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WIEN/ Volksoper: POWDER HER FACE von Thomas Adés

15.04.2019 | Allgemein, Oper

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Foto: Barbara Palffy/ Volksoper

POWDER HER FACE

Volksoper im Kasino am Schwarzenbergplatz

14.4.2019

Dass diese Kammeroper von Thomas Adés eher nicht dafür geeignet ist, einen jungen Menschen an die Kunstform „Oper“ heranzuführen, ergibt sich alleine schon aus der Tatsache, dass hier ein Alterslimit von 16 Jahren angegeben ist. Da es am musikalischen nicht liegen kann, hat es naturgemäß mit der Handlung und dem Libretto zu tun (und im weiteren Sinne auch mit der Inszenierung).

Thomas Adés ist dem Wiener Publikum spätestens seit den beiden Aufführungsserien von „The Tempest“ an der Wiener Staatsoper bekannt – das Werk wurde umjubelt und von der Kritik auch sehr gelobt – wer erinnert sich nicht an die Vokalakrobatik der Audrey Luna? Nun, „Powder Her Face“ ist das Erstlingswerk des damals 24-jährigen Adès und war eine Auftragsarbeit des Londoners Almeida Theaters. Vorgaben waren – kleines Sängerensemble und kleines Orchester. Das Thema konnte sich der Komponist aussuchen. Adés kannte den Romanschriftsteller Philip Hensher, der den Einfall hatte, eine Oper auf der Basis der Lebensgeschichte der Margaret Campbell, Herzogin von Argyll, zu schaffen.

Den meisten Personen heutzutage (mir eingeschlossen) sagt wahrscheinlich der Name nichts, allerdings war zu Beginn der 1960er Jahre in London ihr Rosenkrieg mit ihrem damaligen Mann ein ganz großer Skandal. Da wurde vor Gericht wirklich Schmutzwäsche gewaschen – quasi als Höhe(oder doch Tief-)punkt wurde dem Gericht als Beweis der unmoralischen Lebensweise der Herzogin ein Polaroid-Photo vorgelegt, die sie bei der Fellatio zeigte. Pikanterweise war der Kopf des Mannes abgeschnitten, daher konnte der Boulevard sich in Mutmaßungen ergehen. Dass der Herzog selbst auch ein Verhältnis hatte wurde nicht erwähnt – so weit zu Moral dieser Zeit…

Die Oper wurde 1995 uraufgeführt und hält sich nun schon seit fast einem Vierteljahrhundert auf den Spielplänen – natürlich geht ihr der Ruf voraus, dass erstmals auf der Opernbühne eine Fellatio auskomponiert wurde. Beim Einführungsvortrag nannte die Dramaturgin der Volksoper dieses Werk mehrmals die „Blowjob-Oper“.

Ursula Pfitzner ist eine vokal und darstellerisch imponierende Herzogin.
Ursula Pfitzner. Foto: Barbara Palffy/ Volksoper

Die Handlung laut Wikipedia –

Szene 1. 1990: In Abwesenheit der Herzogin machen sich in ihrem Hotelzimmer das Zimmermädchen und ein Elektriker über sie und ihre Kleidung lustig. Die Herzogin betritt das Zimmer und überrascht die beiden. In Anbetracht der Demütigungen erinnert sie sich an ihre glanzvolle Vergangenheit.

Szene 2. 1934: In einem Landhaus wartet die junge Adlige und vormalige „Debütantin“ des Jahres“ gemeinsam mit ihrer Vertrauten und einem Salonlöwen auf den Herzog. Sie unterhalten sich über ihre jüngst erfolgte Scheidung von Baron Freeling. Seitdem ist sie in der Öffentlichkeit im Gespräch, und es wurden sogar Lieder über sie geschrieben. Sie lästern über den Ruf des Herzogs als Frauenheld. Er erscheint schließlich.

Szene 3. 1936: Die ehemalige Mrs Freeling und der Herzog haben geheiratet. Eine Kellnerin beschreibt die Hochzeit und das sittenlose Verhalten der Reichen.

Szene 4. 1953: In einem Hotelzimmer Londons verführt die Herzogin den Zimmerkellner und gibt ihm ein großzügiges Trinkgeld. Der Kellner lässt durchblicken, dass ihn ihr Verhalten nicht überrascht hat. Sie hat bereits einen einschlägigen Ruf unter den Angestellten.

Szene 5. 1953: Nach einer Party vergnügt sich der Herzog zuhause mit einer Geliebten. Diese erzählt ihm von den stadtbekannten Liebesabenteuern der Herzogin. Der Herzog ist fassungslos.

Szene 6. 1955: Nach dem Skandal ist es zu einem Gerichtsprozess gekommen, und das Urteil wird erwartet. Die Sensationspresse berichtet unterdessen gierig über die Herzogin. Der Richter verurteilt ihren Lebenswandel. Die Herzogin akzeptiert das Urteil gelassen.

