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WIEN / Theater der Jugend. FRÜHLINGS ERWACHEN

28.03.2023 | KRITIKEN, Theater

frühlings erwachen / nach frank wedekind von thomas birkmeir
Fotos:  c_ Rita Newman

WIEN / Theater der Jugend.
FRÜHLINGS ERWACHEN
nach Frank Wedekind von Thomas Birkmeir
Premiere: 24. März 2023,
besucht wurde die Vorstellung am 27. März 2023 

Man hat mit so genannten „Überschreibungen“ so viele schlechte bis verheerende Erfahrungen gemacht, dass man dieser heutzutage leider so reichlich gepflegten Methode der Interpretation skeptisch gegenüber steht. Aber es kann auch gelingen, wie Thomas Birkmeir, der Direktor des Theaters der Jugend, mit seiner Fassung von Wedekinds „Frühlings Erwachen“ beweist.

Da geht es nicht (nur) um krampfhafte Modernisierung, da geht der Bearbeiter doch erkennbar von Wedekinds Stück aus und entwickelt die Probleme einer Jugend, die im Original um die letzte Jahrhundertwende angesiedelt ist, folgerichtig für heute – mit den „aktuellen“ Hinzufügungen, aber doch mit der im Grunde selben Problematik: Wie schwer es junge Leute in der Pubertät haben, und dass nicht alle imstande sind, damit umzugehen…

Dabei reduziert Thomas Birkmeir Teile der Handlung (die Lehrer der Schule, die Eltern von Moritz Stiefel) und konzentriert sich im schnellen Ablauf auf das Wesentliche, nämlich das Leben der drei – in der Theatergeschichte weltberühmt gewordenen – Jugendlichen: Wendla Bergman, Melchior Gabor und vor allem Moritz Stiefel, einer der tragischen „Selbstmörder“ der Literatur. Die Tragödie“ Wendlas, die an den Folgen einer Schwangerschaft stirbt (hier wird nicht klar, dass die Mutter eine Abtreibung veranlasst hat), Melchior, der Kluge, der sich in eine kühle Distanz zu den Menschen und Gefühlen hinein philosophiert (dass er von den Eltern in eine Art „Besserungsanstalt“ geschickt wird, findet hier nicht statt) und am Ende, vor die Wahl zwischen Leben und Tod gestellt, das Leben wählt. Und Moritz Stiefel, dem alles, was man ihm als Zukunft aufzwingen will, so schrecklich sinnlos erscheint, dass er sich erschießt.

Er tut dies in dieser Aufführung vor laufender Kamera, und alle Ingredienzien des heutigen Lebens hat Thomas Birkmeir geradezu massenhaft in das Stück hinein geschaufelt – die Smartphones und die allgegenwärtigen Sozialen Medien, Tattoos und Cheerleader, das Islam-Problem (er lässt eine von Wendlas Freundinnen Muslima sein, die sich heftig darüber beschwert, wie sie behandelt wird) und vor allem die Transgender-Frage. Tritt bei Wedekind ein Model namens Ilse auf, so macht Birkmeir daraus einen Mitschüler, der seine Trans-Existenzen geradezu experimentell austestet, Weiters geht es, auch noch hinein gepfropft, auch um  Flüchtlinge (mit kurz angetippter, hinterfragter  „Gutmenschen“-Haltung), und man wundert sich direkt, dass der Neu-Autor Birkmeir die Klimakleber ausgelassen hat, wo die Jugendlichen, halb ironisch mit Phrasen jonglierend,  doch scheinbar alles diskutieren, was heute „in“ ist…

Das Stück, das bei Wedekind und auch in dieser Fassung weitgehend „realistisch“ verläuft, ist berühmt für seinen irrationalen Schluß: Moritz Stiefel erscheint aus seinem Grab  und will Freund Melchior zu sich in den Tod holen – aber dann ist da plötzlich der nicht näher definierte „Vermummte Herr“ (den Wedekind bei der Uraufführung des Stücks selbst gespielt hat), der ihn ins Leben zurück holt…

frühlings erwachen / nach frank wedekind von thomas birkmeir

Thomas Birkmeir arbeitet als sein eigener Regisseur mit einer Bühnenschräge (Bühnenbild: Andreas Lungenschmid), wo sich die jungen Darsteller in heutigen Gewändern (Kostüme: Irmgard Kersting) bewegen. Und sie sind wirklich jung, zwar nicht die rund 15-jährigen Teenager (das Wort hat Wedekind noch nicht gekannt), die sich im Original auf der Bühne bewegen sollen, aber doch glaubhaft junge Menschen, wobei der Welt- und Lebensschmerz, der Moritz durchdringt, von Ludwig Wendelin Weißenberger ganz wunderbar vermittelt wird. Curdin Caviezel ist als Melchior vielleicht cooler, als im Original angelegt, aber glaubhaft und intensiv in allen Aktionen. Wunderschön die junge Wendla der Victoria Hauer, die man zu Beginn in heftigem Streit mit ihrer Mutter erlebt, die sich aber dann als gutes, in die Verzweiflung getriebenes Wesen herausstellt.

Eine Erwachsene (Simone Kabst besonders gut als Wendlas Mutter zwischen Liebe und echt mütterlicher Verzweiflung) und fünf junge Darsteller (Shirina Granmayeh, Claudia Waldherr. Robin Jentys, Jakob Pinter – eindrucksvoll in seiner Verwandlung in „Ilse“- und Haris Ademovic) realisieren alle Rollen in einer rasanten, schonungslosen, unter die Haut gehenden und immer wieder berührenden Inszenierung.

Die gut besuchte Repertoireaufführung sah auch viele Erwachsene im Publikum. Nicht zum ersten Mal bietet das Theater der „Jugend“ einen Abend, den sich kein Theaterfreund, welchen Alters auch immer,  entgehen lassen sollte.

Renate Wagner

 

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