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WIEN/ Volksoper: DIE LUSTIGEN WEIBER VON WINDSOR oder „Ach, Euer guter Ruf ist hin! 2. Aufführung dieser Poduktion

„Ach, Euer guter Ruf ist hin!» oder – Die lustigen Weiber von Windsor an der Wiener Volksoper, 2. Aufführung dieser Produktion am 15.05.2023

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Martin Winkler als Falstaff. Foto: Barbara Palffy/ Wiener Volksoper

1842 bis 1847 war Otto Nicolai Kapellmeister am Wiener Kärntnertor-Theater und bekam in dieser Funktion auch die Auflage, eine deutsche Oper zu komponieren. Da er zunächst kein Libretto finden konnte (auch ein Preisausschreiben war erfolglos), kam das Stück nie zur Aufführung. Nicolai wurde jedoch 1848 Kapellmeister an der Königlichen Oper Berlin und König Friedrich Wilhelm IV. daselbst gab ihm die Anweisung, das Stück dort zur Aufführung zu bringen und so wurden Nicolais «Die lustigen Weiber von Windsor» zwar in Wien geschrieben, aber in Berlin zur Uraufführung gebracht. Das Stück war dennoch von begrenztem Erfolg und wurde bereits nach 4 Aufführungen abgesetzt. Nichtsdestotrotz hielt es sich fast 100 Jahre im regelmäßigen Opernrepertoire und so nimmt sich auch die Volksoper dieses Werkes wieder an.

Lotte de Beer holt sich hierzu Nina Spijkers zur Verstärkung und tatsächlich werden wir vom ersten Takt der Produktion mit sehr farbenfrohen und opulent ausgestatteten Bildern verwöhnt. In Kombination mit dem passioniert spielenden Orchester der Volksoper unter der Leitung von Ben Glassberg ist auch die gesangliche Besetzung an diesem Abend wirklich erster Güte. Angefangen mit Anett Fritsch, die am Haus bereits als Mimì exzellente Abende bot und jüngst die Freia an der Lindenoper sang, und die an diesem Abend als Frau Fluth gewissermaßen in einen der Leads geht. Trotz ihres durchaus dominanten Mannes weiß sie geschickt, das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen und ihren jähzornigen Mann nicht nur unter Kontrolle zu halten, sondern so eben en passant auch noch die eine oder andere Lektion zu erteilen. So will es das Libretto und Frau Fritsch gelingt es ohne große Mühen diese Rolle mit spielerischem Charme und zu füllen und mit ihrem glasklaren Sopran ebenso mühelos gesangliche Akzente zu setzen. Mit einer Mischung aus italienischer Grandezza und britischem Understatement ist sie an diesem Abend eine fabelhafte Frau Fluth. Wir haben hier nichts anderes erwartet und es bleibt zu hoffen, Frau Fritsch auch in der Zukunft an der Volksoper erleben zu dürfen – diese wunderbare elegante Stimme ist wirklich eine Bereicherung für das Operngeschehen in Wien, brava, bravissima Anett Fritsch!

Darunter «zu leiden» hat Daniel Schmutzhard als jähzorniger Herr Fluth. In der Vergangenheit gab es oft Meinungen, die ihn beispielsweise als Danilo nicht ausreichend «kakanisch» (sprich ohne authentisches k.u.k. Flair) wahrgenommen haben. Am heutigen Abend ist er jedoch ebenso ideal für die Rolle besetzt, man merkt ihm die Freude an, mit welcher er spielt und sich in äußerste Rage spielen kann. Genüsslich gibt er den Ehemann, der sich für nichts zu schade ist, um seine Eifersucht zu befriedigen, dabei jedoch trotzdem immer den Kürzeren zieht. Vermutlich ist es eine Art Kompensation, die den Fluth antreibt, ist er doch gegenüber seiner Frau der (auch intellektuell) Unterlegene, während sein Selbstbild ihn jedoch als großen Zampano und klares Alphatier wahrnimmt. Herr Schmutzhard hat dabei nicht nur die nötige Erfahrung und Routine diese Rolle leidenschaftlich auf die Bühne zu bringen, sondern auch einen wunderbar ausgewogenen Bariton, der stets klar verständlich bleibt und sowohl eine wohltemperierte Lagen, als auch eine ausreichende Lautstärke aufweisen kann. Auch hier sitzt die Partie einwandfrei, auch hier ist es eine große Freude zuzuhören und zu schauen. Bravo, bravissimo, Daniel Schmutzhard!

