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WIEN / Volksoper: GYPSY

11.09.2017 | KRITIKEN, Operette/Musical

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Fotos: Volksoper

WIEN / Volksoper:
GYPSY von Jule Styne
Premiere: 10. September 2017
Besucht wurde die Generalprobe

Wenn Maria Happel eine legendäre Musical-Rolle spielt, dann setzt sich auch der Theaterfreund in Richtung Volksoper in Bewegung. Zumal, wenn man zugibt (es setzt ja ein gewisses Alter voraus, auch wenn man damals noch einigermaßen jung war), dass man „Gypsy“ 1975 am New Yorker Broadway gesehen hat, im legendären „Wintergarten“, mit Angela Lansbury in der Rolle der Mutter Rose – eine herz- und nervenzerreißende Leistung, unvergeßlich. Wie man sie jetzt an der Volksoper wieder erlebt, wo das Unternehmen „Gypsy“ eins zu eins „Maria Happel“ heißt, für sie, nur durch sie möglich, nur für sie gerechtfertigt.

Man hat den Namen „Gypsy Rose Lee“ wohl schon gehört, ohne dass man in Europa mit ihr mehr verbunden hätte als „Show Business“. Aber die vielfach begabte Dame hatte eine höchst ungewöhnliche Mutter, die ihre Tochter „gemacht“ hat – von der sie sich aber letztlich abnabeln musste und der sie in ihren Memoiren das Denkmal als „heiliges Monster“ gesetzt hat. Und so brachten Arthur Laurents (Buch), Stephen Sondheim (der auch hätte komponieren können, aber nur die Songtexte schreiben durfte) und Jule Styne (Musik) die Geschichte 1959 als Musical auf die Bühne – von Anfang an als „Rolle“ für einen Star (bei der Uraufführung Ethel Merman) gedacht.

Die Tochter hatte den bekannten Namen – die Mutter ist Zentrum und Seele dieses Musicals, das, genau genommen, nur einen einzigen Hit hat: „Let me entertain you“. Besonders viel ist Styne über Routine hinaus nicht eingefallen, darum fällt es Dirigent Lorenz C. Aichner bei solcher Routine nicht ganz leicht, dauernden musikalischen Schwung aufrecht zu erhalten.

Neben der Geschichte der Mutter, die zwei kleine Töchter seit frühem Kinderalter „managt“, die jüngere, June, unbedingt zum Star machen will, und die ältere, Louise, im Hintergrund (meist im Bubengewand) agieren lässt, weil sie sie für unbegabt hält, liefert das Musical noch einen nicht uninteressanten Blick in die Welt des „niedrigen“ amerikanischen Show-Business der zwanziger und dreißiger Jahre – Kindershows, Vaudeville mit den patriotisch-amerikanischen Nummern, dem Steptanz, den bäuerlichen Albernheits-Szenen mit Kühen etc. für ein simples Publikum. Dann, noch tiefer, die Welt der Burlesque-Theater, wo sich schrille Transen, billige Stripperinnen und wüste Kostüme an Geschmacklosigkeit unterboten…

Das fügt sich gut in die Handlung, denn als die jüngere Tochter, die in der Vaudeville-Welt reüssieren konnte, der gnadenlos dominanten Mama 16jährig davonlief, puschte diese die ältere Tochter zum „Star“ – allerdings der billigen Burlesque-Szene. Man weiß, wie es weiter ging: Auch die ältere Tochter dreht Mama den Rücken und hat keine gute Nachrede für sie, und unsere „Heldin“ Rose bleibt einsam auf der Musical-Bühne zurück. Sie weint um die eigene Karriere, die sie nie machen durfte, und gibt zu, dass alles, was sie tat, weniger für die Töchter als für sie selbst war: Der Ego-Trip einer Frau, die nicht genug an Beachtung bekommen könnte… und solcherart eine ungemein zeitgemäße Figur. Hätte es damals schon Selfies gegeben, Rose hätte vermutlich Tausende von sich gemacht…

Maria Happel ist Rose, alles, was die Rolle braucht, strömt quasi mühelos aus ihrer Person, Erscheinung, Persönlichkeit – Übermutter, gnadenlose Diktatorin, große Seele, Liebende mit Rechenmaschine im Kopf, Kraftbrocken mit bühnenerschütternden Ausbrüchen, Charakterdarstellerin, die alles auf der Ebene hoher psychologischer Glaubwürdigkeit vermitteln kann. Ja, und singen kann sie auch, womit sich das Bild komplett rundet, ohne Abstriche – nicht einmal der Rücksichtslosigkeit der originalen Rose kann man die Happel zeihen, denn sie lässt die Darsteller neben sich leben. Obwohl der Abend, man sage es gleich, nur so richtig funktioniert, wenn sie zentral auf der Bühne steht…

Rose und Herbi Rose Gesicht x

Denn was Werner Sobotka in mehr als drei Stunden auf die Bühne der Volksoper stellt, ist viel zu lang, das Überflüssige springt einem nur so entgegen, da hätte eine Dreiviertelstunde verlustlos gekürzt werden können. So wird der Abend streckenweise zur zähen Angelegenheit. Denn so gut etwa Lisa Habermann als die „zweite“ Tochter ist, die sich vom hässlichen Entlein zum wahrlich schönen Schwan entwickelt, so virtuos Marianne Curn als erste Tochter die ewig quietschende, kreischende Kindlichkeit verkörpert, die ihre Mutter ihr aufzwingt, es ist doch nicht wirklich deren Geschichte. Und auch nicht die von dem ewig treuen Begleiter Herbie, den Toni Slama als echtes Rose-Opfer optimal verkörpert. Es gibt noch ein paar Rollen, die sich durch ihre Darsteller profilieren, der Opa des Wolfgang Hübsch, wenn es auch nur ein Auftritt ist, der Tessie Tura des herrlich schrillen Christian Graf. Und Martina Dorak macht sich einen Spaß daraus, erst eine herrlich altjüngferliche Sekretärin, dann eine ausgeflippte Stripperin zu sein.

Einige der Show-Szenen von Choreograph Danny Costello bringen Musical-Flair (am besten wohl noch die Stepptanz-Passagen), andere langweilen eher, so wie sich die Geschichte schleppt, sobald Rose alias Maria Happel sie nicht anschiebt. Aber sie tut es ohnedies die meiste Zeit, und wenn man Wien richtig einschätzt, wird sich das Publikum in Scharen auf den Weg machen, sie in dieser Rolle zu sehen.

Renate Wagner

 

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