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WIEN / Vienna’s English Theatre: THE MOUNTAINTOP

Achterbahn ins Jenseits

30.01.2025 | KRITIKEN, Theater

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WIEN / Vienna’s English Theatre: 
THE MOUNTAINTOP von Katori Hall
Premiere: 30. Jänner 2025,
besucht wurde die Voraufführung

Achterbahn ins Jenseits

Ein schlichtes Motelzimmer in Memphis, Tennessee. Heute ist dieses Lorraine Motel ein Schauplatz für Touristen, denn es wurde blutig Geschichte dort geschrieben… Man begegnet nun auf der Bühne  Martin Luther King in Zimmer 306. Er ist allein und „probt“ gewissermaßen die Reden, mit denen er die schwarze Bevölkerung entflammen und die weiße erreichen und aufrütteln will. Man schreibt das Jahr 1968 und der Kampf um die Civil Rights der schwarzen Bevölkerung erschüttert die Vereinigten Staaten. King hätte gerne einen Kaffee, aber es ist fraglich, ob es so spät nachts noch Roomservice gibt.

Und doch, während draußen ein Gewittersturm tobt, klopft es an der Tür und ein Zimmermädchen erscheint mit einem Tablett. Und hier beginnt das erstaunliche, rechtens preisgekrönte Stück der amerikanischen PoC-Autorin Katori Hall erst so richtig. Sie führt die Zuschauer immer wieder in die Irre, schlägt in einer wahren Achterbahnfahrt andauernd neue Themen an – und wagt am Ende wirklich Erstaunliches.

Anfangs ist alles gewissermaßen „normal“, ein berühmter Mann in den besten Jahren (King war damals 39), eine attraktive junge Frau namens Camae, die ohne Schüchternheit mit ihm umgeht und auch ihre Zigaretten mit ihm teilt. Es fällt auf, dass King sich entweder vor Gewittern fürchtet, weil er bei jedem Donner zusammen zuckt, oder einfach immer ein Attentat erwartet, wie sie ihm permanent angedroht werden… Camae erweist sich als tröstend, die beiden flirten gewissermaßen miteinander, und obwohl King zwischendurch seine Frau anruft und sich als liebender Familienvater erweist, würde man sich doch nicht wundern, wenn die beiden gemeinsam im Hotelbett landeten… Aber das wäre doch recht trivial für die letzte Nacht eines Lebens – denn man schreibt den 3. April 1968. Der nächste Tag wird King den Tod aus der Waffe des Kriminellen James Earl Ray finden…

Das Zusammensein von King und Camae nimmt eine neue Wendung, als diese sich politisch hoch informiert zeigt und King eine flammende Rede vorträgt, wie sie sie halten würde. Als ihr Verhalten seltsamer wird, als sie ihn nach einem Panikanfall (Donner!) mit seinem Taufnamen „Michael“ anspricht, den niemand kennt, wird King mißtrauisch, wittert eine Honigfalle, mit der ihn das FBI diskreditieren will.  

Mit der letzten Wendung der Handlung mutet die Autorin dem Publikum dann einiges zu und landet im Metaphysischen. Aber ist es nicht ein weit verbreiteter Glaube, dass Todgeweihten Boten entgegen geschickt werden, die sie ins Jenseits begleiten sollen (was sind Wagners Walküren anderes)? Ist Camae ein solcher Engel, ein Todesengel?

Freilich, wenn sie mit Gott, der in diesem Fall eine Frau Gott ist, telefoniert, läuft das Stück Gefahr, im Parodistischen und Kabarettistischen zu landen. Und doch – wenn King mit „Frau Gott“ redet, kann man sich gut vorstellen, dass ein Mensch, der eben sein unmittelbares Todesurteil verkündet erhalten hat, mit der höchsten Macht rechten würde,  handeln will, um Aufschub bittet, man ist noch nicht bereit, man hat noch so viel zu tun (man kennt es schließlich von Jedermann)…

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© Vienna’s English Theatre / Reinhard Reidinger

Das Stück ist ein heikler Balanceakt, und Regisseurin Adrienne Ferguson bewältigt ihn mühelos, weil Power und Präsenz ihrer beiden Darsteller außerordentlich sind. Samson Ajewole bringt hoch nuanciert das ganze Charisma eines bedeutenden Menschen ein, der in vielem einfach nur ein normaler, sympathischer Mann ist,  und Davida Opoku soll zwar letztendlich doch ein Engel sein, fegt aber wie eine kleine Teufelin über die Bühne, mit jedem Satz für eine Überraschung gut.

Der Theaterbesucher hat nur ein Problem, das ihn trifft, selbst wenn er gut Englisch spricht. Es ist bekannt, dass die schwarze Bevölkerung Amerikas nicht nur ihren eigenen unverkennbaren Sound und Tonfall hat, sondern auch schwer verständlich ist. Und bis man sich daran gewöhnt hat, ist der knapp eindreiviertelstündige pausenlose Abend auch schon vorbei. Aber seine Wirkung wurde durch nichts geschmälert.

Renate Wagner

 

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