Szene 7. 1970: Die Herzogin gibt ein abschließendes Interview. Nachdem zunächst von Mode, Gesundheit und ähnlichen Themen die Rede ist, wird schließlich doch ihr Lebenswandel angesprochen. Die Herzogin ist ungehalten darüber und bringt ihre Verachtung zum Ausdruck. Sie erhält eine hohe Rechnung vom Hotel, in dem sie lange Zeit gelebt hatte.

Szene 8. 1990: Der Hotelmanager fordert die Herzogin auf, das Hotel zu verlassen, da sie die Rechnungen nicht bezahlt hat. Sie versucht vergeblich, ihn zu verführen und reist schließlich ab.

Epilog: Der Elektriker und das Zimmermädchen vandalieren im verlassenen Hotelzimmer.

Zur musikalischen Seite – Adés schrieb für insgesamt 16 Instrumente (2 Violinen, Viola, Cello, Kontrabass, Klarinette, Saxophon, Horn, Trompete, Posaune, Akkordeon, Klavier und Schlagwerk) und für 4 Sänger ( 2 x Sopran, Tenor und Bass). Eingerahmt ist das Werk durch einen Tango (da findet man Anklänge an Astor Piazzola), der das Stück eröffnet und auch wieder beendet. Zu diesem Tango wird von den Darstellern eine Art Performance verlangt, die starke sexuelle Anspielungen (nun, eigentlich waren das keine Anspielungen mehr) zeigte.

Die Musik von Adés ist niemals atonal, man findet immer wieder Anspielungen – neben Piazzola – auf Strauss, Berg und Shostakovich, allerdings findet er auch eine eigene Tonsprache, die auf ihre Art sehr einnehmend ist. Von den Sängern verlangt er große Registersprünge (was besonders beim Part des Basses hörbare Schwierigkeiten mit sich bringt) und es zeigt sich, dass die ganz extreme Tessitura, die man aus „The Tempest“ kennt, ein Markenzeichen des Komponisten zu sein scheint – schon bei diesem Erstlingswerk muss eine der Sängerinnen an ihre oberen Grenzen gehen, zwar nicht so extrem wie im „Sturm“, aber doch.

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Barbara Palffy/ Volksoper

Die Inszenierung von Martin G. Berger im Bühnenbild von Sarah-Katharina Karl ist niemals langweilig und passt sich den Gegebenheiten des Kasinos perfekt an (normalerweise wird das Kasino ja vom Burgtheater bespielt). Die Videoeinspielungen von Anna Hirschmann passen auch wunderbar und helfen dem Publikum die jeweiligen Szenen besser zu verstehen, in dem immer wieder die Jahreszahl der aktuellen Begebenheit auf der Bühne eingespielt wird.  Es wird den vier Sängern (aber auch den Statisten) körperlich viel abverlangt, manchmal knapp zur Grenze zur Pornographie (ohne jemals geschmacklos zu wirken). Die Gesamtspielzeit von über 2 Stunden geht wie im Flug vorbei – ein Kompliment nicht nur an das Orchester der Volksoper Wien, das von Wolfram-Maria Härtig mit viel Übersicht geleitet wurde.

Ursula Pfitzner spielte und sang die Rolle der Herzogin mit vollem Einsatz, hatte überhaupt keine Probleme mit Höhen und konnte auch schauspielerisch punkten – immerhin  musste sie während des Abends um knapp 60 Jahre „altern“.

Den extremsten Part hatte Morgane Heyse zu bewältigen. Nicht nur, dass ihrer Stimme „Wuthering Heights“ abverlangt wurden, wurde sie auch mit Öl überschüttet etc. Das bedeutete, dass sie sich zwischen zwei Szenen duschen musste, um dann eine weitere Rolle zu verkörpern. Bis auf Ursula Pfitzner hatte jeder Sänger verschiedenste Charaktere zu spielen – im Falle von Heyse waren das – Zimmermädchen, Vertraute, Kellnerin, Geliebte, Gafferin und Gesellschaftsjournalistin….

Bei den beiden Männern machte David Sitka auf mich einen sehr guten Eindruck – stimmsicher und schauspielerisch großartig war er für die Darstellung des Elektrikers, Salonlöwens, Kellners, Gaffers und Lieferjungen zuständig. Bart Driessen hatte seinen großen Auftritt in der Gerichtsszene, als Bass hatte er ein- oder zweimal mit extrem hohen Tönen zu kämpfen.

Das Publikum zeigte sich wirklich begeistert und ich kann diese Produktion wirklich jedem empfehlen – ein kurzweiliger Abend, man bekommt was für sein Eintrittsgeld geboten – und ich befürchte, dass man „Powder Her Face“ in den nächsten Jahren in Wien nicht mehr zu sehen oder hören bekommen wird. Ich selbst werde mir das Werk noch einmal anhören – es gibt noch einige Vorstellungen im April!

Kurt Vlach

 

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