Fotos: Volksoper
WIEN / Volksoper:
ORPHEUS IN DER UNTERWELT von Jacques Offenbach
Premiere: 21: Jänner 2023
Innerhalb einer Woche Offenbach zum zweiten in den Musiktheatern Wiens. Ist im MuseumsQuartier eine Herde Trampeltiere für die „La Perichole“-Aufführung des Theaters an der Wien herumgerast (dafür wurde ausgezeichnet gesungen), nahm die Volksoper für „Orpheus in der Unterwelt“ einen ganz anderen Weg. Man engagierte ein englisches Comedy-Ensemble, von dem man sicher sein konnte, dass es das Publikum nicht mit billigem Austro-Agitprop belästigt.
Auch haben sie, was wohl nur die Briten wagen, die „Antiken-Operette“ dort belassen, wo Offenbach ihr den komödiantischen Raum gegeben hat: in der Antike – man kann ja schließlich ausufern. Dennoch ist nicht alles optimal ausgefallen, die Premiere „wackelte“ vielfach, als hätte man noch fünf Proben gebraucht, und zahlreiche Sänger werden mit Sicherheit die Offenbach-Anforderungen nie schaffen…
In der Offenbach’schen Satire sind Orpheus und Eurydike bekanntlich alles andere als das klassische Liebespaar, im Olymp geht es zu wie bei den Hausmeistern, in der Hölle wird CanCan getanzt – kurz, man kennt und liebt das Werk, mit dem Robert Meyer einst 2007 seine Volksopern-Ära eröffnet hat, es ist ein musikalisches Prunkstück mit unendlich vielen Nuancen. Und man kann gut damit beginnen, das Orchester und den Dirigenten Alexander Joel zu loben, die diese Musik nicht nur „dreschen“ (außer es ist vorgesehen), sondern auch geradezu zärtlich umschmeicheln, liebevoll die Melodien schmalzen lassen, akzentuiert die Frechheit ausspielen (denn wenn Musik „frech“ sein kann, dann bei Offenbach…)
Spymonkey, wie sich die englischen Comedians nennen, die Regisseure Aitor Basauri und Toby Park, haben – was nicht neu ist – den Komponisten selbst auf die Bühne gebracht. Georg Wacks (vom Theater an der Wien herübergewechselt, so wie man die Komiker Eder und Ernst jetzt „drüben“ findet, interessanter Austausch) führt Monsieur Offenbach (Marcel Mohab) ins Geschehen ein. Das sind Sketch-Szenen, die weniger bringen als erhofft und bei der Premiere noch ziemlich unausgegoren und sprachlich geschlampt waren. Das gibt noch Arbeit.
Im übrigen lassen die Regisseure mit Ausstatter Julian Crouch die längste Zeit ironische Antike entstehen, ohne das besonders zu „brechen“, es sei denn im ersten Akt mit einem drolligen Ballett von zuerst wolligen, dann geschorenen Schafen (Choreographie; Gail Skrela). Von diesem holden Unsinn hätte die Geschichte mehr vertragen, aber erst spät kommt eine Szene mit rosa gekleideten Bobbys, die die Brücke zu uns schlagen.
Eine Chance verpasst wurde mit der Figur der „Öffentlichen Meinung“, die in unserer Welt ja als sie selbst zum Problem geworden ist (man sehe nur, wie sich die „öffentliche Meinung“ an einem aktuellen Pornofall abarbeitet, um zu wissen, wie viel dazu – und zu anderem – scharf und witzig zu sagen wäre). Logisch, dass das britische Team nicht in die österreichische Gegenwart einsteigen kann, aber wenn die Figur nur ein bisschen Moral predigt, verliert sie im Grunde jede Funktion.
Außerdem war Ruth Brauer-Kvam hier vielfach ein Opfer. Zuerst ihres Kostüms, mit einem unkleidsamen, überbordenden Umhang, damit sich darunter die Herrschaften bewegen konnten, die sie trugen – eine ungeschickt wirkende Wackelpartie. Wenig zu sagen und wenig zu singen, brach Ruth Brauer-Kvam, die doch in „Cabaret“ so fabelhaft überzeugend gewesen war, angesichts der Aufgabe, Offenbach zu singen völlig ein. Dazu reichen weder Stimme noch Technik.
Ver-inszeniert haben sich die Regisseure auch auf dem Olymp – immer schon sind da viel zu viele Götter herumgewurlt und machen das Geschehen hoffnungslos unübersichtlich. Hier hat man noch unnütz weitere auf die Bühne gebracht, ein Chaos, das weniger amüsiert als stört. Da es hier obendrein die meisten sängerischen Ausfälle (mit den damit verbundenen Unsicherheiten) gab, schwankte man weniger im turbulenten Komödienland als in der Unsicherheit, ob das alles gut gehen würde… Übrigens muss Offenbach in den Sprechszenen theaterreif gespielt werden, und davon war man Lichtjahre entfernt.
Heldin des Abends war Hedwig Ritter als Eurydike, ein aufmüpfiges Früchtchen mit Komödien-Potential und einer großen Stimme. Spitzentöne brachte sie entweder mit erstaunlicher Sicherheit oder einfach gequietscht, wobei man hoffen möchte, dass letzteres mit voller parodistischer Absicht geschehen ist.
Ihr langhaariger Möchtegern-Popstar Orpheus bekam von Daniel Kluge Selbstironie und einen durchaus substanziellen Tenor, während er das „Fiedeln“ (Orpheus ist hier ein Geiger) Kollegen aus dem Orchester überließ.
Nicht nur als Erscheinung kräftig war der Pluto des Timothy Fallon, auch er konnte neben seiner Stimme Vis Comica ausspielen.
Damit sind die sängerischen Positiva ausgezählt, über das Gefolge des überforderten Marco Di Sapia als Jupiter (gar nicht komisch als Fliege) breite man Schweigen (was hat man von einem witzigen Auftritt des Merkur auf einer Art Rollbrett, wenn das, was er singt, nicht eine Sekunde zu verstehen ist?). Im übrigen sei mit einiger Empörung festgestellt, dass Hans Styx (Sebastian Matt) des Singens offenbar nicht mächtig war und eine der schönsten Arien des Werks, „Als ich noch Prinz war in Arkadien“, nach kürzester Zeit abbrach (abgesehen davon, dass er von einem Prinzen in Boeothien faselte, wie das?).
Weniger einfallsreich und weniger „Monty Python“ als erwartet (dort haben die Spymonkey Geistes- und Komik-Verwandte angegeben), war der Abend dennoch unterhaltend genug, um am Ende tosenden Jubel zu ernten. Tatsächlich muss sich dieser Theaterspaß im Lauf der Vorstellungen noch dringend einspielen. Man hätte nie gedacht, dass man so etwas je sagen würde – aber vielleicht sollte man es doch mit Verstärkern versuchen, sonst bleiben permanent zu viele akustische Wünsche offen…
Renate Wagner