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WIEN / Volksoper: DER ROSENKAVALIER

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Fotos: Volksoper

WIEN / Volksoper: 
DER ROSENKAVALIER von Richard Strauss
Premiere: 31. Oktober 2021 

Gehen wir davon aus, dass es in Wien nicht nur „ein“ Opernpublikum gibt, das von der Staatsoper über die Volksoper bis zum Theater an der Wien und der Neuen Oper und möglicherweise noch den sporadischen Angeboten verschiedener Ensembles alles besucht, was geboten wird.

Zweifellos gibt es ein Publikum für die Staatsoper. Und eines für das Theater an der Wien. Und eines für die Volksoper. Und dort spielt man nun den „Rosenkavalier“.

„Rosenkavalier“ klingt schön und einladend. Eine Dreiecksgeschichte, dazu ein deftiger Komiker. Könnte eine Operette sein, ist aber keine, obwohl es einen Walzer darin gibt. Darüber hinaus aber ein zumindest sprachlich und gedanklich ungemein anspruchsvolles Libretto. Und keine Musik zum Mitsingen. Und außerdem ist das Werk lang, sehr lang – viereinvierel Stunden. Das reicht an Wagner heran.

Nun hat Robert Meyer in seiner zu Ende gehenden Ära an der Volksoper vieles versucht (immerhin „Salome“, immerhin den „Fliegenden Holländer“), aber mit dem „Rosenkavalier“ geht er ein Risiko ein. Da rümpfen die Wiener, die das Werk in der Staatsoper im Schenk-Look gewöhnt sind, ja schon die Nase, wenn der Abend nicht mit Fleming, Garanca und Groissböck besetzt ist. Kämen sie überhaupt auf die Idee, einen „Rosenkavalier“ in der Volksoper sehen zu wollen?

Die Premiere war ziemlich gut besucht, wenn auch bei weitem nicht ausverkauft. Es gab viel Beifall, nicht erst am Ende, wo Regisseur Josef Ernst Köpplinger mit einem poetischen Trick (auf einmal rieselt ganz zart Schnee herab, in den Octavian und Sophie hinein laufen) wunderbare Stimmung erzeugt. Nun, es ist ein Volksoper-„Rosenkavalier“, einer der anderen Art.

Köpplinger hat ihn im Bühnenbild von Johannes Leiacker und in den Kostümen von Dagmar Morell schon vor zwei Jahren in Bonn heraus gebracht. Rund um die Bühne läuft ein Goldrahmen – er ist ein bisschen schäbig. Das Stück ist gerutscht, wie heutzutage üblich: Vom Wien Maria Theresias in irgendwelche zwanziger Jahre. Das nimmt dem Werk einiges, das irgendwie integral dazugehört: Wenn der „Rosenkavalier“ ohne Entourage sang- und klanglos bei Faninal hereinspaziert, der Haushofmeister nimmt ihm den Mantel ab (wenigstens seinen Degen hat er noch, den braucht er dramaturgisch dringend), und der junge Mann hält Sophie die Rose hin – da fehlt etwas. Und wenn die Marschallin im letzten Akt nicht ihren Auftritt im Prunkkleid der „Frau Fürstin Feldmarschall“ hat, ist das eben kein Auftritt mehr, dann kommt sie halt.

So ist der andere „Rosenkavalier“ ein glanzloser, wo einiges auch nicht zu stimmen scheint. Vor den kitschigen Rosentapeten im ersten Akt steht nur ein Bett – dass Ochs sich in seinem definitiv schlechtem Benehmen darauf setzt (immerhin das Bett der Fürstin!), kann möglich sein. Dass Octiavian, bei dem es zuhause (die Grafen Rofrano!) sicher genügend Zofen gibt, sich als Zofe Mariandl auch auf das Bett der Herrin setzt… der weiß, dass diese Mädchen das nie tun würden. Dass Faninal in seinem „Wohnzimmer“ eine riesige Bücherwand stehen hat – nein, der Mann liest nicht. Und stellt sich das auch nicht aus Angeberei hin, darauf käme er gar nicht. Und dass das Extrazimmer des Wirtshauses im dritten Akt einem schäbigen Kaffeehausraum gewichen ist, wo es gar keine „Privatheit“ für Ochs und sein Rendezvous gibt – mit all dem muss man sich abfinden. Ein anderer „Rosenkavalier“, zu einer anderen Zeit.

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Aber Josef Ernst Köpplinger sind viele kluge Details zur Personenführung eingefallen: Für die Marschallin ist ein Seitensprung – Routine. Ihr kleiner scharzer Diener (ja, sie hat einen, das ist mutig, und es ist kein weißes Kind, dass man mit „Blackface“ auftreten lässt, sondern ein echter kleiner schwarzer Junge) räumt routiniert die Männerkleidung weg und gibt sogar kopfschüttelnd einen stummen, amüsanten Kommentar ab. Die Marschallin selbst wird nervös, wenn der junge Liebhaber weiter und weiter schwärmen und kuscheln möchte, wenn sie ihn eigentlich schon weg haben will. Sicher, es ist schade, dass sie ihn auswechseln muss, aber eine Tragödie ist es nicht… Darum ist sie im dritten Akt auch nicht sentimental, sondern vor allem verärgert über das Schlamassel, das sie jetzt auch noch ausbügeln muss.