Das zweite «lustige Weib», Frau Reich, wird ebenso passioniert und mit großem Elan von Stephanie Maitland dargestellt, die ebenso routiniert diese Rolle mit Leben füllt. Frau Reich ist mitnichten so hemdsärmelig wie Frau Fluth, genießt jedoch die Möglichkeit, unter der Initiative ihrer Nachbarin diesen Jux durchführen zu können und aus dem Alltag ihres Seins ausbrechen zu können. Dabei entdeckt sie ganz neue Möglichkeiten und den Spaß an der Rebellion, zumindest für einige Zeit. Frau Maitland taugt diese Rolle, das merkt man und auch sie ist spielerisch routiniert genug, im Getümmel dieser fast schon hektischen Geschichte mal entschieden, mal grüblerisch zu agieren. Hinzu kommen die gesanglichen Qualitäten der schottischen Altistin, die auch an diesem Abend einmal mehr beweist, daß sie einen ganz elementaren Gewinn für das Ensemble an der Volksoper darstellt: Unterhaltsam, präzise die Situation auf den Punkt bringend in der sie spielt, dabei über eine rubinfarbene Stimmfarbe verfügend, die sie beherrscht und an den richtigen Stellen effektvoll einzusetzen weiss. ‘S math a rinn thu und brava, bravissima Stephanie Maitland!

Schließlich ist auch das Rollendebut von Alexandra Flood als Anna Reich zu nennen. Als jugendlich rebellierende Tochter, die keinen der durch ihre Elternteile favorisierten Männer, sondern ihren Geliebten Fenton heiraten will, symbolisiert sie die Zukunft, das neue und den Aufbruch der ohnehin durcheinander geratenen Strukturen in Windsor. Mit „Wohl denn gefasst ist der Entschluss“ legt sie dann im 3. Aufzug die wohl schönste Arie des Abends wirklich makellos vor. Träumerisch sehnend, voller Sehnsucht, lebensbejahend, ausdrucksstark, stimmlich funkelnd und klar. Wir dürfen hier eine Arie in der besten Tradition der deutschen Hochromantik erleben und Frau Flood gelingt es – zweifelsohne durch Ihre umfangreiche Erfahrung im Deutschen Lied – diese gefühlvoll umzusetzen. Wir schmelzen also regelrecht dahin, brava bravissima Alexandra Flood!

Daß Kammersänger Martin Winkler ein Spezialist für besondere, herausstechende Charaktere ist, muss hierzulande nicht mehr erwähnt werden. Alberich, der Reisende in Death in Venice, Baron Ochs auf Lerchenau, Gianni Schicchi oder Oberst Ollendorf im Bettelstudent – kaum jemand versteht es wie Martin Winkler diese Rollen zu teils grotesken, teils angsteinflößenden aber immer im Gedächtnis bleibenden Figuren zu gestalten. So schafft er dieses Mal einen wunderbar abgehalfterten Sir John Falstaff zu kreieren. Herr Winkler wählt hier mitnichten die beliebte Variante, den trinkfesten Ritter als leicht vertrottelte Variante darzustellen. Sein Falstaff ist nicht nur gewitzt. Er ist auch viel mehr tiefenentspannt und lässt die Ereignisse mit großer Gelassenheit letztlich an sich vorübergehen. Natürlich ärgert ihn die Tatsache, daß man ihn als Person von Stand ins Wasser der Bleiche warf. Aber letztlich definiert er sich nicht über seinen Titel, sondern darüber, wie er diesen errungen hat und diesen verteidigen kann. Und dies tut Sir John am besten am Glas, seinen ritterlichen Abenteuern werden eben höchstens noch mit Frauen erlebt (oder besser „wurden“?). Herr Winkler lässt seinen Falstaff dann frei nach der Fledermaus leben: „Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist“. Auch musikalisch kann er hier einen soliden, trinkfesten, gestandenen und massiven Bass hinstellen. Das Ergebnis ist eine wirklich amüsante und höchst unterhaltsame Darstellung des Sir John, bravo bravissimo KS Martin Winkler!

