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WIEN / Volkstheater Bezirke:
MITTELSCHICHTBLUES von David Lindsay-Abaire
Deutschsprachige Erstaufführung
Premiere am 30. September 2016,
besucht wurde die Vorstellung am 11. Oktober 2016 in Hietzing
Mit der ersten Premiere für die Bezirkstournee des Volkstheaters hat man heuer goldrichtig gegriffen. Ein „well made play“, wie es im Buche steht, das dem Zuschauer inhaltlich dennoch einiges zumutet – aber sein Thema bei allem grimmigen Humor, mit dem man es verkleidet, doch nicht verschenkt. Man kann erkennen, wie schwer es ein Teil der Bevölkerung hat – und das nicht nur in South Boston, wo die Armen leben, die Iren, die dann wieder die Schwarzen prügeln, wenn sie Grenzen überschreiten, und wo man ein gutes Leben nur erhoffen kann, wenn man die Welt, in der man geboren wurde, hinter sich lässt. Solche Viertel gibt es überall, auch bei uns.
Autor David Lindsay-Abaire (47), der für eines seiner Stücke schon den renommierten Pulitzer-Preis bekam, ist selbst ein „Southie“, wie man die „Eingeborenen“ dieses Viertels nennt, und sein Stück „Mittelschichtblues“ („Good People“, 2011) atmet sozusagen Kompetenz. Dieser Autor weiß, wovon er schreibt, er kennt die Figuren, die er auf die Bühne bringt, aus eigener Anschauung. Und er wirft uns – an Menschen gezeigt, nicht theoretisch aufgeblasen – ein Thema hin, das immer wieder diskutiert wird, am liebsten von einer wohlhabenden Mittelschicht, die gar nicht weiß, wie viel sie durch Abstammung und Umwelt mitbekommen hat: Sind die Armen nicht selbst schuld an ihrem Schicksal, überlegen wir gerne, haben sie sich einfach nicht genug bemüht, ist denn nicht jeder „Herr seines Schicksals“, wie auch der Sozialist George Bernard Shaw einmal meinte, wenn er sagte: „Diejenigen, die in der Welt vorankommen, gehen und suchen sich die Verhältnisse, die sie wollen, und wenn sie sie nicht finden können, schaffen sie sie selbst.“ Ja, ja, grau teurer Freund…
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Nun, David Lindsay-Abaire belehrt uns am Schicksal von Margaret, Ende 40, Mutter einer behinderten Tochter, die dauernder Pflege bedarf, eben aus ihrem letzten Job gefeuert, eines anderen. Sie ist zwar eine bewundernswerte Kämpferin, aber ihre Kraft reicht gerade dafür aus, immer die unmittelbare Situation zu bewältigen und sich von einem Tag zum nächsten zu g’fretten, wie man bei uns sagt.
Was sie nun alles tut, um einen neuen Job zu finden, ist eine bemerkenswerte Tour de Force, wobei David Lindsay-Abaire sie mit ihrem einstigen Geliebten, mutmaßlichen Vater ihrer behinderten Tochter auch, zusammen stoßen lässt: Dieser ist Arzt, „neureich“ geworden, der sich gern mit einer pittoresken „armen“ Vergangenheit schmücken würde, aber heilfroh ist, diese Welt der Aussichtslosigkeit, in der Margaret ewig gefangen bleibt, hinter sich gelassen zu haben…
Wenn sie dann in seine Familie einbricht und sich in wahren Orgien der Abrechnung ergeht, Klischees gnadenlos zurechtrückend, Lügen entlarvend, wird das Stück ein bisschen „dick“, sagt aber, was es zu sagen hat, und tut es wirkungsvoll: Am Ende steht die Erkenntnis, dass niemand sich um das Schicksal der Elenden schert (oder der eine oder andere mit einem Hauch von schlechtem Gewissen doch?), und dass die Parole nur heißen kann: Weitermachen. Aus eigener Kraft. Was bleibt einem schon übrig.
