Wiener Volksoper: Madame Pompadour am 8. Juni 2012
Annette Dasch, Heinz Zednik. Foto: Barbara Zeininger
Annette Dasch auf den Spuren von Fritzi Massary war in der Wiener Volksoper eine spannende Angelegenheit und letzten Endes eine umjubelte Premiere. Eigentlich müsste ja das Engagement der nach ihrer Babypause wieder auf die Opernbühne zurückkehrenden Berlinerin für die Hauptrolle in Leo Falls 1922
uraufgeführter Operette Madame Pompadour als veritable Fehlbesetzung bezeichnet werden. Denn die umtriebige Dasch besitzt ja viele Vorzüge und Talente, der typische Chanson-Stil der Massary, die nur über eine kleine Soubrettenstimme verfügte und damit im Deutschland der 1920-iger Jahre grandiose Erfolg feierte, ist nicht ihre Stärke. Und die Pompadour stammt – glaubt man den Ausführungen eines Alfred Polgar – eigentlich nicht aus der Feder Falls, sondern aus der von Massary, die massiv bei der Komposition mitredete.
Aber dennoch konnte man nach den drei Stunden (wobei besonders im zweiten Teil und bei den gesprochenen Dialogen ausgedehnte Striche angebracht gewesen wären) mit dem Gebotenen zufrieden sein. Denn der erstmals in Wien tätige Hinrich Horstkotte hatte sowohl als Regisseur als auch als Bühnen- und Kostümbildner seine Hausaufgaben gemacht.
Die gleichzeitig im Wiener Theatermuseum zu sehende Ausstellung „Die Welt der Operette“ birgt den Schlüssel für seine Arbeit. Denn dort ist eindrucksvoll zu sehen, wie sehr Varieté, Schlüpfrigkeiten, erotische Zweideutigkeiten und feiner Wortwitz die notwendigen Ingredienzien für Operettenerfolge (damals wie
auch heute) sind.
Die Handlung rankt sich um die historische Marquise Pompadour, Mätresse des französischen Königs Ludwig XV. Dank der frechen, satirischen Elemente des Stücks und einiger hitverdächtiger Nummern wie „Heut könnt‘ einer sein Glück bei mir machen“, „Mein Prinzesschen du, ich weiß ein verschwiegenes Gässchen“ oder „Joseph, ach Joseph, was bist du so keusch“ wurde das Stück zu einem Riesenerfolg. Natürlich wird es beim arrivierten Volksopernpublikum immer wieder Stimmen geben, die sich eher nach einem Zigeunerbaron sehnen, als nach einer typisch Berliner Operette wie der Madame Pompadour. Aber immerhin studierte Leo Fall in Wien, wo auch die beiden Librettisten Rudolf Schanzer und Ernst Welisch geboren wurden.
Aber die akustische Situation des Hauses gepaart mit der Tatsache, dass die Dialoge von Sängern und nicht von Schauspielern gesprochen werden, mindern halt
doch die Verständlichkeit der feinen Wortwechsel.
Die Berliner Morgenpost jubelte nach der ersten Premiere der Madame Pompadour: „Also – das ist wirklich ein großer Wurf, ein brausender Erfolg!“ Ganz so hymnisch wie diese Kritik für die Wienerin Massary in Berlin ausfiel, kann sie in Wien für die Berlinerin Dasch sicher nicht gelten, dazu fehlten ihr letzten Endes ein wenig die Leichtigkeit der Stimme (kein Wunder, steht sie doch in einem Monat wieder als Elsa im Lohengrin in Bayreuth auf der Bühne). Leider verlangt die Musik Falls keine wirklich große sängerische Bravour, sodass die Pfeile, welche die Dasch noch im Köcher hatte, nicht abgeschossen werden konnten.
Mirko Roschkowski. Foto: Barbara Zeininger
Ihr zur Seite feierte der Tenor Mirko Roschkowski ein sehr starkes Volksoperndebüt. Seine Stimme hat einen wunderbaren Schmelz und weckt die Vorfreude auf weitere Partien. Als Graf René bleibt er darstellerisch auf der sicheren Seite und begnügt sich mit naiven Blicken, den großen Verführer nimmt man ihm nicht ganz ab. Das Buffo-Paar Beate Ritter (in der Rolle der Kammerfrau Belotte) und Boris Pfeifer (als Dichter Calicot) verbreitet von der ersten bis zur letzten
Minute gute Laune. Im Falle der Sopranistin gilt dies sowohl für ihren feinen Gesang als auch ihre darstellerische Quirligkeit, dass Pfeifer vom Musical kommt, merkt man zwar in jeder Sekunde, hat aber den Vorteil, dass er für die mit Abstand beste Textverständlichkeit sorgt. Dementsprechend umjubelt wird er auch beim Schlussapplaus.
Auf Horstkottes Wunsch wurde für den König Kammersänger Heinz Zednik besetzt. Schön, dass man sich diesen Luxus leistete, der Publikumsliebling war aber mit der Minirolle unterfordert. Voll in ihrem Element waren hingegen Gerhard Ernst (als Polizeiminister Maurepas) und Wolfgang Gratschmaier (als
Polizeispitzel mit dämonisch-witziger Körpersprache). Bei den übrigen Darstellern merkte man, dass die Arbeit mit dem Regisseur offenbar wirklich so friktionsfrei und kreativ ablief, wie es dieser im Interview herausstrich. Es waren dies Georg Wacks (Prunier und Collin) und Elvira Soukop (Madeleine), sowie die Mitglieder des Chores, die Gelegenheit hatten solistisch in Szene zu treten (Marian Olszewski, Mamuka Nikolaishvili, Joachim Moser, Karin Gisser, Christiane Costisella, Heike Dörfler, Lidia Peski), Konstantin Hladik machte als Leutnant nicht nur mit seinem entblößten Hintern gute Figur. Für die Choreinstudierung sorgte in bewährter Weise Thomas Böttcher, die Hauptarbeit für die Damen und Herren war allerdings in der Garderobe bei den Kostüm-Verwandlungen zu leisten.
Über die musikalische Leitung durch Andreas Schüller und das Volksopernorchester fällt eine Rezension schwer, da die Partitur nicht gerade herausfordernd war. Die Balance zwischen delikaten Stellen und den manches mal doch mit heftigem Umtata daherkommenden Marschrhythmen wird sich im Laufe der Zeit hoffentlich noch einstellen.
Aber alles in allem können Operettenbesucher heute schon froh sein, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Und das tun sie in Wien allemal. Denn Horstkotte inszeniert in bestem Sinne konservativ, in wunderschönem Ambiente mit witzigen Requisitendetails und in prachtvoller Gewandung. So wurden für die Hauptrolle nicht weniger als elf verschiedene Kostüme gefertigt! Und Annette Dasch macht in jedem von ihnen perfekte Figur, in der Verführungsszene mit Calicot wechselt sie sogar gekonnt in das „brettlhafte“ der Rolle, da profitierte sie auch von ihrer gemeinsamen Zeit mit Horstkotte und Schüller in der Berliner Off-Opern-Szene.
Für die Repertoirevorstellungen sollte der Rotstift zum Einsatz gelangen, dann kommt sicher schneller Stimmung ins Haus als es bei der Premiere der Fall war, wobei die größte Zustimmung des Finalvorhanges Pfeifer, Horstkotte und Dasch galten.
Ernst Kopica