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Foto: Wiener Volksoper/ Barbara Palffy

Das klingt also eigentlich alles nach einem fabelhaften Abend und grandioser Unterhaltung. Eigentlich. Denn auch bei dieser Neuproduktion fallen einige Punkte unangenehm auf, die schon in vergangenen Neuproduktionen der Volksoper gestört haben. Zum einen ist da der Humor. Schon in der Neueinstudierung der Fledermaus ging der zuvor für die Volksoper so charakteristische, feine, doppelbödige und kluge Humor verloren und wurde stattdessen durch billigen Slapstick ausgetauscht, der höchstens in deutscher Comedy à la Mario Barth zu finden und nun wirklich das Gegenteil von Humor zu nennen ist. In Offenbachs Orpheus zog sich dieses seltsame Verständnis weiter durch und unter dem Etikett britischen Humors, wurde tiefster Fäkalhumor auf die Bühne gebracht, so daß sich der zweite Akt fast ausschließlich um ein gigantisches Hundstrümmerl des Cerberus drehte. Das war weder britisch noch pythonesque, das war schlichtweg Spam (und zwar nicht der Spam aus dem gleichnamigen Sketch). Und auch an diesem Abend ist der Humor wirklich flach, schon zotig. Da nimmt Herr Fluth ein Würstl aus seinem Wappen, um damit den maskierten Sir John zu schlagen. Überhaupt ist dieses Wappen auch gerne mit zwei flankierenden Gugelhupfen als Phallus arrangiert. Als Herr Bach muss er sich dann mit einer Bach-Perücke und einer Sonnenbrille kostümieren. Schließlich müssen wir Sir John beim öffentlichen Urinieren in einer öffentlichen Bedürfnisanstalt zuschauen, während er mit Herrn Bach Konversation führt und dabei gleich zweimal seiner Hose verlustig geht. Ist das wirklich das Niveau, auf welchem die Volksoper versucht, lustig zu sein? Wir schätzen die Kreativität der dort agierenden Künstler eigentlich als deutlich umfangreicher ein und die Bühnenbilder der nunmehr fast abgelaufenen Saison haben bislang auch genau das bewiesen (es sei nur an die wirklich wunderbare und kluge «Iolanthe» verwiesen!). Es ist also mitnichten verständlich, weshalb man auf diesem Flachwitz-Niveau agiert, insbesondere da es die originellen Ideen der Neuinszenierung ohne Grund ruiniert. Wo sind nur der Feinsinn und die Elegance geblieben, die die Volksoper einst ausmachten?

Dazu kommt zum Zweiten jedoch noch ein anderer Aspekt und der ist dann wirklich gravierend. Die Regie von Nina Spijkers setzt die Geschichte mitnichten ins elisabethanische England (beziehungsweise in jenes Heinrich VIII.), sondern ins Österreich von 1918. Dies tut sie, um zwei gesellschaftliche Veränderungen exemplarisch im Stück wiedergeben zu können: Die Abschaffung des Adels und die Einführung des Frauenwahlrechts. Ihr Ziel ist dabei, das Stück zu einem Akt feministischen Aktivismus umzudeuten und es verwundert dann nicht, daß dies zu zahlreichen Unstimmigkeiten und Fehlern führt. So wurde der Adel in Österreich erst 1919 abgeschafft, wenn Sir John also vorgehalten wird, der Adel sei abgeschafft, stimmt dies in Bezug auf Österreich 1918 schlicht einfach nicht (vergessen wir im Übrigen nicht, daß sich Österreich 1918 noch immer im ersten Weltkrieg befand, Hunger und Not herrschten vor, es gab also wenig Grund irgendwie lustig zu sein und Sekt in Tavernen zu trinken). Sir John wäre dann auch ein Johann Ritter von Falstaff gewesen. In England hingegen herrscht die Monarchie bis heute vor, wie den meisten Menschen nicht entgangen sein wird, ist erst jüngst Charles III. zum König gekrönt worden.

