Fotos: © Marco Sommer/Volksoper Wien
WIEN / Volksoper:
EINE NACHT IN VENEDIG von Johann Strauß
Neufassung der Dialoge von Fabian Pfleger
Premiere: 25. Oktober 2025
Ein Gschnas zum Geburtstag
Was darf die Operette? Viel. Sehr viel. Aber nicht alles. Sie darf (auf hohem Niveau bitte) blödeln bis zum Anschlag. Aber sie sollte nicht wirklich grottenblöd werden, wie es der Neuinszenierung von „Eine Nacht in Venedig“ in der Volksoper im Lauf des Abends immer stärker passiert. Die Premiere fand akkurat am Tag des 200. Geburtstags von Johann Strauß statt, den die Volksoper noch immer in alter Manier mit „ß“ und nicht mit Doppel „s“ schreibt, wie es seit einiger Zeit üblich ist.
Man kennt die holländische Regisseurin Nina Spijkers durch ihre Inszenierung der „Lustigen Weiber von Windsor“, die sich auch eine Menge Verbiegungen und Sperenzchen geleistet hat. Dabei fängt ihre Strauß-Geschichte so harmlos an. Das Bühnenbild von Studio Dennis Vanderbroeck gewinnt zwar keinen Preis, was da an Bogendekorationen auf der Drehbühne steht, wirkt, als hätte man es aus Papier ausgeschnitten, aber es zeigt zumindest, dass man es nicht „altmodisch“ will. Im Gegensatz zu den Kostümen von Jorine van Beek, die anfangs wirklich „historisch“ wirken, als wollte man „gute, alte Operette“ machen. Will man nicht.
Denn schon wenn Annina auftritt und „Frutti di mare“ verspricht, kriechen seltsam monströse Geschöpfe aus ihrem Boot, und der Abend schlägt den wahren Ton an; Karneval, Kostümwirbel, kein „Erkennen Sie die Melodie“ (die kennt man ja glücklicherweise), sondern „Erkennen Sie die Figuren?“ Und da ist alles drin, da huscht Hulk vorbei und Obelix, man kann gar nicht schnell genug schauen, in einer Damenriege findet man Frida Kahlo mit dem charakteristischen Blumenkranz im Haar und Marilyn Monroe mit dem weißen Kleid aus „Das verflixte siebente Jahr“.
Der Herzog zieht sich um und wird Batman, der „Domino“ der Damen (wie er im Original gemeint war) mutiert zu Superman vielmehr Supergirl, und die drei Senatoren von Venedig werden zu Donald Trump, Asterix (oder gehören die komischen Zöpfe etwa dem dritten Zwerg?) und vermutlich dem Papa aus der Addams Family,
Man ist vollends mit Schauen und Raten beschäftigt, und dabei benehmen sich die Darsteller immer dümmer, die Damen hüpfen und kreischen, als wären sie jugendliche Teenies, und was Bearbeiter Fabian Pfleger aus den Dialogen gemacht hat, ist kläglich. Natürlich „muss“ man politisch sein, angesichts der drei Senatoren sind die entsprechenden Witze aus der Gegenwart (samt „Mauer“) unvermeidlich, und Senatorin (ja, eine Dame) Testaccio, die später das Trump-Kapperl trägt, muss immer wieder fordern „Make Venedig great again“. Wir sind ja so einfallsreich.

In dem Haus von Lotte de Beer muss es immer um „starke Frauen“ gehen, und das geht nun einmal auf Kosten der Männer. Vor allem der Herzog von Urbino leidet, dem man den Frauenhelden total abschminkt, er ist ein kleiner Trauminet (selbst, wenn er mit den schwarzen Batman-Flügeln wackelt) und wird von den Ladies weidlich auf die Schippe genommen. Auch Caramello und Pappacoda dürfen sich entgegen ihres Rollenprofils nicht gewandt, sondern eher ungeschickt bis weinerlich verhalten. Von den Senatoren ganz zu schweigen, aber die sind ja schon im Original-Libretto als alte Dodeln angelegt.
Dass es hier wirklich um die Frauen ginge, kann man nicht sagen. Annina ist resolut, Ciboletta leider grenzdebil albern, und die eigentlich ziemlich zentrale Barbara Delacqua bleibt dermaßen am Rande, dass sie sich zu Beginn des dritten Akts (mit geradezu peinlicher Wendung ins Publikum) das Schwipslied erkämpfen musste. Dafür trinkt man heute nicht mehr Champagner, sondern kifft einfach…
Das Geschehen, vor allem auf Kostümwirbel und immer dümmere Aktion setzend, scheint nach und nach auseinander zu brechen. Und die Besetzung hält da nur wenig auf. Sicher Johanna Arrouas als Annina, von der man seit Jahr und Tag weiß, wie gut sie Operette kann, wirkt ja doch albern, wenn sie im Supergirl-Kostüm agieren muss. Juliette Khalil ist quirlig wie immer, aber kaum eine Figur. Ulrike Steinsky bleibt am Rande, Carin Filipčić als zweite Senatorengattin noch mehr, und dass Martina Dorak in einer Art Bunny-Kostüm mit Schweizer Flagge am Kopf (und ganz schlechtem Schweizerisch) auftrumpft, rettet sie davor, übersehen zu werden.
Was die drei Senatoren betrifft, so fand man neben Marco Di Sapia und Nicolaus Hagg offenbar keinen dritten älteren Herren im Ensemble und besetzte (im Männerkostüm) Ursula Pfitzner. Weiß der Himmel, warum. Jakob Semotan hat sich zum ersten Komiker des Hauses hoch gearbeitet, erscheint im Karnevals-Kostüm als Müllmann und stapft weinerlich herum. Dass James Park auch mitspielt, haben offenbar alle vergessen.
Seltsam die beiden Tenöre, Lucian Krasznec als Herzog und David Kerber als Caramello. Da standen zwei junge Männer weitgehend steif auf der Bühne und ließen metallische Tenöre hören, die nichts vom Schmelz und der Sinnlichkeit der Operette hatten, für die ihnen auch darstellerisch die Souveränität fehlte.
Und schließlich war da noch Alexander Joel am Dirigentenpult, der von Anfang an viel zu schwerfällig war und die Leichtigkeit, Spritzigkeit, auch schwelgerische Schönheit der Musik weitgehend vermissen ließ.
Das Publikum war den ganzen Abend hindurch äußerst applausfreudig. Am Ende setzten sich einige Buh-Rufe für die Regie nicht durch. „Armer Johann Strauß“, sagte eine Dame beim Hinausgehen. Sie hatte nicht ganz Unrecht. Der Geburtstags-Gschnas der Volksoper ist nicht wirklich überzeugend ausgefallen.
Renate Wagner

