Fotos: Rita Newman
WIEN / Theater der Jugend im Theater im Zentrum:
EIN KIND von Thomas Bernhard
Für die Bühne eingerichtet von Gerald Maria Bauer
Premiere: 13. Jänner 2023
Wer die autobiographischen Schriften von Thomas Bernhard kennt, die er zwischen 1975 und 1982 in fünf viel beachteten Büchern vorgelegt hat, weiß, wie verästelt sie sind, gedanklich in alle Richtungen ausschweifend, kaum „dramaturgisch“ klar zu fassen. Es war also ein schwieriges Unternehmen, als Gerald Maria Bauer, nun auch schon seit zwei Jahrzehnten Chefdramaturg des Wiener Theaters der Jugend, daran ging, „Ein Kind“ auf die Bühne zu bringen, wobei allerdings der zweite Teil des Abends aus den Ereignissen des Buches „Der Keller“ besteht.
In eine Art Kellerraum (Ausstattung: Friedrich Eggert) führt auch die Aufführung im Theater im Zentrum, wo fünf Darsteller sich um Bernhard bemühen. Das beginnt ein wenig holprig, erweckt zuerst den Eindruck, da würde einfach Text aufgesagt, willkürlich auf die Schauspieler verteilt. Aber sehr bald gewinnen Stück und Aufführung ihren überzeugenden Rhythmus.
Zuvörderst gelingt es, das Getriebene von Bernhards Sprache zu realisieren und dem ganzen Abend als überzeugendes Tempo auf zu erlegen. Weiters konzentriert sich um den Darsteller, der das „Kind“ Bernhard (zwischen 8 und 16 Jahren) geradezu faszinierend verkörpert (Jasper Engelhardt spielt sein aktuelles Lebensalter hinweg wie nichts und ist dieses immer neugierige, aufmüpfige Bernhard-Kind par excellene) eine Handlung mit Figuren, die bunt auf drei Herren und eine Dame verteilt werden und immer stimmig sind, auch dort, wo sich die Aufführung entschließt, ein wenig parodistisch zu werden, was nicht sein müsste.
Man erlebt also die Ereignisse aus „Ein Kind“ – beginnend mit dem übermütigen Radausflug des hochgemuten Achtjährigen, der dann so kläglich zu Ende geht. Die tragischsten Elemente dieses Erinnerungsbuches behandeln die Beziehung zur Mutter, die den unschuldigen Sohn stets auf das wüsteste beschimpft hat, weil sie in ihm seinen Vater sah, jenem Mann, der schnell das Weite suchte, als sie schwanger war. Bernhard, der seinem leiblichen Vater nie begegnet ist, hatte später Verständnis für ihre Situation und auch ihre Ausfälle, aber es scheint klar, dass eine solche Jugend einen Menschen innerlich verbiegen musste…
Demütigendes folgt vielfach, man erlebt auch, wie der 1931 geborene Junge von den Nationalsozialisten ungefragt und widerwillig vereinnahmt wurde, bevor er sich selbst gleich nach dem Krieg aus dem Gymnasium entfernte und eine Lehre „ganz unten“ begann, in einer Lebensmittelhandlung in einem berüchtigten Salzburger Vorort… Hier will er am meisten über das Leben gelernt haben, vor allem eine Grundhaltung der Gleichgültigkeit, die dann am Ende des zweieinhalbstündigen Theaterabends steht: „Servus und es ist alles egal…“ als dann doch eher triste Botschaft an sein Publikum.
Gerald Maria Bauer hat seinem Bernhard-Abend jenen Drive verliehen, den man auch aus dessen Stücken kennt, und er holt auch aus den „dienenden“ Darstellern alles heraus. Jeder verkörpert viele Rollen, Violetta Zupancic nicht nur alle Damen (wenige davon sind sympathisch), Valentin Späth darf als erwachsener Thomas Bernhard manches kommentieren, David Fuchs ist der so wichtige, wenn auch zwiespältige Großvater, Stefan Rosenthal spielt alles, was noch so anfällt, ein Mädel auch, den Kolonialwarenhändler Podlaha, der eigentlich Musiker werden wollte, oder auch einen Gauleiter…
Die einzige Frage, die der letztlich gelungene Abend offen lässt, bezieht sich auf die jugendlichen Zuschauer ab 13, für die diese Produktion gedacht ist. Was kann ihnen dieses „Thomas Bernhard Biopic“ bringen, diese dunkle Geschichte, die keine sichtliche Nutzanwendung (für Jugendtheater) hat? Nun, es gehen ja auch Erwachsene ins Theater der Jugend, und Bernhard-Leser werden an dieser geschickt gestrichenen Umsetzung seiner Texte bei aller enthaltenen Bitternis ihr Vergnügen haben.
Renate Wagner