Ganz zweifellos ist es auch Regisseur Ingo Berk, der diesem Abend – in schlichtester und geschicktester Ausstattung (Bühne und Kostüme Damian Hitz) vor einer mehr oder minder leeren Wand gespielt – seine dauernde Kraft gibt, und das zweieinhalb Stunden hindurch. Wie gut ein Regisseur ist, zeigt sich übrigens auch an Nebenrollen – dass die Frauen um Margaret, Martina Spitzer als unangepasste, männlich herumrörende Jean und Doris Weiner, so gut wie schon lange nicht, als ihre scheinbar dümmliche, aber gnadenlos geldbewusste Vermieterin Dottie nicht zu vergessenswerten Chargen, sondern zu starken Figuren werden, verdankt man wohl ihm. Und auch eine Nebenrolle wird durch Lukas Watzl ganz stark: Einer, der ja selbst in der grausamen Arbeitswelt um sein Leben kämpft, und der die anderen opfern muss, um nicht selbst an der Reihe zu sein…
Im Zentrum des Geschehens steht Claudia Sabitzer als Margaret und ist schon ganz stark für den hausinternen Neff-Preis und den darüber hinaus gehenden „Nestroy“-Preis vorzumerken. Sie gibt ihrer Figur einen Drive, der auch dann über Momente hinwegspielt, die dem Autor in der gefühlsmäßigen Argumentation (dem Ex-Freund gegenüber) psychologisch nicht so gelungen sind. Sie hat Kraft, sie ist „street smart“, wie man es nennt – und sie ist, wie so viele Menschen, überfordert von dem, was das Schicksal ihr abverlangt. Und wird dennoch von einem Tag in den nächsten kommen, weil ihr sonst nichts übrig bleibt. Das ist eine Leistung, die man gesehen haben soll.
Man hat bedauert, dass Günter Franzmeier nicht im Haupthaus den „Menschenfeind“ spielt, und man tut es noch immer, aber Mike, der Emporkömmling, ist eine große Aufgabe, die er virtuos meistert. Einer, der es „geschafft“ hat, aus eigener Kraft, wie er überzeugt ist, über ein paar Leichen gegangen und dann in dem, was er erreicht hat, auch nicht so glücklich geworden (wie seine Ehe zeigt) – in Konfrontation mit Margaret kämpfen sein schlechtes Gewissen und der Selbstschutz, sich die Nöte der anderen vom Leib zu halten, einen wirklich faszinierenden Kampf. Er windet sich in Peinlichkeit und legt nach und nach, wenn es darum geht, das Erreichte zu beschützen, jegliche Verbindlichkeit ab. Jede Nuance stimmt hier, in zahllosen Details stellt Günter Franzmeier dar, wie die Erinnerung an die unerwünschte Vergangenheit ihn beutelt.
Ihm zur Seite die Schwarzafrikanerin Nancy Mensah-Offei, eine Frau von ganz starker Persönlichkeit, die klar macht, dass Mike sich Elemente seiner Karriere (die Heirat mit der Tochter des Chefs) teuer erkauft hat. Die Souveränität, mit der diese Kate auch mit ihrer Hautfarbe und den Problemen, die die Umwelt damit hat, umgeht, ist bestrickend.
Im Ganzen ein Abend der spannend ist, der berührt, amüsiert, nur selten übertreibt, und der sein Thema, in Menschenschicksale verpackt, hinstellt. Ein well made play, wie gesagt. Schade, dass dergleichen in unseren Landen so gering geschätzt wird und man sich statt dessen das affektierte Gefusel unserer „Zeitgenossen“ geben muss…Bei David Lindsay-Abaire besteht jedenfalls kein Zweifel, dass man diesmal im Theater keinen Abend verloren hat. Viel Beifall bei der Repertoirevorstellung in Hietzing, und er war verdient.
Renate Wagner