Fotos: Volksoper
WIEN / Volksoper:
ALMA von Ella Milch-Sheriff
Uraufführung
Premiere: 26. Oktober 2024
Almas Hinrichtung und Verklärung
Alma Schindler-Mahler-Gropius-Werfel (1879-1964) wollte in ihrer Jugend Komponistin werden, zog aber dann eine Karriere als Gattin und Gefährtin berühmter Männer vor, die sie selbst über Jahrzehnte zu einer Celebrity sui generis machte. Sie steht nicht nur im Mittelpunkt zahlreicher Biographien, sondern war auch oftmals Theater- und Filmheldin.
Nun hat die Volksoper einen Kompositionsauftrag erteilt und der Alma-Mania eine Oper der israelischen Komponistin Ella Milch-Sheriff hinzugefügt. Sie behandelt ein im allgemeinen vernachlässigtes Thema ihrer Biographie – ihre Kinder. Aber der Abend wird noch (und das ist nicht ganz positiv) mehr, nämlich bis zur Pause eine Hinrichtung Almas. Damit man sie danach, wie es der Feminismus verlangt, als „Opfer“ wieder auferstehen lassen kann…
Alma hatte fast fünf Kinder – jenes von Kokoschka ließ sie abtreiben. Der mißgebildete Sohn von Franz Werfel wurde kein Jahr alt. Die erste Tochter Gustav Mahlers starb mit fünf, die Tochter von Walter Gropius, die legendäre Manon, wurde nur 18 Jahre alt. Von allen Kindern Almas überlebte nur die Tochter Anna Mahler (die mit fünf Ehen die Mutter diesbezüglich übertrumpfte), ihres Zeichens Bildhauerin und in der Oper stark präsent, gewissermaßen das Schicksal ihrer Mutter am Rande kommentierend.
„Alma“ erzählt nach dem Libretto von Ido Ricklin die Geschichte rückwärts. Es beginnt 1935 mit der Beisetzung Manons, der Alma nicht beiwohnte (und nicht ahnen konnte, dass sie selbst einmal bei ihrer Tochter in diesem Grab liegen würde – jederzeit zu besichtigen am Grinzinger Friedhof). Die toten Kinder sind Bestandteil der Geschichte – Manon, ihr einziges „arisches“ Kind (wie Alma, zweimal mit Juden verheiratet und antisemitischen Tönen nicht abgeneigt, feststellte), der unglückselige Werfel-Sohn (natürlich von einem erwachsenen Counter gesungen), sogar das Embryo von Kokoschka…
Damit erreicht die Inszenierung von Ruth Brauer-Kvam, die im ersten Teil hemmungslos wütet, den Tiefpunkt der Geschmacklosigkeit. Oder ist es Mut, ohne Angst vor Tabus Geburten, sexuelle Akte und Exzesse zu zeigen, wofür die Alma-Darstellerin immer wieder in Nackt-Bodies verschiedener Art schlüpfen muss, um Alma in allen Lebensaltern auch nackt zu zeigen? Nun, was immer die nackte Alma und der verrückte Kokoschka in seinem Atelier getrieben haben – mit dem blutigen Embryo, das noch mit der Nabelschnur an Alma hängt, haben sie gewiß nicht getanzt…
Sicherlich, die Regisseurin hat im „Presse“-Interview gewarnt: „Wir treffen eine versoffene, alte, gemeine, wütende Frau“, und ebenso gewiß ist, dass Alma vielerorts keinerlei Sympathien genießt. Aber eine historische Figur dermaßen vorzuführen, auszustellen, herunter zu machen, ist wenig mehr als die billige Ausbeutung eines berühmten Namens mit Zugwirkung und möglicherweise noch niedriger als Alma selbst war. Hier führt man den Mythos der Salondame, die alle Welt zu bezaubern vermochte, zur Hinrichtung.