Die Bürger von Windsor, das bekanntlich auch nicht in Oberösterreich liegt, treten alle in krachlederner Tracht auf, trinken ihren Sekt aus Maß- und Tonkrügen und werden – ganz im Sinne des Crossdressing – ausschließlich von Frauen mit aufgeklebten Bärten dargestellt. Dafür wird dann der zweite Akt in ein Strandbad verlegt, in welchem die Herren alle in Badeanzügen mit weiblichen Kopfbedeckungen agieren. Hinzu kommt die Streichung von ganzen Stellen des Librettos, wie beispielsweise der Versöhnungsszene zwischen Frau und Herrn Fluth. Dafür werden Stellen beliebig hinzugefügt und so muss die Anna dann vor dem dritten Akt den folgenden Satz von sich geben: «Die armen Männer verdienen sogar Mitleid, weil sie es nicht verstehen». Dass diese, wohlgemerkt hinzugefügte Satz natürlich hochgradig beleidigend und diskriminierend ist, versteht sich von selbst. Gegenüber Männern im Allgemeinen, aber auch gegenüber der Rolle des Falstaff, der Bodyshaming in Reinform erleben darf. Dass dies unter dem Deckmantel der Gleichberechtigung, der «Woke» Ideologie und von Diversity geschieht, ist dann schon nicht mehr Ironie, sondern blanker Sarkasmus.

Dabei ist eine Umdeutung des Stückes völlig unnötig, denn im Libretto steht ohnehin alles geschrieben und in der originalen Geschichte bekommen verschiedene Arten von omnipotenten und sich selbst überschätzenden Männern gehörig ihr Fett weg. Das Interview im Booklet offenbart dann sehr eindeutig, dass Frau Spijkers hier klar sozialistisch-marxistischen Positionierungen vertritt und das Stück zur Verbreitung ihrer Agenda nutzt und es deshalb umschreibt. Eine «fröhliche[n] Revolution» will sie dort voranbringen, sie redet von einem «gesellschaftlichen Würgegriff» in dem sich Frauen befänden, weshalb sie einen «fröhlichen Aktivismus» umsetzen wolle. Letztlich werden wir also wieder einmal einen typischen Fall des sogenannten «Regietheaters» konfrontiert. Der Regisseurin ist das originale Libretto auch egal, sie meint, dieses besser zu kennen als die Erschaffer des Werkes selbst: «Der Originaltext von Mosenthal und Nicolai ist so formal, dass die Erzählung nicht mehr vorankommt.» Stattdessen deutet Frau Spijkers das Libretto mit zahlreichen Aussparungen und Hinzufügungen um. Auch wenn die originale Geschichte von Shakespeare, das Stück eben von Nicolai und Mosenthal ist, spielt das keine Rolle. Was für eine Hybris zu glauben, auch nur über einem dieser Künstler zu stehen und besser wissen zu wollen, was diese geschaffen haben!

Hier geht es also nur noch um Selbstdarstellung der Regie, Frau Spijkers sieht sich als eine weitere Vorreiterin bei der Umsetzung woken Gedankenguts und der damit einhergehenden Weltrettung. Spätestens hier ist die Frage nicht nur berechtigt, sondern dringend nötig, wie es sein kann, daß mit Steuergeldern die Verbreitung von politischen Ideologien finanziert wird, welche dann gleichzeitig noch diskriminierend agieren?

Bereits an diesem Montagabend war das Haus zur knappen Hälfte leer. Ein Trauerspiel, denn wir durften wunderschöne Bilder und ein fabelhaftes Ensemble erleben. Weshalb nun immer wieder politische Themen auf die Agenda der Volksoper gehievt werden, muss Lotte de Beer beantworten. Die kommenden Neuinszenierungen, wie beispielsweise jene der Lustigen Witwe in der nächsten Saison lassen uns übles schwanen. Die Hoffnung stirbt zuletzt, doch: «Ach, Euer guter Ruf ist hin!».

E.A.L

 

 

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