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WIEN / Theater an der Wien: ZAZA


Fotos: Theater an der Wien / Monika Rittershaus

WIEN / Theater an der Wien:
ZAZA von Ruggero Leoncavallo
Premiere: 16. September 2020,
besucht wurde die zweite Vorstellung am 18. September 2020

1900 war das Jahr der „Tosca“, uraufgeführt in Rom, und diese eifersüchtige, aber treue und tapfere Liebende hat Operngeschichte geschrieben, kaum ein Haus bis auf den heutigen Tag, wo sie nicht dauerndes Wohnrecht besitzt und ein Kassenschlager ist. 1900 war auch das Jahr von „Zaza“, uraufgeführt in Mailand, auch sie Künstlerin, auch sie das Geschöpf eines prominenten Veristen, nämlich Ruggero Leoncavallo. Aber selbst versierte Opernfreunde von heute haben möglicherweise bis zur derzeitigen Aufführung im Theater an der Wien nichts von ihr gehört. Und das ist nicht schwer zu erklären.

Wie immer ist man dankbar, dass man an der Wienzeile mit vergessenen Werken bekannt gemacht wird, auch wenn das immer wieder einmal zu ziehende Resümee darin besteht, dass für das Vergessen gute Gründe bestehen. Leoncavallo hat sich (unter Mitarbeit von Carlo Zangarini) selbst den Text geschrieben, hier Wagner folgend, und durchaus darauf geachtet, einiges in seinen Vierakter einzubringen.

Im ersten Akt herrscht Varieté-Leben (wenn auch in der Provinz, nicht in Paris), und ein bißl durcheinander geht es schon, man erinnert sich an andere zerfaserte Opernanfänge (etwa „Adriana Lecouvreur“, auch im Theatermilieu). Dann verführt unsere Heldin, Zaza, den Mann, der ihr ins Auge sticht: Milio Dufresne aus Paris, und sie liebt ihn heftig.

Da es außer Sopran-Star und Tenor-Helden (der hier so gar kein Held ist, sondern nur ein schwankender Bürger) auch einen Bariton geben muss, ist Cascart ihr Ex-Liebhaber, der sie noch immer begehrt, eifersüchtig und auch intrigant. Er erzählt ihr, Milio habe in Paris eine Geliebte.

Sehr geschickt der dritte Akt, wo Zaza in Milios Wohnung auftaucht und feststellen muss, dass er verheiratet ist und eine kleine Tochter hat, die in ihrer Naivität bezaubernd ist (und nicht singen, sondern nur sprechen muss, was einen wunderbaren Effekt ergibt). Das ist schon sentimental genug, und Zaza verzichtet eigentlich auf Milio, nicht, ohne dass es im vierten Akt bei der Trennung nicht noch vielfach dramatisch zugeht. Zaza spielt ein grausames Spiel, behauptet, sie habe seiner Frau alles gesagt, erlebt den Zornausbruch des Bürgers, dem an seiner Familie zuhause viel mehr liegt als an der Geliebten in der Provinz – und Zaza, ihn unbegreiflicherweise immer noch liebend, blickt ihm tragisch hinterher.

Dass sie jetzt nicht ins Wasser geht, sondern überlebt, ist auch nach der Aussage von Regisseur Christof Loy ein ganz wichtiges Element der Handlung – unbegreiflich, dass er sie zu Boden stürzen lässt, statt dass sie aufrecht ihrer leeren Zukunft entgegen geht…

Von der Handlung her ist „Zaza“ nicht mehr und nicht weniger Schmonzette als viele andere Opern. Was fehlt, ist die musikalische Inspiration, die aus einer Oper ein Meisterwerk macht. Natürlich war Leoncavallo ein Könner, man hört es immer wieder, er mixte Verismo flott mit Elementen der Wiener Operette, er lässt Delikates erklingen (etwa wie man es aus dem Vogellied der Nedda aus dem „Bajazzo“ kennt) und braust dramatisch auch ganz schön auf. Nur gibt es keine einzige Arie von ihr oder ihm, bei der man aufhorchen würde, kein mitreißendes Duett, keine unvergessliche Passage. Ein B-Werk, das man sich einmal anhört, gleich wieder vergessen hat und nicht unbedingt näher kennen möchte. Davon gibt es mehr, als das Opernrepertoire Meisterwerke hat, das ist ohnedies klar…

