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WIEN / Volksoper: LASS UNS DIE WELT VERGESSEN – VOLKSOPER 1938

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Fotos: Volksoper

WIEN / Volksoper:
LASS UNS DIE WELT VERGESSEN – VOLKSOPER 1938
Ein Stück mit Musik von Theu Boermans
Uraufführung
Premiere: 14. Dezember 2023  

Nach der Revolution von 1848 bestieg der 18jährige Franz Joseph als Kaiser den Thron. Fünfzig Jahre später war er immer noch da. Man feierte dies 1898 mit der Eröffnung eines imposant großen Theater- und Opernhauses „für die  Vorstadt“, das am Gürtel gelegene Kaiser-Jubiläums-Stadttheater.

Diese heutige Volksoper feiert ihr 125jähriges Bestehen nun nicht mit einem „Kaiserwalzer“, sondern am Rückblick auf die düsterste Zeit – als nach dem „Anschluß“ die „Säuberung“ des Hauses von jüdischen Mitgliedern begann. Was übrigens nicht nur in der Volksoper geschah, sondern in allen Theatern und sonstigen Institutionen. Es war der kollektive Kahlschlag, die Katastrophe, die ewige Schande.

Direktorin Lotte de Beer hat für ihre in Auftrag gegebene  „Jubiläumsproduktion mit Trauerrand“ ihren niederländischen Landsmann Theu Boermans (in Wien als Regisseur an einigen Häusern bekannt) verpflichtet, in der Multifunktion als Autor, Bearbeiter einer Operettenvorlage und Regisseur. Die Überlegung, dass ein Nicht-Österreicher einen kühleren Blick auf das Geschehen werfen könnte, hatte sicherlich seine Berechtigung. Dabei besteht kein Zweifel, dass Boermans sich ausführlich von Marie-Theres Arnbom beraten ließ, derzeit Direktorin des Wiener Theatermuseums, Spezialistin für österreichisch-jüdische Schicksale, die das Buch „Ihre Dienste werden nicht mehr benötigt“ geschrieben hat, worin das Schicksal der jüdischen Künstler an der Volksoper in der Nazi-Zeit behandelt wird.

Wesentlich ist der Abend auch das Werk der neuen Chefdirigentin des Hauses, Keren Kagarlitsky. Sie hat sowohl den Klavierauszug der dem Abend zugrunde liegenden Operette (mehr Material war nicht zu finden) orchestriert, hat viel Schönberg, etwas Mahler und Ullmann in den musikalischen Kontext des Abends eingeführt und auch noch (was man wohl nur erkennt, wenn man es weiß) selbst Komponiertes beigesteuert.

Das Ergebnis soll unter dem Titel „Lass uns die Welt vergessen“ die Situation der „Volksoper 1938“ schildern, wo (angeblich) die Operette „Gruß und Kuss aus der Wachau“ aufgeführt wurde, Musik Jara Beneš, Text Hugo Wiener, Liedtexte  Fritz Löhner-Beda. Dabei verläuft die Handlung auf drei Schienen – „On Stage“ sieht man ausgewählte, aber immer noch reichliche Szenen aus dieser Operette, wo drei Schwestern aufbrechen, ihr Glück in der Wachau zu suchen (ihr „Tinder“ bestand damals darin, in den Tabak, den sie in der Fabrik verpackten, Annoncen zu stecken, auf der Suche nach passenden jungen Herren). Dazu kommt noch eine reiche Amerikanerin, die am Ende einen Grafen bekommt, und der Vater der drei Mädchen heiratet seine Angebetete – fünf Hochzeiten sind es am Ende, und dass auf der Bühne alle Bräutigame in NS-Uniformen erscheinen, das ist Teil des Stücks…

Denn es gibt auch den (wenn auch hier nicht wirklich komisch ausgenützten) Theater-auf-dem-Theater-Effekt, da man diese Operetten-Szenen ja alle nur als Probe erlebt. Diese Off-Stage-Ebene, die viele historische Persönlichkeiten auf die Bühne bringt, zeigt wie die Arbeit von Direktor, Regisseur, Autor und Dirigent an dieser Operetten-Inszenierung durch das Hereinbrechen der Nationalsozialisten zuerst gestört, später beendet wird.  Wenn alle jüdischen Künstler nach und nach hinaus geworfen sind, kommen die opportunistischen Nazis zu ihren Bühnenchancen – wobei der Qualitätsunterschied schon klar wird…

Tatsache ist jedoch, dass die dritte Ebene des Abends am stärksten beeindruckt: Hier geschieht nichts anderes, als dass im Hintergrund (in voller Bühnenbreite und –höhe) die Schwarzweißfilme von damals laufen, immer die politischen Ereignisse entlang, wobei schon klar ist, dass das kleine Österreich gegen Hitlers Entschlossenheit, es sich einzuverleiben, wirklich keine Chance hatte. Wenn zur Pause der „Führer“ vom Balkon der Hofburg den Eintritt seiner Heimat in das Deutsche Reich verkündet, bleibt dem Publikum die Luft weg, und es kann sich (das ehrt die Herrschaften) kaum zum Klatschen aufraffen.

