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WIEN / Theater an der Wien: WOZZECK

15.10.2017 | KRITIKEN, Oper

Wozzeck 13_© Werner Kmetitsch x~1
Fotos: © Werner Kmetitsch / Theater an der Wien

WIEN / Theater an der Wien:
WOZZECK von Alban Berg
Premiere: 15. Oktober 2017

Mit dem digitalen Zeitalter sind für Opernfreunde goldene Jahre angebrochen. Man kann, meist gegen gar kein oder verhältnismäßig geringes Entgelt, in der ganzen Welt unterwegs sein, ohne sich aus seinem (natürlich mit Bild und Ton best ausgestatteten) Wohnzimmer zu bewegen. Wer nicht unbedingt den Live-Eindruck mit allem Drumherum braucht, sondern süchtig ist auf Vergleiche, wird reichlich bedient. „Wozzeck“ zum Beispiel.

Da lieferte der ORF auf seinem Bezahlsender „Fidelio“ die Produktion der diesjährigen Salzburger Festspiele, und man konnte bewundern, wie William Kentridge sein überbordendes, stets präsentes Bühnenbild zu einem integralen Teil des Geschehens machte und Wozzeck in eine üppige, fast andauernd bewegte Welt einbettete (und das bei einer Oper, die szenisch gerne „trocken“ gesehen wird). Arte concert wiederum liefert die Aufführung, die die Dutch National Opera in Amsterdam vor einem halben Jahr gezeigt hat, eine wie skurril-„abstrakt“ wirkende Inszenierung von Krzysztof Warlikowski (mit reichem Kinder- und Verstörungsanteil und Christopher Maltman und Eva-Maria Westbroek als Hauptdarsteller mit parodistisch bürgerlichen Akzenten).

Das sind doch schon einmal die Latte hoch legende Referenzpunkte für eine neue Inszenierung des Theaters an der Wien, die gar nicht so richtig schief gehen konnte, weil Regisseur Robert Carsen (selbst, wenn er sich manchmal verrennt oder verfährt) immer für Hochinteressantes gut ist. Er kann es sich leisten, sich ganz auf die Geschichte zu konzentrieren und nicht panisch nach Ideen zu haschen. Dass die militärische Umwelt durch einen starken Anteil an Uniformen (und gelegentlichem Exerzieren) betont wird, stimmt als ein Milieu, das den Druck auf die Menschen darin verstärkt. Einige Details sind anders als sonst – Wozzeck rasiert den Hauptmann nicht, er putzt ihm die Schuhe (und später muss er, als Akt der Demütigung, ihm irgendeinen Tierdreck von der Schuhsohle kratzen); Marie setzt sich einen Schuß (und Carsen hat genau einen Moment gefunden, wo die Musik von großer Erleichterung zu erzählen scheint); der Narr ist, wenn er „Ich rieche Blut“ singt, total mit Blut überströmt; Wozzecks Weg in den Tod führt in kein sichtbares Wasser, sondern über seine schlafenden Kameraden – und ein Gewehr, das am Boden liegen bleibt, dient Wozzecks Kind als Steckenpferd, wenn die anderen Kinder ihm brutal-triumphierend zurufen: „Deine Mutter ist tot!“ (Eine immer schier unerträgliche Szene.)

Grundsätzlich geht es Carsen aber vor allem darum, Wozzeck und Marie als das zu zeigen, was sie sind: als Opfer ihrer Umwelt. Der mobbende, boshaft-bösartige Sadismus von Hauptmann und Doktor erzeugen beim Zuschauer Beklemmungen, der Tambourmajor zieht Wozzeck noch ein Höschen (zweifellos von Marie) über den Kopf – es wird alles getan, um diesen Mann in den Wahnsinn zu treiben, und das gelingt. Ebenso wie die Studie von Maries Hoffnungslosigkeit, Inbegriff der „armen Leut“, so dass ein Paar glitzernder Ohrringe für sie zum Inbegriff des besseren Lebens werden können. Carsen lässt nichts zwischen das Publikum und die Geschichte dieser beiden Menschen kommen – und geht damit dem Werk so auf den Grund, wie Berg es vermutlich gemeint hat.

Die Ausstattung von Gideon Davey erzählt Szene nach Szene, teilt die tiefe, leere Bühne in Segmente, die durch Vorhänge (meist werden sie gezogen, sie kommen aber auch von unten oder oben) getrennt werden, es ist keine Ausstattungsrevue, sondern nur eine relativ spartanische, soldatische Welt, in der auch Marie nur in abgelegtem Soldatenzeug herumgeht. Dieses Outfit macht sie nicht sinnlich-sexy, nichts an dieser Welt ist künstlich interessant aufgemotzt, im Gegenteil – tragisch, monoton, eine Untergangsszenerie.

Wozzeck 5_© Werner Kmetitsch x~1

Darin lebt Wozzeck in Gestalt von Florian Boesch, ein mächtiger Mann mit mächtiger Stimme (er braucht sie auch angesichts der Lautstärke des Orchesters), einer, der von Anfang an schon aus der Normalität gerutscht ist. Er funktioniert, wo er muss, wenn auch nicht ohne Aufbegehren, und lässt sich in seine Zwangsvorstellungen fallen, wenn er mit sich ist. Das alles ohne aufgesetzte Dramatik, mit erschütternder Selbstverständlichkeit.

Eine positive Überraschung ist Lise Lindstrom als Marie, als Hochdramatische mit dem gesanglichen Teil nicht überfordert, vom Regisseur zu einer überzeugenden Charakterstudie geführt. Die hüftenwackelnde Sinnlichkeit, die man der Marie immer wieder gegeben hat, fehlt völlig, da ist alles fast müde Resignation, kein Aufbegehren, eine Tragik, die ans Herz geht.

Exzellent die Nebenrollen: John Daszak mit dem geforderten schrillen Tenor als lustvoll sadistischer Hauptmann, Stefan Cerny mit seinem schwarzen Baß als jener Doktor, der alle KZ-Ärzte mit ihren interessierten Experimenten an Menschen voraus nimmt, Aleš Briscein als Tambourmajor, der hier nicht mit schmucker Uniform, nur mal mit nacktem Oberkörper angeben kann und einfach ein mieses Stück Mensch und Mann ist. Benjamin Hulett ist der schlichte Andres, der nicht viel begreift, Erik Årman der blutüberströmt wankende Narr, Juliette Mars die auch recht zynische Margret.

Der Arnold Schoenberg Chor (geleitet von Erwin Ortner) und vor allem die Wiener Symphoniker unter Leo Hussain leisteten Beeindruckendes, hier zog das Orchester – die Lautstärke gelegentlich bis zum Exzess ausreizend – mit Bergs genial-quälender Partitur noch eine Metaebene ins Geschehen ein, immer war die Schmerzlichkeit des Geschehens nicht nur in der Szene, sondern auch in der Musik.

Dennoch ist der „Wozzck“ keine Lieblingsoper der Wiener (nicht nur, weil sich gerade eine Handvoll Leute am Stehplatz eingefunden hatten): Der Beifall war anerkennend, aber sehr kurz. Dann herrschte die Tendenz, vor dem bedrückenden Geschehen, dessen Zeuge man war, möglichst schnell zu flüchten…

Renate Wagner

 

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