Fotos: Volksoper
WIEN / Volksoper:
LA RONDINE von Giacomo Puccini
Premiere: 10. April 2024
Schmonzette mit Schmäh
Natürlich kann man von Giacomo Puccini nicht immer nur Boheme / Tosca / Butterfly / Turandot spielen, jenes goldene Glückskleeblatt seiner Inspiration, vier Werke, mit denen er die Opernbühnen beherrschen wird, so lange es diese gibt (die diesbezügliche Überlegung wollen wir im Moment nicht anstellen).
Was bleibt, wenn man von den Frühwerken absieht? Die Manon Lescaut, das etwas mühselige Trittico und das ziemlich verfahrene Goldene-Westen-Mädchen. Ja, und „Die Schwalbe“, die vielleicht so geheißen hätte, wenn es zu einer Uraufführung im Wiener Carltheater gekommen wäre, wo man das Werk bestellt hatte. Aber da herrschte der Erste Weltkrieg, die Uraufführung von „La rondine“ (und bei diesem Titel ist es geblieben) fand also 1917 in Monte Carlo statt. Immerhin war es in Wien die Volksoper, wo das Werk zum ersten Mal erklang. Eine „Wiener Tradition“ dafür gibt es also nicht.
Immer wieder ist, weil Carltheater, weil die Librettisten auch für Lehar gearbeitet haben, von „Puccinis Operette“ die Rede – auch die Volksoper erklärt, das Stück sei „vom Aroma der Wiener Operette durchdrungen“. Nichts könnte falscher sein – es ist echter, durchkomponierter Puccini, an manchen Stellen musikalisch eine Spur „leichter“ als seine großen Werke, aber keinesfalls grundsätzlich komödiantisch (auch wenn es eine Art Buffo-Paar gibt).
„La rondine“ ist eine romantische Schmonzette im „Traviata“-Stil, eine ziemlich langweilige Story und musikalisch mehr Routine als Einfallsreichtum, sieht man von dem Filetstück, der phantastischen großen Arie der Heldin Magda ab. (“Chi il bel sogno di Doretta”).
Dass auch ein Puccini ein paar Zentimeter unter seinem sonstigen Niveau immer noch groß ist, darüber muss man nicht diskutieren. Dass man das Werk allerdings nicht unbedingt spielen muss, darüber sind sich die meisten Opernhäuser einig – wenn es auch manchmal plötzlich einen Hype gibt: Die New Yorker Met nimmt dieser Tage ihre alte Inszenierung, die einst durch Angela Gheorghiu und Roberto Alagna ein Sängerfest war, wieder auf.
Magda, die ja wohl doch eine Art Kurtisane ist (immerhin wird sie von einem reichen Mann ausgehalten), verliebt sich in einen armen bürgerlichen Schlucker und rauscht mit ihm von Paris der Belle Epoque an die Riviera ab. Wie wir schon aus der „Traviata“ wissen, sind Geldsorgen ein Problem, wenn im Hintergrund kein reicher Mann mehr zahlt, und bürgerliche Eltern würden sich über eine solche Schwiegertochter auch nicht freuen. So verzichtet die Heldin schweren Herzen und unter Tränen auf ihren Geliebten, wie es sich bei der wahren romantischen Liebe ziemt…
Ein Frauenschicksal, wohl ganz nach der feministischen Grundstruktur der Lotte de Beer, die sich diesmal wieder selbst der Inszenierung angenommen hat. Und die längste Zeit scheint es (mit winzigen Ausrutschern), sie habe eine gewaltsame Regie-Interpretation (das kann sie auch) einfach gegen das brave Regiehandwerk getauscht, und überrascht in einem lockeren, schnell zu verwandelnden Bühnenbild (Christof Hetzer) und vor allem den Kostümen (Jorine van Beek) mit einer scheinbar historisierenden Inszenierung, die in das Paris des späten 19. Jahrhunderts zurück blendet. Was optisch schöner ist als vieles, was man zuletzt an der Volksoper gesehen hat.
