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WIEN / Theater der Jugend: DER GLÖCKNER VON NOTRE DAME

20.10.2020 | KRITIKEN, Theater

Foto: Theater der Jugend / Rita Newman

WIEN / Theater der Jugend / Theater im Zentrum:
DER GLÖCKNER VON NOTRE DAME nach Victor Hugo von Jethro Compton
Premiere: 20. Oktober 2020

„Der Glöckner von Notre Dame“ ist einer der großen Romane der französischen Literatur, dessen Titel jeder kennt, auch wenn er im deutschen Sprachraum vielleicht nicht allzu viel gelesen wird. Aber irgendwann tauchen im Fernsehen die alten Verfilmungen auf (legendär sowohl mit Charles Laugthon und Maureen O’Hara wie mit Anthony Quinn und Gina Lollobrigida), die das vielschichtige Werk von Victor Hugo vor allem auf die Quasimodo / Esmeralda / Frollo-Handlung reduziert haben. Dasselbe tut auch der britische Theatermacher Jethro Compton in seiner Bearbeitung des Buchs für das Theater der Jugend.

Das, was da in knappen zwei Stunden über die Bretter des Theaters im Zentrum läuft, scheint allerdings ziemlich harter Tobak für ein Publikum ab 11 Jahren, auch wenn die Kids heutzutage auf den Smartphones vermutlich Dinge sehen, die man früher nicht für möglich gehalten hätte. Aber da entwickelt sich auf der Bühne nicht nur die unheimliche Stimmung im Glockenturm von Notre Dame und des mittelalterlichen Paris, sondern da wird Quasimodo. der verkrüppelte Glöckner, brutal ausgepeitscht, da steht Esmeralda am Scheiterhaufen, Frollo rennt Quasimodo ein Messer in den Leib, dafür bricht dieser ihm das Genick… auch wenn der Bearbeiter hier am Ende eine Art Happyend erfunden hat (das so gar nicht im Roman steht), beruhigt das die Gemüter vermutlich nicht wirklich…

Es ist anzunehmen, dass man den Kindern die Geschichte ihrer Aussagekraft wegen zumutet: der bucklige Glöckner und die schöne Zigeunerin sind die klassischen Außenseiter der Gesellschaft, die auch als solche ausgegrenzt werden. Ganz deutlich wird die Aufforderung ins Publikum gezielt, alle Zigeuner aus Paris zu vertreiben… Der Priester Frollo ist das negative Beispiel eines hasserfüllten, manipulativen Menschen (Machtmissbrauch par excellence), aber an Quasimodo und Esmeralda lässt sich die Kraft  von Liebe, Empathie und schlichter Menschlichkeit zeigen. Also eigentlich – ein politisches Stück.

Jethro Compton ist (in einer sehr geschickten Ausstattung von ihm selbst und Diana Zimmermann, Kostüme: Andrea Bernd) weder als Autor noch als Regisseur mit Samthandschuhen vorgegangen, die Geschichte wird mit harten Konturen erzählt.

Quasimodo, der in dieser Fassung auch zum Erzähler wird, trägt eine schlimme Gesichtsmaske und humpelt den Krüppel, bekommt aber von Frank Engelhardt die richtige positive Ausstrahlung (das Mitleid mit dem Benachteiligten wird jeder spontan empfinden, zumal man die schöne Seele spürt), während Bernhard Majcen als Frollo den ganzen bösen Fanatismus ausstrahlt, der in dieser Figur steckt.

Soffi Povo, die auch schön und überzeugend auf Spanisch singt, muss als Esmeralda nicht hüftenwackelnden Sex ausstrahlen, sondern immer nur die Kraft und Entschlossenheit einer selbstbewussten, klugen Frau vermitteln. Valentin Späth als Captain Phoebus ist hübsch und edel und, wie alle anderen außer Quasimodo, in geschickter Reduktion als „Ensemble“ beschäftigt.

Wie meist im Theater der Jugend ist es eine gekonnte Aufführung, die in diesem Fall nur nicht alle Zweifel wegräumt, ob sie in ihrer Schonungslosigkeit wirklich für ein kindliches Publikum geeignet ist.

Renate Wagner

 

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