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WIEN / Volksoper: CARMEN

Und am Ende Buh-Rufe für Lotte…

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Fotos: Volksoper

WIEN / Volksoper:
CARMEN von Georges Bizet
Premiere: 21. September 2024 

Und am Ende Buh-Rufe für Lotte…

Rauchen darf man auf der Bühne zwar nicht, aber Femizide zu zeigen, ist wenigstens noch gestattet, ätzte Lotte de Beer aus dem Lautsprecher vor der Premiere ihrer Inszenierung von „Carmen“ an ihrer Volksoper. Wie viel sie zu dem Werk zu sagen hat, hörte man in einem ausführlichen Interview in Ö III und las es in Interviews, wenn man auch nicht alles verstanden hat. Ein Satz wie „Zu einer anderen Zeit wäre Carmen Präsidentin geworden“ ist besonders erklärungsbedürftig, wenn nichts an dem Abend auch nur andeutet, wo und warum diese Carmen „for President“ geeignet sein sollte…

Nun, man muss ja nicht immer mit einer Regisseurin einer Meinung sein, etwa, wenn in ihren Ohren die ersten drei Akte des Werks klingen wie „Operette“ – nun, dass Bizets Musik, abgesehen von ihrem enormen Ausdrucksreichtum in jeder Hinsicht, nebenbei noch „schön“ ist (und nicht schwitzt, wie Nietzsche sagte), macht sie ja nicht unbedingt  zur Operette… Das fand auch Dirigent Ben Glassberg ganz offensichtlich nicht, der das Orchester zu Beginn mit einem Tempo, Drive und, ja, Dramatik loslegen ließ, dass man befürchten musste, die Musik würde über sich selbst stolpern. Aber das spielte sich über kurz oder lang glücklicherweise zu einer dramatischen, stimmungsstarken Interpretation ein.

Was ist „Carmen“ also für Lotte de Beer? Auf jeden Fall einmal – Theater. Der erste Akt (Bühnenbild: Christof Hetzer /Kostüme; Jorine van Beek) zeigt Sevilla wie aus dem Bilderbuch, sprich: auf Kulissen gemalt. Carmen allerdings wirft nicht nur alle Versatzstücke um, sondern dreht auch die Kulissen, die dann ihre schwarze Hinterseite zeigen (was gewiß ganz symbolisch gemeint ist).

Der zweite Akt bei Lillas Pastia ist weitgehend „normal“ mit Schenke im Freien, doch schon vor der Pause zeigt sich kurz der Clou des Abends: Im Hintergrund erscheinen nämlich mit Publikum  die gefüllten Theaterlogen, .Alles Theater – oder was?

Im zweiten Teil des Abends bleibt der Logen-Hintergrund permanent, was der Regisseurin den Vorteil bietet, dass man den Chor quasi weggeräumt hat und kein Bühnenbild mehr braucht. Allerdings sind die Herrschaften in den Logen auch neugierige Zuseher, die vor Carmens Ermordung gerne näher kommen, sich um das Podest drängen, wo die Tragödie  stattfindet (hier übrigens ziemlich temperamentlos, selbst wenn man nicht an Baltsa / Carreras denkt) – ja, und dann wird noch vor dem echtem Publikum vom Publikum auf der Bühne geklatscht. Recht geschieht ihr, der Carmen? Warum muss das egoistische Luder den armen Don José auch dermaßen demütigen? Das steckt eben nicht jeder Mann so einfach weg. Und da wundert man sich über die Frauenmorde im Alltag… Schon verstanden, Frau de Beer!

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Wer ist Carmen bei ihr? Wer glaubt, dass man den aktuellen Schönheitsvorschriften entsprechen muss, um die große Verführerin zu sein, der wird hier eines anderen belehrt (nein, Bodyshaming gilt nicht, wer könnte das wagen oder auch nur wollen?). Nachdem zum Vorspiel ganz zu Beginn die Damen in der Zigarettenfabrik am Fließband Kisten gefüllt haben (obwohl es in den deutschen Dialogstellen der sonst im Original gesungenen Oper ausdrücklich heißt, sie drehten Zigaretten), entledigt sich Carmen / Katia Ledoux ihrer Arbeitskleidung, bis sie in einer Art von schwarzem Arbeitsoverall mit schwarzen Stiefeln dasteht. Das finden wohl vor allem jene sexy, die strenge Herrinnen suchen. Also muss Erotik gespielt und gesungen werden. So richtig leidenschaftlich zündet es nicht, aber die Hauptdarstellerin hat einen schönen, wenn auch für die Carmen etwas hellen Mezzo, und sie kann stark auftreten. Schließlich glaubt man ihr das meiste, was sie glauben machen will.

Sie muss nur einmal aus der Rolle der selbstbewussten Frau fallen, wenn Lotte de Beer im vierten Akt über die Männerwelt Gericht hält. Dazu ist ihr auch ein ironisches Torero-Ballett eingefallen, das den ganzen Machismo lächerlich macht. Und nun merkt man auch, Escamillo ist offenbar so wenig der Richtige für Carmen wie Don José. Der Toreador hat ihr nämlich ein weißes Mieder übergezogen und schleppt sie gelegentlich herum wie einen toten Stier. Dann darf sie im langen Hausfrauengewand mit riesengroßer weißer Schürze dastehen, dem Gatten in den Morgenmantel helfen und Kaffee einschenken… Kein Wunder, dass sie das nicht mag und sich in einer resignierten Schlußszene lieber erstechen lässt. Zumal auch mit der Präsidentin nichts geworden ist…

Die Entdeckung des Abends war der Don José-Einspringer Tomislav Mužek, der vor einem Vierteljahrhundert als Anfänger Mini-Rollen an der Staatsoper gesungen hat und nun zu Recht in den großen Häusern gelandet ist. Ein Tenor, der Kraft und Timbre vereinigt, zu strahlenden Höhen ebenso Innigkeit wie Leidenschaft zu bieten hat.

Bei Escamillo kämpfen auch die besten Sänger mit irgendetwas, bei Josef Wagner ist es die Tiefe, aber eine gute Figur macht er allemale. Iulia Maria Dan sieht wie der Inbegriff einer Micaela aus und wäre ideal für die Rolle, haftete ihrer Stimme nicht permanent ein Ton der Schärfe an.

Alexander Fritze als Zuniga muss übel mit sich verfahren lassen, Marco Di Sapia wertet (die deutschen Dialoge, die um einiges Erklärende angereichert wurden, machen es möglich) den Dancaïro zu einer Komikerrolle auf, Karl-Michael Ebner macht als Remendado dabei mit und Gerhard Kasal als Lillas Pastia erst recht. Hübsch sind Sofia Vinnik (Mercedes) und Alexandra Flood (Frasquita), nicht so klischeebefreit wie die so alternative Titelrollenheldin und folglich schlicht weiblich wirksam.

Am Ende viel Applaus für die Mitwirkenden, zumal für die beiden Hauptdarsteller, aber das Premierenglück blieb nicht ungetrübt. Als Lotte de Beer erschien, wurde sie mit heftigen Buh-Rufen abgestraft, die sie offensichtlich nicht erwartet hatte. Es gab wohl doch viele Zuschauer, die ihre Ideen zu „Carmen“ gelinde gesagt nicht schlüssig fanden…

Renate Wagner

 

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