Nach der Pause erfolgt der Bruch zur harmonisierend-sentimentalen Sicht auf die Figur. Man erlebt Alma als Opfer des egozentrischen Gustav Mahler. Dass er als Vater zweier Töchter die „Kindertotenlieder“ schrieb und Tochter Marie danach starb, bleibt eines der Rätsel seiner Biographie (wishful thinking war es wohl kaum). Und dann kann Alma im Familienbild auf vier Männer und vier tote Kinder blicken, bevor der letzte der fünf Akte (die in einander über gehen) ihr gehört, der Alma Schindler, dem schönsten Mädchen Wiens, hoch begabt (und schon begrapscht von Zemlinsky und Klimt).
Nun hebt wieder die alte Anklage ihr Haupt, der rücksichtslose Mann (und das war Mahler bestimmt in überbordendem Ausmaß), der das Talent und die Selbstverwirklichung der Frau unterdrückt. Sie komponiert? „Wie nett“, sagt er. Aber das muss sie natürlich aufgeben, wenn sie ihn heiraten will, er braucht eine Frau, die ganz für ihn da ist, keine Künstlerin an seiner Seite… Nun, sie hat es getan, und der Verdacht liegt nahe, dass die Komponistin Alma Schindler keiner mehr kennen würde (nach den paar überlieferten Liedern auch keiner mehr kennt) – während die Karriere, die „Alma“ sich dann gebastelt hat, ziemlich singulär ist…
Und noch ein Gedanke über die „Verhinderten“, die klagend an die Öffentlichkeit gehen, sei erlaubt. Natürlich, man weiß es nicht – vielleicht wäre Alma Schindler als Liedkomponistin Ähnliches geglückt wie Schubert, Schumann oder Wolf. Möglicherweise aber hätten ihre Kunstprodukte wie die von Tausenden anderen für niemand anderen Bedeutung gehabt als für sie selbst. Dann doch besser Alma Mahler-Werfel, auch wenn man dann auf der Opernbühne noch so hässlich dargestellt wird…
Nicht von der Musik allerdings. Wie man liest, hat Ella Milch-Sheriff schon mehrere Opern geschrieben, aber den meisten Wiener Opernfreunden begegnet sie wohl zum ersten Mal. Man hört eine interessante, in den Instrumenten und Stimmungen reich gefächerte Partitur, die von Omer Meir Wellber hervorragend verwaltet wird. Weit weniger überzeugt die Führung der Singstimmen, da wetterleuchtet erzwungene „Moderne“, die sich nicht besonders gut anhört.
Die Selbstaufopferung von Hauptdarstellerin Annette Dasch ist hochgradig bemerkenswert. Sie schreitet schauspielerisch souverän von der alten, schon verfallenden Alma zur jungen, schlüpft in die hässlichen Nackt-Bodies und verweigert keine darstellerische Peinlichkeit (mit gespreizten Beinen am Flügel sitzend, während Werfel, den Kopf bei ihr hineinschiebend, in die Tasten greift). Und sie tut dies für eine Rolle, die sich weder leicht noch dankbar singen lässt. Der Jubel am Ende des Abends mag sie für dieses Unternehmen belohnt haben.
Auch ihre Tochter Anna ist eine halbwegs größere Rolle, die Annelie Sophie Müller mit schönem Mezzo und darstellerischer Noblesse bewältigt. Unter den Herren hat Josef Wagner als verkrampfter Gustav Mahler die größte, Martin Winkler als exzentrischer Oskar Kokoschka die dankbarste und Timothy Fallon als Franz Werfel die vergleichbar kleinste Rolle. Florian Hurler als Gropius muss nur tanzen. Dazu die toten Kinder, Lauren Urquhart (Manon), Christopher Ainslie (Martin), Hila Baggio (das Ungeborene von Kokoschka).
Am Ende heller Jubel, der schließlich auch die glückliche Komponistin einschloß (während vereinzelte Buh-Rufe für die Regisseurin im allgemeinen Lärm untergingen). Es klang wie ein Triumph. Sieht man genauer hin, weiß man eigentlich nicht, was da erzählt wurde – und warum. Alma, das Mutter-Monster? Alma, die ewige Sex-Akrobatin? Alma, die unterdrückte Künstlerin? Alma – das Stürzen eines Denkmals? Blut, Schweiß und Tränen, Geschmacklosigkeiten und Sentimentalitäten? Und nichts davon letztendlich wirklich überzeugend. Außer der Orchesterteil der Partitur.
Renate Wagner