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WIEN / Theatermuseum: GROTESKE KOMÖDIE

08.10.2020 | Ausstellungen, KRITIKEN

WIEN / Theatermuseum:
GROTESKE KOMÖDIE
Lodovico Ottavio Burnacini
Vom 8. Oktober 2020 bis zum 12. April 2020

Ein Feuerwerk der Phantasie

Es ist gut, wenn sich auch Museen darauf besinnen, was sie „noch“ besitzen. Oft Schätze, die brav in Kisten und Schachteln ruhen, wohl behütet vor Licht und Feuchtigkeit, aber im Schlaf des Vergessens – ungeachtet dessen, was sie erzählen können (und wie sagenhaft wertvoll sie sind). Im Theatermuseum hat man nun die rund 400 Zeichnungen hervorgeholt, die man von Lodovico Ottavio Burnacini besitzt – und siehe da: eine schönere, buntere, fröhlichere, anregendere, nachdenklicher machende Ausstellung kann man sich gar nicht vorstellen. Nichts wie hin!

Von Renate Wagner

 

Lodovico Ottavio Burnacini    Er wurde 1636 vermutlich in Venedig geboren, denn damals war sein Vater dort tätig: Giovanni Burnacini, der seinerseits einen so großen Ruf als Theaterarchitekt hatte, dass er und sein Bruder Marcantonio 1651 von Kaiser Ferdinand III. nach Wien berufen wurden – und der sechzehnjährigen Lodovico Ottavio kam mit. Ferdinand war einer der „komponierenden“ Habsburger, der Hof war ein Zentrum einer ungeahnten barocken Festeskultur. Und nach dem Tod seines Vaters 1655 übernahm Lodovico Ottavio ein ungeheures Aufgabengebiet, das ihn bis zu seinem Tod am 12. Dezember 1707 in Wien an diesem Ort festhielt. Auf Ferdinand III. folgte sein Sohn Kaiser Leopold I., mindestens ebenso festesfreudig, wenn nicht mehr – für ihn richtete Burnacini nicht zuletzt die sensationellen Hochzeitsfeierlichkeiten anlässlich der Vermählung mit Infantin Margarita Teresa von Spanien aus (1668 „II Pomo d’oro“ u, a.): Als Leopold 1705 starb, war Burnacini noch zwei Jahre bis zu seinem eigenen Tod für dessen Sohn, Kaiser Joseph I., tätig, hatte also mehr als ein halbes Jahrhundert im Dienst dreier Habsburger Kaiser verbracht und zum Ruhm von deren Hofhaltung einen gewaltigen Anteil beigetragen. Er baute diverse Theater, auch einen Teil der Hofburg, Anbauten in Laxenburg (er war nicht nur Theaterarchitekt), schuf Dekorationen und Kostüme zu über hundert Opern (mit berühmt raffinierter Bühnenmaschinerie), war auch logistisch für die Gestaltung von Festen zuständig – besonders der Fasching musste mit tausenderlei Einfällen bestückt werden:Sich zu vergnügen, war damals Schwerarbeit (zumindest für die Gestalter). Weder Pest noch Türkenbelagerung haben das Hofleben nachhaltig gestört – und Burnacini entwarf sogar die Pestsäule am Graben, die dann unter seiner Leitung von hochrangigen Handwerkern ausgeführt wurde.

 

Die Aufarbeitung des Materials     Im Wiener Theatermuseum konnte man aus Habsburgischem Besitz eine wunderbare Fülle von bunten Burnacini-Blättern hervorholen, und Rudi Risetti, seit sieben Jahren Kurator am Haus, Kustos für Handzeichnungen und Modelle, der schon viel zu den barocken Ausstellungen des Hauses beigetragen hat, hat diese Bestände nun aufgearbeitet, zuerst in einem phänomenalen Katalog, an dem man sich nicht satt sehen kann, nun an einer Ausstellung, die mit Hilfe des Gestalters Gerhard Veigel ein Kunststück für sich ist.

