Klaus von Heydenaber, Sounddesign: Gábor Keresztes) furchtbar viel „große Oper“ mit rauschender Musik gibt, dazu offenbar Pop-Zitate, bei denen sich ein jugendliches Publikum, das sie erkennt, zerkugelt, Filmzitate (was „Casablanca“ bei Herrn Biedermann zu tun hat?), Schattenrisse und Slapstick-Sportkunststücke… ja, das ist ja recht unterhaltend. Über die „Aussage“, die Frisch einst doch gemeint hat, zerbricht sich bei so viel Ablenkung vermutlich niemand mehr den Kopf. Aber wenn sich herum spricht, dass es lustig ist, kommen vielleicht auch „Event“-Sucher in das Haus…!

Günter Franzmeier und Steffi Krautz würden auch in einer „echten“ Aufführung des Stücks prächtig für das knieweiche, leicht zu schreckende Biedermann-Ehepaar taugen, und solange sie nicht in exzessives Kreischen ausbrechen muss, ist Evi Kehrstephan ein ganz glaubhaftes Dienstmädchen. Thomas Frank (Schmitz), Gábor Biedermann (Eisenring) und Jan Thümer (ein Dr.phil.) sind schon von Anfang an so verdächtige Gesellen, dass sie wohl kaum über eine normale Schwelle kämen – aber je mehr der Abend aus den Fugen gerät, umso besser passen sie hinein. Claudia Sabitzer ist die in dieser Inszenierung beharrliche Witwe, die sich am Ende ein Dienstmädchengewand anzieht (wohl, damit sie dableiben darf, nachdem man ihren Mann in den Tod getrieben hat?), der Chor ist auf Nils Hohenhövel und Stefan Suske geschmolzen, wobei letzterer noch einen Polizisten spielt.

Letztendlich scheint die wilde Aufführung nur zu verkünden, dass man an das Stück nicht mehr glaubt. Aber warum spielt man es dann?

Renate Wagner

 

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