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WIEN / Vestibül: KRIEGERIN

25.01.2020 | KRITIKEN, Theater


Fotos: Burgtheater / Cruz

WIEN / Vestibül des Burgtheaters:
KRIEGERIN
Nach dem Film von David Wnendt
Für die Bühne bearbeitet von Tina Müller
Premiere: 24. Jänner 2020

Das Burgtheater zeigt diesen im Vestibül angesiedelten Abend in seiner Jugendtheater-Schiene – Tina Müller hat den viel gepriesenen und preisgekrönten Film „Kriegerin“ von David Wnendt aus dem Jahre 2011 dramatisiert, ziemlich nahe am Original, dennoch einige Handlungselemente stark verwischt, schon weil die ursprünglich im Osten Deutschlands angesiedelte Geschichte hier doch „irgendwie“ in Österreich spielen soll.

Ein „Lehrstück“ ist es auf jeden Fall, entsprechend geradlinig sind Figuren und Handlung angelegt, vieles folgt eher der Kinodramaturgie als vermutlich der Realität. Zweifellos überzeugend ist das Milieu in der „rechten“ Jugendszene getroffen – lautstark, brutal, gehässig, von Bösartigkeit durchtränkt, grölend Haßparolen skandierend, eine Jugend, die sich als Revolutionäre fühlt und den Gegner, „der alles zerstört“, schon ausgemacht hat: die Flüchtlinge.

Einige Schicksale sind parallel geschaltet, wobei Marisa im Mittelpunkt steht, „Kriegerin“ und Königin der rechten Jugendbande – eine hilflose Proletarier-Mutter und ein Nazi-Opa (das kommt im Stück nicht heraus) sollen Marisas Weg in die Szene motivieren. Als ihr Freund Sandro aus dem Gefängnis zurückkehrt, macht er ihr nur klar, worin die Rolle der Frau besteht: als Fotze fungieren und die Goschen halten. Daraus hat der Film einen Teil von Marisas „Wandlung“ zu begründen versucht. Dass sie ein Flüchtlings-Geschwisterpaar kennenlernt, die beiden bei einem Unfall verletzt und sich dann des unglücklichen Bruders annimmt (die Schwester hat man nach Hause deportiert), wirkt schon weniger glaubhaft – ist aber ein absolut essentieller Teil der Handlung.

Deutlicher wird, warum Svenja den Weg in die scheinbare „Geborgenheit“ der revoltierenden Jugend findet: eine ebenfalls hilflose Mutter, ein sadistisch-terroristischer Vater. Eltern, die stets völlig erschüttert sind, wie ihre Kinder in dieses „Gedankengut“ abgleiten konnten!

In etwas mehr als eineinhalb Stunden wird die Handlung, die weniger überzeugt als die eine oder andere Situation von Regisseurin Anja Sczilinski auf den winzigen Spielraum des Vestibüls gestellt, wozu es nur zweier beweglicher Elemente (Bühnenbild: Anneliese Neudecker) und schäbiger Jugend- und Proletarierkleidung (Kostüme: Lili Wanner) bedarf. Die vielen Raufszenen zeugen von der Hilfe der Choreographie (Daniela Mühlbauer). Im übrigen ist es eine Schar ungewöhnlich begabter junger Leute, die den Abend mit dem so genannten „prallen Leben“ erfüllt.

Ein außerordentliches Talent, eine überzeugende Persönlichkeit ist Hanna Mannsberger in der Titelrolle, viel jünger wirkend, als sie ist, am stärksten, wenn sie Kraft und Zorn versprüht (die sentimentale Wendung des Geschehens ist kaum in den Griff zu bekommen). Hervorragend in ihrer Wandlung, ja Verwandlung von gedrückten Geschöpf zur hektischen Fanatikerin ist Alice Prosser mit dem Mut zur optischen Unscheinbarkeit. Möge man alle anderen unter dem Lob subsumieren, dass sie eine verdammt überzeugende Bande sind, möchte man Flora Egbonu mit ihrer besonderen Ausstrahlung doch noch besonders erwähnen.

Zwei Erwachsene dürfen im Wirbel der Jugendlichen dabei sein, sowohl Dunja Sowinetz und Wolfram Rupperti zeigen viele Gesichter (wenn auch keine positiven) und verwandeln sich überzeugend.

Sicher, das großartige tragische Ende des Films am Meer (wo es einem auch die Kehle abschnürt, wenn man sieht, mit welch armseligen Schlauchboot der Flüchtling aufs milde Wasser geht, um sein Ziel in Schweden zu erreichen) kann auf dem Theater nicht wiederholt werden. Schade, dass man am Ende auf die pathetisch-theatralische Idee kam, alle zu Musik in oratorienhaften Gesang ausbrechen zu lassen, so dass man nun, nach all den Schrecknissen, die man gesehen hat, mit quasi positiver Besänftigung entlassen wird. Das ist dann doch ein bisschen billig.

Ob das für ein Publikum ab 14 Jahren, das sich hoffentlich nur im geringsten Teil in solchen Welten bewegt, genug Ausgleich bietet? Ob überhaupt ein geradliniges Lehrstück wie dieses den richtigen Weg weist? Nun, die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Renate Wagner

 

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