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WIEN / Theater der Jugend: PRINZ UND BETTELKNABE

10.10.2019 | KRITIKEN, Theater


Fotos: Theater der Jugend / Rita Newman

WIEN / Theater der Jugend im Renaissancetheater:
PRINZ UND BETTELKNABE von Jethro Compton nach Mark Twain
Premiere: 8. Oktober 2019

Wer „Mark Twain“ sagt, denkt sofort an Tom Sawyer und Huck Finn, aber wer ihn deshalb für einen Kinderbuchautor hält, könnte falscher nicht liegen. Die „Kinderbuch“-Fassungen mussten gewaltig entschärft werden, und dass Twain immer ein politischer, ein sozialpolitischer Schriftsteller war, zeigte auch ein Roman wie „Prinz und Bettelknabe“, der ebenfalls wie eine Kindergeschichte klingt und doch eine soziale Parabel erster Ordnung ist.

Wenn der englische Theatermacher Jethro Compton sich für das Theater der Jugend dieses Buches annahm, waren leise Zweifel berechtigt – hat er doch schon „Oliver Twist“ in die Gegenwart versetzt und zu einem Sandler in U-Bahn-Schluchten gemacht. Glücklicherweise ging er mit der Geschichte des Prinzen und seines Doppelgängers (der Prinz soll der Sohn des berüchtigten Heinrichs VIII. gewesen sein) viel sanfter und historisierender um. Und siehe da – was der Autor sagen wollte, kam voll zum Tragen (und dass der Bearbeiter sich gegenüber dem Original jegliche Freiheit nahm, nimmt man nicht übel, weil er letztlich in dessen Sinn verfuhr.)

Da ist also ein Prinz im Schloß, ein ziemlich unleidlicher Junge, knapp vor seinem 10. Geburtstag, auf dessen Herrschaft man sich eher nicht freuen würde. Und da ist der gleichaltrige Waisenjunge, der sich durchs Leben stiehlt und bettelt, aber in einem Priester immerhin einen Beschützer hat, der ihm lesen und schreiben und Latein beibringt und ein paar rebellische Gedanken auch. Dass es nämlich nicht gerecht ist, dass die einen alles haben und die anderen gar nichts…

Wenn sich die beiden Jungen, die sich ähneln wie ein Ei dem anderen (ohne dass aus der Doppelgängergeschichte nun die klassische Zwillingsgeschichte würde), im Palast begegnen und die Kleider tauschen, für einen Tag, wie sie glauben – ja, da perpetuiert sich das Abenteuer, denn Kleider machen Leute, der zerlumpte Junge kann noch so sehr behaupten, er sei ein Prinz, man wird ihn auslachen; und der Junge im Prinzengewand, wenn er so intelligent ist, wird als solcher genommen – auch wenn er ein viel besseres Menschenkind ist…

Das Schöne an Twains Geschichte besteht darin, dass nun beide etwas in ihren neuen Welten lernen: der echte Prinz, der im Proletariat landet, etwas über soziale Abgründe, von denen er nichts geahnt hat, und der Betteljunge als Prinz von Zwängen, die er sich nie vorgestellt hätte…

Wichtig ist, dass jeder einen Vertrauten findet, der neue Prinz den „Prügelknaben“, der zum treuen Gefährten und Berater wird, wenn er sich nicht mehr dauernd für die Verfehlungen der Hoheit schlagen lassen muss, und der echte Prinz eine Handvoll edler Rebellen… Ja, es ist ein Märchen, rein erfunden, schon gar, wenn der echte Prinz, als er dann doch König wird, gleich abdankt, um die Demokratie einzuführen. Er hat schließlich am eigenen Leib erfahren, wie sich Unterdrückung anfühlt…

Jethro Compton bringt diese Geschichte für Kinder ab 6 Jahren mit ultimativer Geschicklichkeit auf die Bühne, ja, er beschwört sogar ein wenig die Atmosphäre historischer Mantel- und Degen-Filme aus dem Hollywood der fünfziger Jahre, wenn hier nicht nur die Kostüme in die Vergangenheit weisen, sondern man auch richtig flotte Fechtszenen erlebt und sich eine Menge „Dramatik“ rund um die Aussage rankt, die glockenklar herüber kommt.

Zwei junge Schauspielerinnen spielen zwei kindliche Prinzen – Maria Astl als Eduard, der Schnösel, der seine Lektion lernt, und Julenka Werkmeister als Bettelknabe Thomas, der nur einmal kurz Gefahr läuft, sich von Macht und Stellung verderben zu lassen…

Da gibt Caroline Frank eine skrupellose, manipulative Intrigantin am Hof, Stefan Rosenthal unendlich liebenswert den klugen „Prügelknaben“, Michael Schusser einen noblen Rebellen, Uwe Achilles einen kämpferischen Pater, und auch der Rest des Ensembles bietet Erstklassiges.

Ein historisches Märchen als Lehrstück, in Theatervergnügen verpackt. Man könnte es kaum besser machen.

Renate Wagner

 

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