Fotos c_Rita Newman
WIEN / Theater der Jugend / Theater im Zentrum:
MOBY DICK nach Herman Melville
von Michael Schachermaier
Premiere: 25. April 2023
„Call me Ishmael“ – Nennt mich Ismael, ist einer der berühmtesten Anfangssätze der Weltliteratur, und das Buch, das folgt, kann sich auch hoher Popularität erfreuen: „Moby Dick“ von Herman Melville aus dem Jahre 1850, Abenteuergeschichte, fesselnde Charakterporträts, vor allem aber ein elementares Gleichnis – ebenso für menschliche Paranoia wie für die ewige Auseinandersetzung Mensch und Natur, ein Kampf, der (wie wir gerade heute wieder wissen) stets von neuem ausgetragen wird.
Wer den Roman nicht kennt, hat wahrscheinlich irgendwann einmal John Hustons kongeniale Verfilmung von 1956 mit Gregory Peck als Kapitän Ahab gesehen, immerhin ein Klassiker der Filmgeschichte. Darum erschien es etwas fraglich, wie man dieses Werk – zumal vieler Action-Szenen wegen – auf die Bühne bringen könnte. Nun Michael Schachermaier, der schon manch einen Romanklassiker dramatisiert hat, ist das wieder einmal eindrucksvoll gelungen, gleicherweise dramaturgisch wie inszenatorisch.
Zuerst hat der die personenreiche Geschichte geschickt zusammen gestrichen, sonst käme er nicht mit sechs Schauspielern (von denen einige mehrere Rollen übernehmen) und einer nicht unbedingt nötigen Live-Sängerin aus. Indem die Handlung gerade an Ismael entlang erzählt wird, behält sie immer ihre Übersichtlichkeit, wenn auch im zweiten Teil dann Ahab und sein Wahn, den Weißen Wal töten zu müssen (ein Racheakt, den er auf die Ebene des elementaren Kampfes von Gut gegen Böse erheben will) in den Mittelpunkt rückt.
Von der großen Besatzung der „Pequod“ treten nur der charakterstarke erste Steuermann, Starbuck und der exotische, geheimnisvolle Harpunier Quiqueg in den Vordergrund, Stubb und Flask stehen für den Rest der von Ahab bis zum letzten geschundenen Besatzung. So kann die Geschichte in der ebenso praktischen wie stimmigen Ausstattung von Regina Rösing in zwei Stunden schnell und dramatisch voran getrieben werden, die Brutalität des Walfangs vermitteln (ohne besonders zu moralisieren) und den Wahn eines Einzelnen, der rücksichtslos alle mit sich reißt, ausreichend charakterisieren. Schöne Details des Buches (etwa dass Ismael, der einzige Überlebende, auf dem Sargdeckel gerettet wird, den Quiqueg für sich herstellen ließ) fallen dabei natürlich aus, aber man bekommt einen sehr guten, keinesfalls oberflächlichen Abriß des Romans geboten.
Und Michael Schachermaier als Regisseur ist mit meisterhafter Logistik dabei, auf der Bühne des Theaters im Zentrum tatsächlich die Atmosphäre des Schiffes zu beschwören, die Dramatik von Jagd, Kampf und schließlich Untergang auch mit Hilfe von Geräusche-Dramaturgie, Musik und Licht dicht zu vermitteln.
Wunderbar Jonas Graber als der junge Ismael, einer, der als Unschuldslamm antritt und am Ende die Hölle erlebt hat, und das in ganz schlichter Attitüde.
Mathias Kopetzki wäre von der Optik her eher ein Fürst Dracula, aber er gibt Ahab die richtige Härte und Besessenheit. Sehr stark ist Frank Engelhardt als Starbuck, der mit Zivilcourage viel riskiert, als er sich Ahab entgegen stellt, und der Quiqueg des Wolfgang Seidenberg ist zwar nicht wirklich dämonisch, aber sehr ergreifend, als er sein Schicksal offenbart. Uwe Achilles und Lukas David Schmidt ergänzen kongenial, Mary Broadcast singt zur Gitarre.
Selbst die von Videospielen abgebrühtesten Schüler ab 11 Jahren, die hier angesprochen werden, müssen von der Live-Dramatik des Abends hingerissen sein. Bei der Premiere waren sie es jedenfalls.
Renate Wagner