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WIEN / Volkstheater-Bezirke: DIE REISSLEINE

21.10.2019 | KRITIKEN, Theater


Fotos: Christine Miess / Volkstheater

WIEN / Volkstheater-Bezirke:
DIE REISSLEINE von David Lindsay-Abaire
Deutschsprachige Erstaufführung
Premiere: 27. September 2019,
besucht wurde die Vorstellung am 21. Oktober 2019 in der VHS Hietzing

Ja, man versteht es. Es gibt Gründe, dass das Volkstheater für die Außenbezirkstournee den Amerikaner David Lindsay-Abaire spielt. Vor drei Jahren hat sich hier dessen „Mittelschichtblues“ als interessantes Stück erwiesen. Nun, interessant ist „Die Reißleine“ eigentlich nicht. Aber sie hat zwei prächtige Rollen für nicht ganz junge Damen, und eine pro Jahr verdient Doris Weiner ungefragt dafür, dass sie diese ganze Außenbezirkstournee seit Jahr und Tag unermüdlich leitet. (Der nächste Direktor will diese Institution, die historisch eine Glanzleistung des Volkstheaters war, abschaffen: Mit dem Theater dem „Volk“ nachfahren! Das war noch eine Spätfolge der Errungenschaften des „RotenWien“. Sachen gibt’s – dass eine rote Kulturstadträtin einen Direktor bestimmt, der eine solche Idee überhaupt in den Mund nimmt…)

Also, eine Altersheimgeschichte, die Wert darauf legt, nicht sentimental zu sein (am Ende wird sie’s doch, und zwischendurch auch gelegentlich). Dafür ist die Sache, sagen wir es ehrlich, eigentlich zutiefst unsympathisch. Da ist Abby – Doris Weiner grumpelig, rücksichtslos und absichtsvoll unfreundlich, energisch um ihre Einsamkeit in dem Zweibett-Zimmer kämpfend. Sie will ihre Ruhe haben. Frau Miesepeter gegen Frau Sonnenschein: Marilyn, ihre neue Mitbewohnerin, ist eine wirklich nette Frau – und Erika Mottl glaubt man es jede Sekunde. Abgesehen davon, wie schön es ist, dass diese Schauspielerin, die an diesem Haus als junges Mädchen „entdeckt“, gepflegt, gefördert wurde, nun nach vielen, vielen Jahren wieder zurückkehrt…

Aber ein brillantes Duell zweier Persönlichkeiten kann aus dem Abend nicht werden, dazu sind die Voraussetzungen zu mies. Die Damen tun sich – darum wettend, wer bleibt, wer geht – wirklich alles an, was man sich vorstellen kann. Und glaubhaft ist weniges, am allerwenigsten gleich zu Beginn, dass Marilyn durch Tochter und Schwiegertochter Abby aus dem Flugzeug werfen lässt, immerhin, der Fallschirm geht auf… geht es dümmer?

Gemeiner jedenfalls, wenn die Kriminalakten von Marilyns Gatten (Alkohol, Gewalttätigkeit) im ganzen Altersheim herumschwirren und ganz schön demütigend wirken. Ein fingierter Raubüberfall (!!!) – lustig? Dass Marilyn vorgibt, sich aufzuhängen, und Abby reagiert gar nicht darauf – wie geschmacklos ist das? Da ist es ja wenigstens „nur“ fies, Marilyns Sudoku-Buch vollzuschmieren und so zu ruinieren. Und der verbockten Abby ihren Sohn herzubestellen, zu dem sie den Kontakt abgebrochen hat, nachdem er sie mit seiner Drogensucht ruiniert hat… schon interessant, was einem so alles an Gemeinheiten einfallen kann.

Am Ende kommt’s noch dicker, bevor es ins sentimentale Happyend übergeht. Und man fragt sich, was einen an einer solchen vor Niedertracht triefenden Geschichte interessieren soll? Zumal unter der Regie von Anna Marboe, die den Ablauf zwar ganz geschickt meistert, nicht wirklich spannendes Theater daraus wird, schon gar kein schwarzer Humor. Gut, die beiden Ladies sind glänzend, weil sie ihre Persönlichkeiten so glaubhaft ins Geschehen werfen. Und der junge Julian Waldner tänzelt als Altenheim-Betreuer Scotty extrem sympathisch herum. Für die Tochter von Marilyn (Julia Jelinek) gibt es fast keine Rolle, für den Schwiegersohn auch nicht, aber Dominik Warta darf sich auch noch in Abbys reuigen Sohn verwandeln. Trotzdem würde man diesem Schauspieler mehr wünschen.

Leonard Cohen wabert im Hintergrund. Interessant, man schätzt ihn doch so sehr. Hier zieht er in die hässliche Geschichte noch eine sentimentale Ebene ein. Welch eine Mischung. Aber ja, Frau Weiner und Frau Mottl verdienen Rollen. Sie wären bloß in einem besseren Stück noch besser gewesen.

Renate Wagner

 

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