Octavian selbst wirkt so sehr wie ein junger Mann (ein echter) wie selten, die Frisur hilft, dazu die Unsicherheit, die er ausstrahlt. Wenn er die Silberrose überreicht, ist er von der ganzen Sache eher peinlich berührt, keine Liebe auf den ersten Blick, sie riechen nicht gemeinsam an dem Ding, kein „Gruß vom Himmel“, er verliebt sich erst nach und nach. Vielleicht, als er das Taschentuch, das er am Ende des ersten Akts vom Bett der Marschallin mitgenommen hat, dazu verwendet, um Sophies Tränen zu trocknen. Da hält er kurz inne und weiß, dass er einen Verrat begeht. Es ist dieses Taschentuch, das der kleine schwarze Junge („Mohren“ gibt es ja nicht mehr) am Ende findet und triumphierend schwenkt, nachdem er noch eine winzige Slapstick-Einlage eingelegt hat. Das ist hübsch und klug – keine aufgezogene Marionette, sondern ein lebendiges Menschlein-

Und die Figur des Ochs ist außerordentlich gelungen, seitdem wir uns daran gewöhnt haben, dass der Baron von Lerchenau kein liebenswürdiges polterndes, etwas dummes Landei ist, sondern ein übler Kerl. Hier ein penetranter Strizzi, der ungemein heutig wirkt – so kurz, bevor #metoo aufgekommen ist, denn dass sein Benehmen blanke, in diesem Fall penetrante sexuelle Belästigung ist, darauf käme er wohl nicht. Freilich, man kann es auch übertreiben mit diesem miesen Ochs: Wenn Leopold im ersten Akt „Papa“ sagt, kontert Ochs mit „kusch“. Davor schon hat er sich laut beschwert, dass ein Viech, das da im Vorzimmer der Marschallin angeboten wird, ihn „fast angebrunzt“ hätte… Warum das, möchte man den Regisseur fragen? Soll man das lustig finden?

Und warum die albernen Spielchen, dass sich dauernd jemand (auch die Marschallin!) eine Zigarette anzünden will und es nie dazu kommt? Wozu im dritten Akt ein weißhaariger Herr im Kaffeehaus, der sich dauernd Notizen macht – wie Hofmannsthal sieht er jedenfalls nicht aus, und wenn er verschwindet, hat er keinerlei Funktion gehabt. Neben viel Sinnhaftem, Gekonntem (wie die Chormassen durch den zweiten und dritten Akt wimmeln, ist ein logistisches Meisterstück) ist auch manches Überflüssige in dieser Inszenierung.

Die Marschallin der Jacquelyn Wagner besticht durch einen ungeheuer leichten, schönen Sopran, mit dem sie die Rolle geradezu ideal singt – und ihre vergleichsweise coole Darstellung, fern von der Schwarzkopf-Gloriole der Alters-Tragödie, überzeugt völlig.

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So, wie die Schwedin Emma Sventelius (die die Rolle schon in Bonn gesungen hat) einen wirklich vorzüglichen, bis ins Detail durchdachten Octavian darstellt, viel eher schüchtern, nie überschwänglich, immer stimmig. Man wünschte sich dazu nur einen echten Mezzo und nicht, was sie zu bieten hat, nämlich einen „faulen Sopran“, viel zu hoch, ohne Kontrast zu den anderen Stimmen.

Bezaubernd auch mit glockenhellen Tönen die Sophie der Lauren Urquhart, die naiv ist, aber gar nicht dumm.

Auch sonst stimmt die Damenbesetzung mit einer riegelsamen Leitmetzerin der Ulrike Steinsky, bricht nur bei der Annina  der Margarete Joswig ein: So darf man „Herr Kavalier“ nicht singen.

Morten Frank Larsen leidet den Faninal drollig, viel Stimme ist da nicht mehr. Einige starke Nebenrollen, vor allem der Polizeikommissär des Daniel Ohlenschläger, der witzige Haushofmeister der Marschallin (Christian Drescher), der ihr gleich die Hände abwischt, wenn jemand Niedriger sie berührt hat, der eitle, gut klingende Sänger (Vincent Schirrmacher), der von seiner Partnerin allein gelassene Valzacch des Karl-Michael Ebner.

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Ja, und da ist der Ochs von Stefan Cerny, dem man mit skeptischem Interesse entgegen geblickt hat, weil der optisch so schlanke, dabei stimmlich so potente Bass (man denke nur an seinen Sarastro!) irgendwie nicht mit dem Bild des Ochs von Lerchenau zusammen ging. Nun, er hat sich die Rolle auf den Leib zugeschnitten, ist unikat in seiner Manier (und dem Trachtenanzug, der ihm gleich ein Hautgout verleiht), wirklich gierig nach Frauen (er betatscht sogar die Leitmetzerin), frech und überheblich, fies und mies – und dabei wirklich komisch. Was überraschte, war sein zurückgenommener Mezzavoce-Stimmeinsatz. Es gibt viele Passagen, wo man den Ochs legitim „röhren“ könnte – er nahm keine davon wahr. Wo er sonst in anderen Rollen seinen Baß strömen lässt, blieb er hier im Parlando. Man hätte manchmal gern mehr von ihm gehört.

Altmeister Hans Graf kennt sich mit der Strauss-Musik aus, und wenn er sie vielfach laut und deftig nimmt, ist das sicher sein Konzept. „Silberklang“ im Karajan-Sinn hätte diese Inszenierung auch nicht vertragen, sie ist weder ätherisch noch romantisch. Aber sie hat ihre Qualitäten, und man wird es nicht bereuen, sie gesehen zu haben.

Renate Wagner

 

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