Fotos: Volksoper
WIEN / Volksoper:
DIE DREIGROSCHENOPER
Ein Stück mit Musik von Bertolt Brecht (Text) und Kurt Weill (Musik)
unter Mitarbeit von Elisabeth Hauptmann
Premiere: 27. November 2022
Die „Dreigroschenoper“ ist ein überdurchschnittlich oft gespieltes Werk, obwohl es – genau betrachtet – weder einfach noch gefällig ist. Tatsache ist, dass es die „Oper“ zwar im Titel trägt, aber von Brecht als „Stück mit Musik“ bezeichnet wurde. Das heißt, dass es fast nur in Sprechtheatern gespielt wird, mit Schauspielern, die mehr oder (meist) weniger singen können. (Eine Ausnahme war die Aufführung des Theaters an der Wien 2016, mit „echten“ Sängern wie Kirchschlager, Otter, Boesch,)
Nun trat die Volksoper der Lotte de Beer an, den Schwerpunkt auf die Musik zu setzen – und den Macheath mit einer Frau zu besetzen. Außerdem sollte das Werk „bunt“ werden, denn tatsächlich sahen Aufführungen zum überwiegenden Teil düster aus, den „Fetzenlook“ der Bettler-Welt bedienend. Alle Ziele wurden erreicht.
Schwerpunkt Musik: Regisseur Maurice Lenhard setzt auf die „Musiknummern“, von denen die meisten ja sehr populär geworden sind. Solcherart nimmt der – mit über drei Stunden übrigens überlange – Abend immer wieder den Charakter einer Nummernrevue an, annähernd showartig gestaltete Musik / Gesang / Tanz-Szenen, die absolut funktionieren. Und dass professionelle Sänger am Werk sind, gibt dem Abend einen ganz ungewöhnlichen Charakter.
Bloß – das, was Brecht zynisch, brutal und direkt sagen wollte, seine offensive Kapitalismus-Kritik, kommt natürlich viel besser zur Geltung, wenn es im Sprechgesang hart herausgestoßen, als wenn es schön gesungen wird… Das ist dann auch das Manko des Abends: Die „Oper“ lässt das Stück hinter sich (obwohl die Sänger kompetente Darsteller sind). Die Moral-Parabel, das Lehrstück, die bleiben im Hintergrund. Man kann wohl nicht alles haben…
Die Buntheit kommt von der Ausstattung, vor allem den Kostümen von Christina Geiger, die die Hauptfiguren in allerlei kitschige Pastellfarben witzig gekleidet hat – aber wenn die Bettler-Figuren grotesk-bunte Stoffbündel sind, kann beispielsweise das Prinzip von Peachum, Bettelei zum Geschäft zu machen, nicht transportiert werden. Das Bühnenbild von Malina Raßfeld besteht aus Treppenkonstruktionen auf der Drehbühne, wobei sich gelegentlich, wenn benötigt (im Puff, im Gefängnis) ein kleiner Raum hebt. Das alles wird logistisch sehr geschickt bespielt – bzw. für die Gesangsnummern benützt. Die reinen Spielszenen ermangeln der Härte, der scharfen Pointierung, der Aussage, die in dem Werk steckt. Musik und Szene wickeln diesen Abend in buntes Geschenkpapier. Dabei packte Carlo Goldstein die Musik durchaus hart an – die „Operette“ fand nur auf der Bühne, nicht im Orchester statt.
Sona MacDonald ist Mackie Messer, mit weißer Kurzhaarfrisur, schlank und rank ganz in Weiß, elegant, beweglich, spielerisch, eine wunderbare Schauspielerin mit exaktester Artikulation. Und, wie man weiß, eine hervorragende Sängerin – so ist der Nobelgauner wohl noch nie gesungen worden. Für ihren „Abschiedssong“, wenn Macheath tatsächlich seinem Ende ins Auge schaut (und sie hat aus der coolen Attitüde der Figur durchaus etwas wie Todesangst durchschimmern lassen) hat sich der Regisseur eine geradezu gruselige Lösung einfallen lassen – in die Höhe gefahren, dann in der Tiefe versinkend, eindrucksvoll. Aber so sehr man diese Leistung bewundert – eine sinnvolle Erklärung, warum der Mann von einer Frau gespielt wird, gibt es nicht. Und wenn statt der Spelunken-Jenny ihr / ihm ein junger Mann als Geliebte / Geliebter gegenüber tritt (Oliver Liebl ist da durchaus überzeugend), macht das auch nicht wirklich Sinn. Das Gendern wird schlechtweg überschätzt, vielmehr hochgeputscht, aber vernünftig argumentierbar scheint es kaum.
Bedenkt man, wie viel Schauspieler aus dem Peachum heraus geholt haben, so ist Carsten Süss mir eine Lustspielfigur am Rande, kein Mann, der verhängnisvolle Macht besitzt und grausam agiert. Ebenso muss Marco Di Sapia die Bedeutung des Brown, des sentimental-rücksichtslosen, bestechlichen Polizisten in seiner Bedeutung herunter spielen.
Sehr komisch ist hingegen Ursula Pfitzner als Mrs. Peachum, die schon ein wenig hintergründiger agiert. Und die voll ausgesungene Polly der Johanna Arrouas markiert überhaupt einen Höhepunkt des Abends. Wenn sie mit Julia Koci als Lucy zusammentrifft und sich die beiden über Macheath in die Haare geraten, da prallen wahrlich die Persönlichkeiten auf einander. Die Nebenfiguren gewinnen hingegen kaum Profil.
Ja, es war eine „andere“ Art, die „Dreigroschenoper“ zu sehen, und sie hatte Qualitäten. Aber man erkauft einen bunten Opernabend damit, dass eines der bösesten Stücke der deutschen Literatur nicht mehr als solches erkennbar ist.
Das gut besuchte Haus spendete viel Beifall und feierte verdientermaßen vor allem Sona MacDonald.
Renate Wagner