Freilich sitzt Lotte de Beer der Schalk im Nacken. Erstens gibt es die Idee, die Übertitel für den auf Italienisch gesungenen Abend diesmal nicht über das Bühnenportal zu verbannen, sondern mit großer Schrift im Hintergrund auf einer Leinwand laufen zu lassen. Und da bekommt man nicht nur die Übersetzung, sondern auch immer wieder Angaben zum sozialen Zustand der damaligen Welt und zum Seelenzustand der Heldin. Vollends ausgereizt wird die so verbreitete Heiterkeit am Ende: Wohl wissend, dass in Oper (oder auch Operette) die Heldin eigentlich nicht nur weggehen, sondern sich aus verzweifelter, aussichtsloser Liebe auch das Leben nehmen würde, spielt Magda Variationen eines Sterbens, das sie nicht vollzieht, durch (vergiften, erstechen, ins Meer springen). Nur, damit uns die Regisseurin sagen kann, dass sie nun als selbständige Frau ins Leben geht und keine Perlenkette der zahlenden Liebhaber und wohl auch keine romantische Liebe von bürgerlichen Weicheiern braucht… Damit ist Lotte de Beer sich treu geblieben, aber mit so viel Humor, dass man nicht den bei Belehrungen sonst üblichen Ärger empfindet.
In dieser Oper gibt es viel unnützes Geplänkel, das in lebhafter Bewegungsregie versenkt wird. Dass es bei Magdas Liebhaber auch Orgien gibt, wird durch viele falsche Busen gezeigt, die plötzlich entblößt werden und an denen sich die Herren der Schöpfung (mit geborener Vorsicht, dass sie den Partnerinnen nicht zu nahe kommen) vergnügen dürfen. Nennt man so etwas „Kontextualisierung“? Echte Busen zu zeigen, wäre vielleicht peinlich für die betroffenen Damen (und im optischen Ergebnis möglicherweise nicht so makellos wie die künstlichen?) – aber der Busen per se als Kostüm wird als Symbol sexueller Enthemmtheit präsentiert? Na ja…
Sonst leistet sich die Inszenierung noch ein paar Scherze (etwa, wenn im letzten Akt das Personal in Badeanzügen von anno dazumal über die Bühne hüpft), aber im Großen und Ganzen wird die wenig glaubhafte Kitsch-Story erzählt. Sie hat in Alexander Joel einen Dirigenten, der in Puccinis Melos zwischen Süße und chorischem Aufbrausen schwelgt. Die Hauptdarsteller agieren nicht mit ähnlicher Überzeugungskraft. Da bräuchte es Stimmglanz, Stimmglanz, Stimmglanz.
Aber die Schwedin Matilda Sterby ist zwar eine liebliche Erscheinung, aber wenn ihre Stimme in der Höhe aufblühen müsste, produziert sie nur Schärfe, nie mit der nötigen technischen Raffinesse den brennenden Reiz gerade dieser Musik. Ähnlich überfordert wirkt Leonardo Capalbo als ihr Ruggero, zwar ein schlanker Latin Lover, aber kein Tenor, der Begeisterung erzeugen könnte.
Da hatten es Rebecca Nelsen als Magdas Kammerzofe Lisette und vor allem Timothy Fallon als deren Freund, der Dichter Prunier, leichter, bei ihnen kam es eher auf das Spiel an, das sie lieferten. Im übrigen gibt es jede Menge Nebenrollen, die nicht ins Gewicht fallen, bloß, dass Damen wie Johanna Arrouas und Julia Koci, die man an der Volksoper durchaus als Protagonistinnen kennt, hier zu Statistenrollen (mit minimaler Gesangsverpflichtung) verurteilt wurden.
Dem Publikum gefiel die gefällige Inszenierung (obwohl nach der Pause einige Plätze freiblieben), das amüsante Ende heizte die Stimmung noch an, und man musste gut hinhören, um ein paar Buh-Rufe inmitten des stürmischen Applauses zu hören.
Renate Wagner