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WIEN / Vienna’s English Theatre: HARVEY

07.11.2023 | KRITIKEN, Theater

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Simon Butteriss als William R.Chumley, Peter Ormond als Elwood P. Dowd
Copyright Reinhard Reidinger/Vienna’s English Theatre

WIEN / Vienna’s English Theatre: 
HARVEY von Mary Chase
Premiere: 7: November 2023 

Jeder kennt Harvey, natürlich! Das ist doch der fast zwei Meter große weiße Hase, der beste Freund von Mr.  Elwood P. Dowd! Und dass Pookas, boshafte keltische Geisterwesen, manchmal Tiergestalt annehmen und als solche ausgewählten Menschen erscheinen, das steht ja sogar im Lexikon!

Bekanntlich hat die amerikanische Autorin Mary Chase (1907 -1981) daraus während des Zweiten Weltkriegs eine Komödie gemacht, die nicht  zuletzt durch ihre Verfilmung mit James Stewart ein Welterfolg wurde und auch heute immer noch auf den  Bühnen erscheint. Weil die Geschichte, wenn man sich auf ihre Schlichtheit einlässt, nämlich nach wie vor eine unwiderstehliche Wirkung ausübt.

Wäre man bösartig, könnte man anmerken, Mr. Elwood P. Dowd kann sich seinen Spleen nur leisten (nämlich mit dem nur ihm sichtbaren weißen Hasen Harvey durch New York zu schlendern und ihn jedermann vorzustellen), weil er offenbar sehr reich ist. Upper Class. Die Schwester und deren Tochter wohnen eher gnadenhalber in seinem Luxushaus, was sie zwingt, angesichts seiner störenden Spinnerei den Mund zu halten. Aber nicht für immer.

Als seine Society-bewusste Schwester Veta Louise Simmons (dass sie doch eine liebende Schwester ist, darf sich am Ende herausstellen) endlich beschließt, den Bruder in eine psychiatrische Anstalt zu stecken, damit sie ihrer Debutanten-Tochter endlich ohne den verrückten Onkel im Hintergrund einen Mann suchen kann, wendet sich das Stück. Es handelt zwar noch immer davon, dass Elwood ein extrem liebenswerter (wenn auch in seiner Naivität manchmal anstrengender) Zeitgenosse ist. Aber vor allem geht es darum, den Psychiatern eines auszuwischen, die zwischen den Patienten und den Gesunden (wer ist schon geistig ganz gesund?) nicht zu unterscheiden wissen und, wie sich am Klinikchef herausstellt, selbst einen ganz schönen Klamsch haben. Gerade in Wien, der Stadt Freuds, wo noch immer ein Großteil der Bevölkerung hohe Skepsis über Sinn und Zweck psychiatrischer Behandlung hegt, lacht man darüber besonders unbeschwert.

Dass der liebe, gute Mensch, der halt seine Eigenheiten hat, dem unlieben, unguten Normalmenschen vorzuziehen ist, wirkt als Theaterbotschaft am Ende immer. Vor allem, wenn man das turbulente Stück so gänzlich liebenswürdig (und optisch schön in der Ausstattung von Ken Harrison) auf die Buhne bringt, wie es  in Vienna’s English Theatre durch Regisseur Philip Dart geschieht.

Es ist unfair, an Jimmy Stewart zu denken, denn eine solche Idealbesetzung schlaskiger, liebenswerter und dabei hintergründiger Naivität kommt nicht wieder. Wer in seine Fußstapfen tritt, muss vor allem aufpassen, nicht allzu sehr zu übertreiben, dass einem der eben allzu sehr liebenswürdige Elwood nicht irgendwann auf die Nerven geht. Peter Ormond balanciert die Rolle (allerdings ganz ohne Hintergründigkeit) sehr gut aus.

Am besten ist seine Schwester bedacht, die allerlei erleiden muss und legitim übertreiben darf – Claire Lacey ist solcherart zweifellos das Zentrum des Abends. Mit ihr gleich zieht der hochmütige Klinik-Chef, der plötzlich selbst Harvey sieht und zum verwandelten Menschen wird: Simon Butteriss als Dr. Chumley ist einfach glänzend.

Die Autorin hat auch die Nebenfiguren so gut ausgeführt, dass niemand untergeht: Natalie Bottova nimmt eine nicht sehr liebenswerte Nichte auf sich, während Grace Stone für Ärzte und Zuseher der Traum einer hinreißenden Krankenschwester ist. Fergal Coghlan als Psychiater darf seinen Stand lächerlich machen, Kyle Harrison-Pope einen Brutalo-Krankenwärter genießen, Isobel Arnett gleich zwei Rollen spielen (eine scharfzüngige Society-Dame und eine liebenswürdige, offenbar eher unterdrückte Ehefrau), James Hornsby ist als Richter unübersehbar, und selbst der finale Auftritt von Rhys Lawto als Taxichauffeur hat seinen Effekt, darf er doch nicht weniger als die Moral des Stücks erklären.

Alles in allem ist „Harvey“ Theaterzauber pur. Und als solcher entfaltet er sich voll auf der Bühne von Vienna’s English Theatre,

Renate Wagner

 

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