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WIEN / Vestibül; DIE KOPIEN

Was ist ein Mensch?

03.10.2025 | KRITIKEN, Theater

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Fotos. © Marcella Ruiz Cruz

WIEN / Vestibül des Burgtheaters; 
DIE KOPIEN von Caryl Churchill
Premiere: 3. Oktober 2025

Was ist ein Mensch?

Erinnern Sie sich noch an Caryl Churchill? Wohl nur, wenn man älter ist. In den achtziger Jahren auch in Wien viel gespielt und mit den „Top Girls“ berühmt geworden, riß die Produktivität der britischen Autorin wohl aus Altersgründen ab. Heute ist die Dame hoch in den Achtzigern, und nein, „Die Kopien“, vom Burgtheater im Vestibül dargeboten, ist alles andere as ein neues Stück. Dass die 70 Minuten durchaus anregend wirken, liegt an den Interpreten. Was das Thema selbst betrifft, ist die Geschichte ein wenig aus der Zeit gefallen.

2002, als „Die Kopien“ neu war, begegnete man den „Klonen“ auch immer wieder im Kino, sie beschäftigen die Phantasie der Menschen (und der Drehbuchautoren) heiter und ernst. Wie wäre es, wenn man ein paar Klone seiner selbst in der Hinterhand hätte, um sich das Leben zu erleichtern – fürs Geschirrabwaschen etwa, Oder man schickt einen Klon ins Büro, wenn man selbst keine Lust aufs Arbeiten hat… Viel ernster wurde das Thema angepackt, wenn Klone als „Ersatzteillager“ hergestellt wurden. Solange es dem Original gut ging, durften sie „leben“, wenn hingegen Organe gebraucht wurden, schlachtete man sie und weidete sie aus… Dabei waren es doch auch Menschen, oder?

Das ist die Frage, die sich Caryl Churchill in ihrem Stück „A Number“, zu Deutsch: „Die Kopien“, stellte, Ein richtiggehendes Theaterstück ist es ja nicht, eher eine Abfolge von Dialogen, in denen die Frage gedreht und gewendet wird: Wenn es die Wissenschaft zustande bringt, aus dem Erbgut eines Menschen dessen Kopie zu erstellen (den künstlichen Menschen gab es als „Homunculus“ übrigens schon in Faust II) – wer sind diese Klone dann? Derselbe Mensch, nur noch einmal? Oder „nur“ eine Kopie und folglich von geringem Wert? Wenn es ein Ich zwanzigmal gibt und man ihm plötzlich auf der Straße gegenüber stehen würde – wer ist der andere dann? Wobei sich auch ganz schnell die Frage stellt: Und wer bin ich?

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Dramaturgisch ein wenig holprig wird das Thema eingeführt. Da steht ein Sohn, der aus dem Spital kommt, vor dem Vater und teilt diesem mit, dass es ihn nun zwanzigfach gibt. Was beide erst verdauen müssen, denn der Vater hat – wie sich später herausstellt – ja nur einen Klon bestellt. Wie es dazu kam, erzählt er nicht ganz wahrheitsgetreu jedesmal ein bißchen anders. Und wenn er dann verschiedenen „Söhnen“ begegnet, stellt sich durchaus deren Verschiedenheit heraus – weiß sich der Erste vor lauter Skrupel und Zweifel bezüglich seiner Identität, zerbricht sich der Letzte, den der Vater erforschen will, über die Identitäts-Problematik nicht im geringsten den Kopf…

Das ist ein Denkspiel, das nicht viel bringt, aber auf der Mini-Vestibül-Bühne des Burgtheaters durchaus anregend verläuft. Das Bühnenbild (Dimitrij Muraschov) bietet viel und Rätselhaftes zum Schauen, und Regisseur Sebastian McKimm hat es geschafft, zwei Schauspielern, die die ganze Zeit nur nebeneinander auf der Bühne herumstehen, Lebendigkeit zu verleihen.

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Hans Dieter Knebel als der Vater mit Gewissensbissen und Unsicherheit erregt Anteilnahme, aber Justus Balamohan Maier ist geradezu glänzend in seinen verschiedenen Sohn-Studien.

Freilich, das Klon-Thema ist aus der Mode gekommen. Neulich hat man gelesen, in Hollywood sei mit KI eine bildhübsche junge Schauspielerin geschaffen worden (die neue Scarlett Johansson, hieß es), mit der man Filme drehen würde. Es ist zu erwarten, dass man dem künstlichen Idealgeschöpf auch ein „Schicksal“ geben wird, sie zu Interviews schicken wird (wenn auch eher digital) und dass viele Menschen sich in das schöne Ding verlieben werden. Das wirft dann wieder die Frage auf: Was ist ein Mensch? Was ist echt (von Natur aus), und kann Menschengemachtes etwa auch „echt“ sein? Irgendein NGO, der die „Rechte“ der KI-„Menschen“ vertreten wird, findet sich mit Sicherheit…

Renate Wagner

 

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