Die Ausstellung     Auf der Fassade des Palais Lobkowitz, wo das Theatermuseum beheimatet ist, „springt“ der Capitano, eine der klassischen Commedia dell’arte Figuren. Im Vorraum steht Arlecchino und trägt ein vergrößtertes Medaillon des Herrn, dem man durch sein Werk begegnen wird: Lodovico Ottavio Burnacini, Dann dreht sich ein Faß mit Masken – und man tritt ein in die beiden Ausstellungsräume. Lockere Barockmusik perlt fröhlich auf den Besucher herab, im linken Raum sieht er an der Wand eine Silhouetten-Nachbildung des berühmten Faschingswagens von Burnacini, und in der Mitte des Raums stehen sie dann und scheinen einen zu begrüßen: Die Figuren der Commedia dell’arte mit ihren Masken, bunten Kostümen und ihren obligaten komischen Bewegungen. Aber man sieht sie auch tatsächlich bewegt – in jedem der Räume befindet sich eine Leinwand, und da stolpern die Figuren nun lebendig herum: die italienischen Schauspieltruppe Bottega Buffa CircoVacanti hat diese Filme gestaltet, man sieht sie mit Vergnügen.

Die Zeichnungen… Da sind sie nun, die 125 Figurenzeichnungen, die aus den Beständen ausgewählt wurden, meist der Commedia dell’arte verpflichtet, aber auch in andere groteske Themenbereiche ausweichend, zu Zwergen, Kindern, Männern, die sich in Frauen verkleiden. Es sind Themen mit Variationen, aber da ufert die Phantasie des Schöpfers geradezu aus, der Einfallsreichtum ist schier unendlich, Figuren immer anders zu gestalten, zu kleiden und zu variieren. Bestrickend die Strahlkraft der Farben über die Distanz von über drei Jahrhunderten – man hat das auch wissenschaftlich untersucht und zeigt in Glasschälchen die Farben, die man damals benutzte. Aber es ist das Inhaltliche, das fasziniert, die Lust am Seltsamen, Abweichenden, auch Hässlichen, dieser barocke Drang, dass nicht alles ist, was es scheint, dieser Wunsch zu spielen, sich zu verwandeln, zu toben und zu tollen und am liebsten im Schlaraffenland zu landen… Unfasslich, was Burnacini alles eingefallen ist.

… und das Rundherum    Der Reiz der Ausstellung besteht aber auch in den „Accessoires“, um es so zu nennen, das reichhaltige Drumherum. Nicht zuletzt dank des Kunsthistorischen Museums, dessen Verband das Theatermuseum angehört, hat man die Zeichnungen mit anderen kostbaren Stücken anreichern können, ob Gemälde von Festlichkeiten erzählen (hier sind einige schöne Bilder von Jacques Callot zu sehen), ob es Darstellungen der Hofzwerge sind, der „Narrenteller“ (der aus Ambras herbei geholt wurde), „Affenspielkarten“ (von ebendort), ein „Narrenkopfbecher“ aus der Kunstkammer, und die Antikensammlung hat antike Masken beigesteuert, um den historischen Konnex herzustellen. Überhaupt die Masken, sie sind ein besonderes Vergnügen in ihrer Vielfalt, und glücklicherweise hat sich im Karneval von Venedig (es wird ihn wieder geben) vieles davon erhalten, die grotesken Nasen oder auch die vogelartig-spitzen. Es ist ein ungemein reizvolles, kurzweiliges Angebot, das in eine Welt führt, die den Namen „Groteske“ eher verdient als alle anderen Epochen, die sich wild gebärdeten…

Theatermuseum
Groteske Komödie.
Lodovico Ottavio Burnacini
Vom 8. Oktober 2020 bis zum 12. April 2021
Täglich außer Dienstag 10 bis 18 Uh

 

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