Das Theater an der Wien beschert wieder einmal eine der immer gleich aussehenden, optisch so langweiligen „Zimmer-Inszenierungen“ von Christof Loy (Bühne Raimund Orfeo Voigt, Kostüme altmodisch, irgendwie fünfziger Jahre Herbert Murauer). Gerade dieses Stück würde das Ambiente der Belle Epoque benötigen und solcherart viel besser, lebendiger wirken – diese Cross-over-Leidenschaften zwischen Halbwelt und Bürgerlichkeit spielen sich nicht vor weißen Wänden ab, und der Abstecher in die Pariser Bürgerwohnung würde weit stärker wirken, gäbe es da optischen Kontrast. Aber das wäre ja „altmodisch“…

Dabei sind die Darsteller von Loy so weit glaubhaft geführt. Die Russin Svetlana Aksenova ist eine bezaubernd hübsche Zaza, eine begabte Darstellerin zwischen Raffinesse und echter Liebe. Das Bild ihrer Leistung würde sich besser runden, wenn ihr dunkel timbrierter Sopran nicht in allen Lagen so schrecklich tremolierte, sobald sie etwas mehr Kraft gibt, so dass es für die Zuhörer schmerzt. Schade.

Nikolai Schukoff ist als Typ für den Milio Dufresne gut besetzt – der Mann, der nicht unbedingt „will“, aber einer reizvollen Frau nicht widerstehen kann, und der sich eigentlich die ganze Zeit unbehaglich in seiner Haut fühlt – er soll ja kein Held sein, er ist ja nur schäbig und kleinkariert. Aber vielleicht rührte das Unbehagen auch daher, dass Schukoff zwar von Zeit zu Zeit mit Gewalt einen überzeugenden Spitzenton produzieren kann – auf Linie singen, kann er sicher nicht, und bei beiden Arien stieß er hörbar an die Grenzen seiner technischen Möglichkeiten, was er ebenso empfunden haben muss wie der Zuhörer.

So kam die beste Leistung des Abends von Christopher Maltman, und das, obwohl die Rolle des Cascart mikriger nicht sein könnte (nicht nur, wenn man sie mit Scarpia vergleichen wollte). Aber er holte aus seinem prächtigen Bariton alles heraus und spielte den herz-zerrissenen Intriganten, so gut es eben ging. Er war nicht der Beste, weil er der Berühmteste ist – sondern es werden eben jene berühmt, die die besten Leistungen liefern.

Keine der anderen männlichen Nebenrollen war von Leoncavallo so begabt angelegt, dass sie irgendwie ins Bewusstsein treten konnte, sonst nahm man noch allerbestenfalls Zazas „böse“ Mutter (Enkelejda Shkosa) wahr, die als Theatermutter im Kostüm vielleicht hätte auffallen können, und eine unterbeschäftigte treue Dienerin (Juliette Mars).

Stefan Soltész ließ am Pult des ORF Radio-Symphonieorchesters hören, wie viel ein Komponist können kann, ohne zur wahren Inspiration aufzusteigen. Das Publikum (man hatte auf Bitte des Hauses den ganzen Abend die Masken aufgelassen) applaudierte freundlich. Immerhin hat man ein neues Werk kennen gelernt.

Renate Wagner

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ZAZÀ

Commedia lirica in vier Akten (1919)
Musik von Ruggero Leoncavallo
Libretto Ruggero Leoncavallo unter Mitarbeit von Carlo Zangarini

Musikalische Leitung Stefan Soltész
Inszenierung Christof Loy
Bühne Raimund Orfeo Voigt
Kostüm Herbert Murauer
Licht Reinhard Traub
Choreografie Thomas Wilhelm

Zazà      Svetlana Aksenova
Milio Dufresne      Nikolai Schukoff
Cascart      Christopher Maltman
Floriana / Signora Dufresne      Dorothea Herbert
Anaide, Zazàs Mutter      Enkelejda Shkosa
Natalia, Zazàs Zofe      Juliette Mars
Bussy, Journalist      Tobias Greenhalgh
Courtois, Impressario      Paul Schweinester
Duclou, Regisseur      Dmitru Mădăraşăn
Marco / Augusto      Johannes Bamberger
Totò Dufresne Livia Gallenga / Vittoria Antonuzzo
Claretta      Ena Topcibasic
Simona      Lilya Namisnyk
Un signore      Patrick Maria Kühn

ORF Radio-Symphonieorchester
Arnold Schoenberg Chor (Ltg.: Erwin Ortner)

 

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