WIEN / Vienna’s English Theatre:
I AND YOU von Lauren Gunderson
Kontinentale Erstaufführung
Premiere: 17.Jänner 2023
Die Ausgangssituation erscheint simpel. Schließlich ist es heutzutage nicht ungewöhnlich, dass junge Leute (aus welchen Gründen auch immer) sich in ihre Zimmer einschließen und mit der Außenwelt nur noch digital kommunizieren wollen. So stellt die amerikanische Autorin Lauren Gunderson ihre Heldin Caroline in dem Stück „I and You“ vor, und logischerweise muss jemand kommen, der sie aus der Isolation herausholt. Ein glatter Entwurf für ein Stück.
Er heißt Anthony, ist ein Kollege von der High School und behauptet, man habe ihn mit Caroline für ein Projekt über den Dichter Walt Whitman zusammen gespannt, den er offenbar glühend verehrt. Caroline will ihn hinauswerfen, aber er beschwatzt sie recht überzeugend. Nach und nach beginnen sie mit einander zu reden, ziehen ein wenig über ihre Eltern her, erzählen sich ihre Wünsche (beide wollen nach New York gehen), spielen sich ihre Lieblingsmusik vor (sie setzt seinem anspruchsvollen John Coltrane die „Great Balls Of Fire!“ von Jerry Lee Lewis entgegen), und natürlich muss sie dauernd Fotos machen und sie gleich in den Sozialen Medien posten, alles ganz normal. Schließlich hat sie sogar eine Menge von Walt Whitman und seinen besonderen Gedichten begriffen…
Wäre da nicht das Ende, man hätte ein übliches Beziehungsstück unter Jugendlichen gesehen und nicht einmal ein sonderlich aufregendes. Aber der Autorin ist eine „Pointe“ eingefallen, die den Zuschauer völlig unvorbereitet überfällt. Man darf natürlich nichts verraten – nur dass man das eine oder andere, das bis dahin offen geblieben ist, plötzlich begreift (auch, warum immer wieder vom Tod die Rede war) – und dass das, was sich die längste Zeit als Romanze kostümiert hat, eigentlich sehr, sehr traurig ist…
Also Anthony beherrscht Tom Stuttard die Bühne, nicht nur, weil er ein sehr guter Sprecher ist (da kommt die Partnerin nicht mit), sondern auch, weil seine Figur dem Zuschauer nicht so auf die Nerven geht wie Caroline, deren erratisches Benehmen allerlei Geduld erfordert. Das allerdings schafft die Darstellerin Xena Bassel recht glaubhaft.
Regisseurin Adrienne Ferguson hatte die Aufgabe, ein Stück, das sich in seiner Mentalität vor allem an ein junges Publikum wendet, das manches daran für sich erkennen kann, für die „Erwachsenen“ tauglich zu machen. Diese werden letztendlich die Geschichte von hinten aufrollen und nach den dabei gewonnenen Erkenntnissen beurteilen. Viel Beifall.
Renate Wagner