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WIEN/ Volksoper/ Staatsballett. GISELLE ROUGE – Der Traum von veredelnder Kunst– eine Illusion. Premiere

Ballettpremiere in der Wiener Volksoper:

12.4.2915: „G I S E L L E   R O U G E“

Der Traum von veredelnder Kunst– eine Illusion


Foto: Wiener Staatsballett – Barbara Palffy

 Der erneute Griff des Wiener Staatsballets nach dem russischen Choreographen Boris Eifman hat sich wiederum als sehr positiv erwiesen. Nach dessen Erfolgsballett „Anna Karenina“ (vor neun Jahren erstmals in Wien gezeigt) ist nun sein 1997 kreiertes Tanzdrama „Giselle Rouge“ für das Ballettrepertoire in der Volksoper eingekauft worden. Und wurde hier von Eifman gründlich überarbeitet und mit starker Wirkung auf das Premierenpublikum präsentiert.

 Eifman, Jahrgang 1946, Gründer und Chef seiner eigenen Kompanie, des St. Petersburg Eifman Ballet, ist ein Tanzschöpfer, der in seiner Heimat gelernt hat, mit aboluter Akkuratesse seine ausgedachten Geschichten wie seine Tänze zu modellieren. Und der all die Dynamik wie die tradierten Finessen des russischen Balletts vollblütig auszuschöpfen versteht. Dabei bei der Themenwahl in seinem umfangreichen schöpferisches Schaffen stets einer peniblen Kalkulation folgt. In seiner „Giselle Rouge“ hat er den Lebensweg der Tänzerin Olga Spessiwzewa in einem Stationentheater mit sicherem Instinkt für eine plakative Erzählung und auf einer impulsiven Musikcollage aufbauend nachgezeichnet. 

 Olga Alexandrowna Spessiwzewa (1895 – 1991) zählte zu den legendären Ballerinen des St. Petersburger Mariinski-Theaters und der Diaghilewa-Ära, gastierte weltweit, wurde für ihre Darstellung von Adolphe Adams „Giselle“ besonders gerühmt. Sie ist aber immer wieder von psychischen Störungen heimgesucht worden. Somit hat sich für Eifman ein breites Spektrum ergeben, eine Geschichte zu erzählen, welche sowohl artifizielle Perfektion fordert wie die Gefühle anzusprechen vermag. Schritt für Schritt, Szene auf Szene lässt er uns dem Lebens– wie Schicksalsweg der Spessiwzewa, im Stück verallgemeinend als ´Ballerina` bezeichnet, folgen. Tschaikowskis Streicherserenade führt noch mit heiterem Unterton in das zaristische St. Petersburger Ballettkonservatorium ein. Der Vereinnahmung durch den Ballettlehrer folgt nun die weit tragischere Vereinnahmung durch den Kommissar des nun gnadenlos herrschenden Sowjetregimes. Originelle kantige Musik von Alfred Schnittke kündigt stets dessen an Brutalität zunehmende Auftritte an.

 Zu Auszügen aus Georges Bizets „L´Arlésienne“-Suiten hat die Karriere der Ballerina nun in der Pariser Grand Opéra ihre Fortsetzung gefunden. Schicksalsschläge folgen jedoch auch hier. Menschliche Enttäuschungen, unerfüllte Liebe, Vereinsamung, mehr und mehr geschieht die Identifikation mit dem Lebensweg der Giselle. Tschaikowskis „Manfred Sinfonie“ oder „Francesca da Rimini“ untermalen diese aufkeimenden psychischen Probleme mit herben Klängen. Kurz bieten noch „Yes Sir, that´s my Baby“ und eine weitere spritzige Shownummer ein aufputschendes Intermezzo in den USA. Doch die Reminiszenzen an die Sowjet-Entmenschlichung, an den Verlust des Glaubens an Erfüllung durch Liebe wie auch die zu verzerrten Klängen getanzte Wahnsinnsszene der Giselle führen die Ballerina, nun auch sie eine unglückliche Wili, in ein verwirrendes Spiegelkabinett.   

 Die Verzauberung durch Tanz, der ganze Traum von einem veredelten Leben  – eine Illusion. Gut gemischt von Eifman und sehr, sehr überzeugend mit dem Wiener Staatsballet einstudiert. Olga Esina lässt als die Ballerina, als Rote Giselle – eingetaucht in das Rot der Sowjetregimes – berührend die Seelenkälte des roten Terrors rund um sie spüren. Als eine mit zarten Gefühlen aufblühende kostbare Blume, welche durch ihre schmerzhaften Erfahrungen leiden und auch wieder verblassen muss. Eno Peci ist ihr der zaristischen Ballettästhetik verfallene Lehrer, der von den neuen Gewaltherrschern ohne Erbarmen geschunden wird. Kirill Kourlaev mimt den Kommisssar mit immens stringenter Darstellungskraft. Roman Lazik ist in der Pariser Oper ein von ihr geliebter Partner, der allerdings von homoerotischem Zwang geleitet wird. Die ganz auf Eifmans Intentionen mit praktikablen Szenenwechsel abgestimmte Ausstattung  hat Wiacheslav Okunev entworfen. Dirigent Andreas Schüller lenkte das Orchester von Tschaikowski, Bizet, Adam zu Schnittke, und vom Tonträger schaukelte „Yes Sir“ auf. Einmal mehr perfekt und mit Hingebung von der ganzen Kompanie getanzt: „Giselle Rouge“ sollte als mit wohl kalkulierter Schöpferkraft gestaltetes und mit gehöriger Rafinesse aufgezäumtes Spektakel auch im Volksopern-Repertoire Gefallen finden.

Meinhard Rüdenauer

 

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