Im zweiten Teil wird die Handlung  – wenn die Juden abgeholt werden – noch brutaler, und wenn Theu Boermans in seinem so genannten „Stück mit Musik“ auch den Versuch des Operetten-Eskapismus beschwört, so kann man ihm keinesfalls nachsagen, dass er „weich spült“ – da laufen hinter den Operetten-Szenen dann die Filme der Häftlinge in den Konzentrationslagern in ihren gestreiften Gewändern…

Was die Operette betrifft, die trotz angenehmer Melodien doch  zu sehr ausgewalzt wird, so besteht das Problem darin, dass diese schlichte Geschichte heute ziemlich unerträglich wirkt, aber nicht parodiert werden darf, weil man sie 1938 natürlich ernst genommen hat.

Dennoch stellt die Handlungsebene während der Proben die schwierigste Aufgabe dar, geht es doch darum, so viel Theoretisches, Weltanschauliches, politisch zu Erklärendes so lebendig zu machen, als sprächen die Menschen wirklich darüber. Da hat sich Theu Boermans mit einigen Ausnahmen (die Menschen am Heldenplatz müssen ja beschimpft werden) ziemlich zurück gehalten und  dafür gesorgt, dass die Theorie nicht allzu sehr „staubt“. Dass die Welt in  „gute Juden“ und „böse Nazis“ zerfällt, ist wohl kaum zu verhindern, es soll ja immer noch anschauliches Theater sein und keine theoretische Abhandlung.

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Der Abend muss schon seiner Personenfülle wegen ungeheuer teuer gewesen zu sein, das Bühnenbild von Bernhard Hammer zeigt den Aufwand (etwa im Hintergrund ein interessantes Möbel-Chaos auf der Drehbühne, wo die verschiedenen Personen quasi „zuhause“ gezeigt werden), die Kostüme (Jorine van Beek) erreichen samt den Frisuren und auch der Arbeit der Maskenbildner, dass man sich wirklich in den dreißiger Jahren fühlt. Und dennoch hat das ganze keinen „Show-Charakter“, der quasi über das bittere Thema hinweg helfen würde. Tragische Nüchternheit vor der Bühne und der professionelle Versuch, Eskapismus-Operette zu erzeugen, haben fast sachlichen Charakter (der durch die Videos unterstrichen wird). Folglich wird man auch keinen der Darsteller beim Outrieren erwischen, so sehr das auf der Hand läge.

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Man kann sie nicht alle aufzählen, die da durchaus eindrucksvoll ihre Rollen (und wenn sie in der Operette auftreten, auch Doppelrollen) gestalten. Johanna Arrouas ist als Hulda Gerin durchaus Diva, die dann in der Operette lebhaft eine reiche Amerikanerin spielt. Als Theaterdirektor Alexander Kowalewski steht Marco Di Sapia ununterbrochen unter Strom, der Regisseur Kurt Hesky ist durch Jakob Semotan raumgreifend präsent, „Theater statt Politik“ predigend. Karl-Michael Ebner spielt den Schauspieler Fritz Imhoff, (manche kennen vielleicht noch seinen Namen). der seinerseits wieder der Vater der drei Operetten-Töchter ist (wie aus dem Bilderbuch: Theresa Dax, Sofia Vinnik und Julia Koci)und kriegt zur Ehe auf der Bühne Ulrike Steinsky.

Ja, und die Volksoper kann Grafen besetzen, sie hat schließlich Kurt Schreibmayer, und für Giftzwerge bietet sich immer Nicolaus Hagg an. Und da sind ja doch noch zwei besondere Rollen – Andreas Patton als jüdischer Souffleur und als meist den Boden kehrender Bühnenmeister Gerhard Ernst, dem man gut besinnliche Reflexionen (ganz ohne Wiener Schmäh) in den Mund legen kann.

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Sie alle müssen vor allem spielen, aber wenn die Musik spricht, dann merkt man erst, wie viel der Abend der Dirigentin Keren Kagarlitsky (die vom Publikum schon zu Beginn mit Ovationen empfangen wurde) verdankt, sie fügt den Schönberg (allerdings nicht den zwölftönenden) harmonisch zum Operettenflair, malt die Tragödie auf musikalischer Ebene mit.

Leider muss man sagen, dass der Abend mit 3,20 Stunden Spielzeit um mindestens eine Stunde zu lang ist, er würde seine Aussage auch anbringen, wenn man sowohl in dem Operetten- wie in den Spielszenen ökonomischer wäre.

Ganz am Ende liest man vom Schicksal der Ermordeten und Vertriebenen – und ist froh, dass wenigstens einige von ihnen über 1938 hinaus noch ein Leben hatten, Kurt Herbert Adler beispielsweise, dessen Namen man als einen berühmten amerikanischen Opernchef kannte (ohne von seiner Wiener Vergangenheit zu wissen), oder Hulda Gerin, die als Hilde Güden noch jahrzehntelang vom Publikum der Staatsoper geliebt und verehrt wurde…

Standing Ovations für einen Abend, der Geschichtsstunde und Menschenschicksale verbindet Für ein Opern-Operetten-Haus ein Zwitterwerk, letztendlich doch mehr politische Botschaft als irgendetwas sonst. Aber wahrscheinlich haben wir eine solche gerade in Zeiten wie diesen nötig, wo man im Film die „Jude“-Aufschriften auf den Geschäften erblickt und zuletzt bei uns Judensterne auf jüdische Institutionen geschmiert sah…

Renate Wagner

 

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