WIEN / Theater der Jugend / Theater im Zentrum:
IM PANOPTIKUM DES FRANZ K.
Aus den Tagebüchern Franz Kafkas
Für die Bühne eingerichtet von Gerald Maria Bauer
Mitarbeit Sebastian von Lagiewski
Uraufführung
Premiere: 12. Jänner 2024
Es ist Franz Kafka-Jahr. Übrigens auch Hugo von Hofmannsthal-Jahr, Karl Kraus-Jahr, Mayröcker-Jahr, um nur die Berühmtesten unter den österreichischen Dichtern (und Kafka entstammte schließlich der Monarchie) zu nennen. Da steht uns noch einiges bevor.
Kafka-Jahr also. Der am 3. Juli 1883 in Prag Geborene starb vor hundert Jahren, am 3. Juni 1924, in einem Sanatorium in Klosterneuburg-Kierling an Lungentuberkulose, kurz vor seinem 41. Geburtstag. Seine Romane „Der Prozeß“ und „Das Schloß“ sind nicht zuletzt durch die Verfilmungen bekannt, die berühmteste seiner Erzählungen ist wohl „Die Verwandlung“. Fürs Theater hat er nie geschrieben.
Das bedeutet allerdings nicht, dass man ihm nicht auf der Bühne begegnen wird – schon nächste Woche zeigt das Burgtheater eine Dramatisierung der „Verwandlung“, Den Startschuß gab allerdings das Theater der Jugend, das in Gerald Maria Bauer offenbar einen leidenschaftlichen Kafka-Verehrer hat. Einen Kick zu leidenschaftlich allerdings – sonst wäre ihm der Abend „Im Panoptikum des Franz K“ nicht dramaturgisch und formal aus den Händen geglitten. Weniger wäre in diesem Fall mehr gewesen.
Bauer stützt sich neben Briefen vor allem auf die Tagebücher Kafkas, die nur in geringem Ausmaß Aufzeichnungen über reale Ereignisse sind, sondern eine geradezu schmerzlich-peinigende Selbstbefragung. Kein Theatertext, aber verteilt auf vier Schauspieler kann man durchaus einige Dramatik daraus schlagen. Zumal in einem so fabelhaften Bühnenbild wie dieser Welt aus Aktenordnern und Treppen, die Friedrich Eggert auf die Bühne des Theaters im Zentrum gestellt hat – eine überzeugendere Ausstattung hat man lange nicht gesehen.
Sie wird nur leider zum Hemmschuh. In seiner Leidenschaft, die irre, wirre innere und äußere Welt des Franz Kafka adäquat auf die Bühne zu bringen, lässt Bauer die vier Darsteller ununterbrochen treppauf, treppab über die Bühne hetzen, ein logistisches Meisterstück, gewiß, aber ein Stil, der sich spätestens innerhalb von zehn Minuten abnützt und dann nur noch nervt, zumal er mit möglichst viel Schreibmaschinegeklapper verschärft wird. Auch setzt Bauer hier, in Kafkas Erinnerungen an Vater und die eigene Jugend, auf Wiederholungen – wenn er gefühlte zehn Mal erklären lässt, wie sehr Kafkas Erziehung seines Erachtens schief gelaufen ist, dann geht es Bauer um die Variation der Wiederholung. Aber er fragt sich nicht, ob der Theaterbesucher vielleicht innerlich „Nicht schon wieder!“ stöhnt…
Aus der Nabelschau des privaten Kafka-Unglücks, die entschieden zu lang ausfällt, bricht der Abend noch vor der Pause aus, indem plötzlich (da poltert ein Teil des Bühnenbilds herab) Gregor Samsa hereinschneit… man weiß schon, der Held aus „Die Verwandlung“, der sich plötzlich als Insekt wieder findet. Ob alle Schüler ab 13, für die dieser Abend gedacht ist, auch wissen, worum es hier geht, sei dahingestellt. So selbst erklärend, wie Bauer wohl hofft, ist der Kosmos Kafka doch nicht.
Der zweite Teil fällt dann entschieden besser aus, weil ruhiger, weniger Wahnsinns-Action, was den Schauspielern und dem Publikum Konzentration auf Text und Sprache erlaubt. Auf die Geschichte der unglücklichen Beziehung zu Felice Bauer, auf die sich Kafka ehemäßig doch nicht einlassen wollte, folgt dann eine große „Portion“ seines Romans „Der Prozeß“ – zu lang, zunehmend nervenzerreißend. Und Passagen aus dem „Landarzt“ führen dann zusätzlich quälend auf Kafkas tragischen Tod zu…
Gerald Maria Bauer hatte ein aufopferndes Darsteller-Quartett, die sich in ununterbrochenem Tonfall- und Rollenwechsel ebenso verausgabten wie in den geradezu sportlichen Fähigkeiten, die ihnen die Hatz auf der Bühne abverlangte. Sie alle waren gelegentlich „Franz K.“, wobei Jasper Engelhardt noch den Vorzug hatte, dem originalen Franz Kafka tatsächlich ähnlich zu sehen. Valentin Späth durfte u.a. Gregor Samsa sein, David Fuchs fiel gelegentlich Vater Kafka zu, und als einzige Frau war Sophie Aujesky neben viel anderem natürlich Felice Bauer. Ein fabelhaftes Virtuosenquartett.
Dennoch wurde der Abend über weite Strecken ein Opfer seines ausufernden Stils. Kafka war ein Meisterquäler, allerdings seiner selbst, nun quält er hier auch sein Publikum. Eine halbe Stunde vor der Pause gestrichen, eine Viertelstunde nach der Pause, etwas mehr Ruhe und Konzentration auf den Text – und man hätte mehr davon. Dennoch stürmischer Jubel bei der Premiere.
Renate Wagner