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WIEN / Theater der Jugend: JUGEND OHNE GOTT

13.01.2020 | KRITIKEN, Theater


Fotos: Theater der Jugend / Rita Newman

WIEN / Theater der Jugend im Theater im Zentrum:
JUGEND OHNE GOTT nach Ödön von Horváth von Petra Wüllenweber
Premiere: 10. Jänner 2020,
besucht wurde die Vorstellung am 13. Jänner 2020

Von den Romanen des Ödön von Horvath reizt „Jugend ohne Gott“ offenbar besonders zur Dramatisierung. 1937 in der Emigration geschrieben, ist der Beginn des Werks eine politische Parabel, die so aktuell anmutet, dass man sie nicht nur heute, sondern jederzeit anwenden kann. Und zu Beginn des Abends im Theater im Zentrum, den Petra Wüllenweber textlich erstellt und inszeniert hat, ist man auch voll gefesselt.

Man erkennt es: Die Schulsituation, der Lehrer, der von schlicht humanistischen Gedanken ausgeht, für den also auch „Afrikaner“ (in Horvaths Roman heißt es noch „Neger“) Menschen sind; die Schüler, ziemlich heutig in ihrer gehässigen Attitüde dem Lehrer gegenüber, sind im Gedankengut des Zeitgeistes so weit eingefärbt, dass sie ihm für seine Humanitätsduselei alle Schwierigkeiten bereiten – und der Lehrer muss sich entscheiden, ob er sich duckt und den Beruf behält, den er schließlich als Lebensunterhalt braucht, oder ob er den Mund hält und seine Empörung in sich hineinfrisst? Er duckt sich, bis zu einer Wendung am Ende.

Da hat das Stück aber bereits eine andere Richtung genommen. Die Analyse von Druck und Anpassung (geht’s aktueller?) weicht einer ausschweifenden Thematik, die teils religiös ist (wobei der Glaube an „Gott“ dann mit ethischem Verhalten gleich gesetzt wird), teils aber auch glatt einen „Krimi“ ergibt. Lehrer und Schüler in einem Zeltlager, einer von ihnen entdeckt die Liebe zu einem Outlaw-Mädchen, das aus einer Besserungsanstalt in die Wälder geflohen ist und dort mit einer „Bande“ lebt. Unter den Schülern brodeln Wut, Eifersucht, Sadismus, es ist der Lehrer, der das Tagebuch des Schülers liest, aber ein anderer wird verdächtigt… und am Ende gibt es einen Mord. Auch wenn der Lehrer im Widerstand zu allen, die hier lieber ein Bauernopfer als den wahren Schuldigen wollen, diesen zu nennen bereit ist: Letztendlich siegen immer die „Reichen“ – auch eine ewige Erkenntnis.

Horvath hat viel Grundsätzliches in den Roman gepackt, hat dem Lehrer nicht nur die Schüler gegenüber gestellt, sondern auch einen alten Kollegen, der in Zynismus und Sexualität baden, oder einen Priester, der allen Ernstes erklärt, es sei die Pflicht der Kirche, an der Seite der Reichen zu agieren. Horvath, dessen Herz immer für die „Armen“ schlug (die materiell Armen, die Chancenlosen, die Ausgegrenzten), hat in diesem Buch andere Probleme. Sie sind, wie sich zeigt, teilweise die unseren.

Die Aufführung verfährt geschickt in dem Bühnenbild von Peter Engel, das nichts weiter ist als ein gewundener Holzsteg. Dort kann das Geschehen, das – wie bei Romandramatisierungen meist – ja von einer Szene in die andere fließt (eineinhalb pausenlose Spielstunden) immer überzeugend imaginiert werden.

Nur Jürgen Heigl (stark und still, kaum aufbegehrend) hat als Lehrer eine Solorolle, strahlt Hilflosigkeit, Vereinsamung und Zweifel (nicht zuletzt an Gott, der kein allgütiger sein kann) aus. Als Priester steht ihm Uwe Achilles gegenüber (der noch mehrere Rollen hat), als der alte Professor Lynne Williams. Sie ist auch eine der Schüler/Schülerinnen: Muriel Bielenberg, Anja Rüegg und Stefan Kuk bilden mit Lynne Williams die Schülertruppe, wirken immer wie viel mehr Leute, als sie eigentlich sind, eine Phalanx von Bosheit und Böswilligkeit. Virtuos schlüpfen sie in viele andere Rolle, egal welchen Geschlechts und Alters, und es ist immer wieder bemerkenswert, auf welchem Niveau im Theater der Jugend gearbeitet wird. Auch wenn manchmal die Stringenz fehlt und manchmal die Klarheit (das Gleichnis mit den „Fischen“ erschließt sich wohl nur dem Kenner des Buches), ist es ein starker Abend, dem das jugendliche Publikum gespannt folgte und den es kräftig akklamierte.

Bloß: Wie sehr unser Zeitgeist alles umfärbt (!!! – ist das nicht auch das Thema des Stücks, wie man sich duckt?), beweist die Schlußformulierung: Der Lehrer, der in seiner Heimat keine Möglichkeit mehr hat, wird als Entwicklungshelfer nach Afrika gehen – als „Neger“ (Außenseiter) zu Negern, wie es bei Horvath heißt. Ist die zeitgemäße Eindeutschung „als Ausländer zu Ausländern“ sinnvoll oder einsichtig? Wohl kaum. Nur weil man sich vor einem Wort fürchtet, das hier durchaus im historischen Kontext und keinesfalls diskriminierend erscheinen würde?

Renate Wagner

 

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