Fotos: © Marco Sommer / Volksoper Wien
WIEN / Volksoper:
LE NOZZE DI FIGARO von Wolfgang Amadeus Mozart
Premiere: 24. Mai 2025
Sex statt Klassenkampf
In der Inszenierung von „Le nozze di Figaro“, die Lotte de Beer nun an „ihrer“ Volksoper zeigt, steht im ersten Teil eine riesige Waschmaschine auf der Bühne. Darüber ist ein Zettel geklebt: „Out of Order“. Wenn man will, kann man das mit „Außerhalb des gewohnten Schemas“ übersetzen, oder, wie es richtig ist, mit „Funktioniert nicht“. Beides würde zu der Inszenierung passen, die in ihrer Turbulenz immer wieder das Stück verliert, weil noch ein Einfall und noch ein Einfall und noch ein Einfall das Geschehen oft bis zur Unkenntlichkeit verbiegt.
Sieht man in dem Werk üblicherweise – trotz Mozarts fast nie aggressiver Musik – das Wetterleuchten der Französischen Revolution, so hat sich Lotte de Beer ausschließlich auf die Schiene des Sex begeben. Die Herren wollen ihn alle, die Damen vielleicht auch, kriegen ihn aber nicht unbedingt (siehe die Gräfin Almaviva, die als einzige unter den Frauen weit und breit von ihrem Gatten nicht beachtet wird). Aber das wird nicht auf einer normalen menschlichen Ebene erzählt.
Vielmehr lässt Lotte de Beer schon zur Ouvertüre eine Schar von Commedia dell’arte-Figuren über die Bühne hüpfen, und das Ende ist dann ein so dezidierter Karneval, als befände man sich in Falstaffs nächtlichem Wald und nicht im Garten bei Almavivas.
Dazwischen verkünden Leuchtschriften auf Englisch, was Sex alles kann, und Sex-Figuren wandern (Statisten übergestülpt) herum. Kurz, eine an sich mehr oder minder real gemeinte Geschichte wird in die Kunstwelt regieführender Intentionen übertragen und lässt einen langen Abend lang das Chaos Purzelbäume schlagen.
Dabei bleibt vieles rätselhaft. Warum spielen die ersten beiden Akte (die Waschmaschine einmal abgesehen) in einer gewissermaßen altmodischen (barocken?) Ausstattung (Bühnenbild: Rae Smith) in zeitgenössischen Kostümen, sofern sie nicht ins Fantasy-Land ausufern (Jorine van Beek), während der zweite Teil bloß minimalistisch ein Bett im Leuchtstoffröhrenrahmen bietet? Wenn im ersten Teil zwei Eisenbalken „Laughter“ und „Applause“ vom Publikum gefordert haben (das brav tat, was man ihn vorzeigte, als säße man im Fernsehstudio), warum schleppt Almaviva im zweiten Teil das Applause-Trumm mit sich herum?
Und was soll der überdimensionale Wurstel, der im vierten Akt über dem Geschehen hängt? Und steckt ein tiefer Sinn dahinter, dass die Gräfin am Ende einen Kaktus überreicht bekommt`?
Zudem hat die Regisseurin wissen lassen, jeder Akt sei aus der Sicht eines anderen Protagonisten gestaltet. Davon merkt man gar nichts, höchstens dass Marcellina, die ja sonst eher unbeachtet bleibt, am Ende in ein Clownskostüm gesteckt wird, während sie eine Arie singt – ist das der Beitrag zur Emanzipation, der bei Lotte de Beer noch nie gefehlt hat, Marcellina und Barbarina, die ganz Alte und ganz Junge, im Zentrum? Nur dass sie es von der Handlung her leider nicht sind, schon gar nicht, wenn der letzte Akt zu einer wilden Sexparty umgedeutet wird.
Ja, Sex, da geht es manchmal sehr – na, sagen wir, tief untergriffig zu. Dass Cherubino von der Gräfin nicht keusch ein Band, sondern ein Unterhöschen stiehlt, soll sein. Dass er in das Dienerinnengewand, in das Susanna ihn steckt, die längste Zeit nicht hineinkommt, weil sein gutes Stück so beharrlich (und ungewöhnlich lang) wegsteht, das rutscht in die Hanswurst-Welt ab, wo dieser dem Publikum seinen nackten Popo gezeigt hat. Aber vielleicht ist das beabsichtig, wird das als lustig gesehen? So vieles liegt bekanntlich im Auge des Betrachters…
Daniel Schmutzhard, optisch „zernepft“, wie man in Wien sagen würde und gar nicht gräflich, läuft schon im ersten Akt hinter Barbarina her (Susanne ist anschließend an der Reihe) und ist auch sonst erotisch unterwegs. Matilda Sterby als Gräfin war der Liebling des Publikums, ihr „Dove sono“ erntete trotz enormer Höhenschärfen den stärksten Beifall des Abends. Michael Arivony als Figaro ließ mit einem schönen, dunklen Bariton aufhorchen, Lauren Urquhart als Susanna mit klarer Stimme, eine Leistung, die von einer wunderschönen „Rosenarie“ gekrönt wurde. Sehr viel Spaß machte Annelie Sophie Müller als Cherubino, von der Regie zu permanentem Slapstick angehalten, was sie bis ins Detail pointenreich erfüllte. Dazu kam ein Mezzo, der ausnahmsweise nicht zu hell war (wie man es bei Cherubino so oft erlebt). Ulrike Steinsky war für die Marcellina nicht so gut disponiert wie Stefan Cerny als ihr Doktor Bartolo, und Jaye Simmons ließ für die Barbarina eine schon recht große Stimme hören.
Was Omer Meir Wellber am Pult betraf, so hatte man den Eindruck, ein paar Proben mehr hätten gut getan, dann wäre es nicht zu einigen Mißverständnissen mit den Sängern gekommen und ein Mozart-Bild jenseits kräftiger Töne wäre vielleicht hörbar geworden. Dass die Schönheit der Musik nicht ausschwingen konnte, lang allerdings auch an der Inszenierung.
Das Publikum stieg auf die Turbulenzen des Abends ein, ob man wirklich etwas von Mozarts „Figaro“ gesehen hat oder nur eine überbordene Fülle von teils unnotwendigen Einfällen, sei dahingestellt (Susanne muss einen „Kurzen reißen“, sprich: einen Kurzschluß verursachen, damit sie eine Minute lang mit einer Perücke auftreten kann, wo ihr die Haare steil zu Berge stehen). Vielleicht stand bei manchem Zuschauer am Ende des Abends einfach Überdruß, während die anderen sich offenbar königlich amüsierten.
Renate Wagner