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WIEN / Vestibül des Burgtheaters: DER ZINNSOLDAT UND DIE PAPIERTÄNZERIN

04.10.2020 | KRITIKEN, Theater


Foto: Burgtheater / © Marcella Ruiz Cruz

WIEN / Vestibül des Burgtheaters:
DER ZINNSOLDAT UND DIE PAPIERTÄNZERIN von Roland Schimmelpfennig
Frei nach dem Märchen „Der standhafte Zinnsoldat“ von Hans Christian Andersen
Premiere: 4. Oktober 2020

So kennt man Roland Schimmelpfennig tatsächlich nicht. Man hat am Burgtheater schon genug Schräges, auch Gewaltsames von dem viel gespielten deutschen Erfolgsautor gesehen, um seiner „Überschreibung“ eines Andersen-Märchens als Kinderstück zumindest mit Skepsis gegenüber zu stehen. Und dann erlebte man im Vestibül des Burgtheaters eine knapp einstündige Überraschung – angenehme Überraschung.

„Der standhafte Zinnsoldat“ erleidet so manches bei Hans Christian Andersen und erlebt auch kein Happyend, und die Tänzerin aus Papier ist einfach nur das Objekt seiner vergeblichen Sehnsucht. Eine traurige Geschichte. Schimmelpfennig macht daraus ein Doppelschicksal für Zwei, voll von kindergerechten Szenen, und er gibt ihnen auch ein Happyend, wie sie es wirklich verdienen – nach allem, was sie durchmachen müssen.

Vor allem erscheinen der Zinnsoldat und die Tänzerin als zwei verlassene Geschöpfe: Er ist derjenige in der Schachtel von 20, bei dem sich der Zinn nicht für ein zweites Bein ausgegangen ist, beschädigte Ware. Und der kleine Junge, der die papierne Tänzerin früher gerne angesehen hat, legt sie weg, nachdem man ihn dafür verspottet hat. Die beiden nutzlosen Spielzeuge werden weggestellt, ins Fenster, und als dieses aufgemacht wird, fallen sie heraus.

Bei Andersen hat nun nur der Zinnsoldat sein trauriges Schicksal am Boden, auf der Straße, im Schmutz, im Wasser, schließlich im Bauch eines Fisches. Bei Schimmelpfennig darf auch die Papiertänzerin etwas erleben, wenn es auch ihr nicht ganz gut geht, wenn sie so in die Lüfte schwebt und beispielsweise einer bösen Wolke begegnet. Oder einem Papierdrachen, der sich von seinem Kind los gemacht hat. Der Zinnsoldat trifft, wie bei Andersen, u.a. eine hässliche Ratte, die ihn nicht weiterreisen lassen will (hier gibt es einen Hauch von Zeitbezug, den aber eher der erwachsene Zuschauer wahrnehmen wird als die Kinder ab 6 Jahren, denen das Burgtheater das Stück künftig zeigt).

Es gibt ein schlichtes Bühnenbild, die Produktion muss schließlich einfach reisen können, aber Ausstatterin Brigitte Schima konnte sich wenigstens in phantasievollen Kopfmasken austoben, die es den beiden Darstellern ermöglichen, noch in viele Rollen zu schlüpfen: Wolke, Ratte und Papierdrache, wie erwähnt, Kobold, böse Kinder, Elster, ein großer Fisch, der den Zinnsoldaten schließlich frisst. Für ein Happyend bedarf es eines Wunders, aber auch das ist Schimmelpfennig in seiner so überzeugenden Version eingefallen…

Regisseurin Mia Constantine schickt ihre beiden jugendlichen Darsteller durch alle Schwierigkeiten, die einem nur einfallen können, und sie bewältigen sie bemerkenswert. Wieder kann man nur erfreut zusehen, welch hervorragenden Nachwuchs das Reinhardt-Seminar ausbildet: Lili Winderlich ist für die Tänzerin schlank und rank, aber keineswegs überzart, sondern ein wunderbar entschlossenes Persönchen, das auch „böse“ Rollen mit allem Nachdruck gibt. Und Tilman Tuppy (ein Name, den man sich merken wird, nicht nur, weil er leicht zu merken ist), gibt einen Schatz von Zinnsoldaten, der sich durch sein Schicksal kämpft, durch seine Liebe seufzt – und als böse Wolke in breitestem Wienerisch zeigt, wo er herkommt…

Das Publikum im Corona-bedingt halb besetztem Vestibül brach am Ende geradezu in Jubelschreie aus, nicht nur, weil die beiden armen Spielzeuge, die man so lieb gewonnen hat, dann doch nicht ins Feuer geworfen werden, sondern auch weil man eine so herzliche, beschwingte Vorstellung gesehen hat.

Renate Wagner

 

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