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WIEN/ Theater an der Wien: WEIHNACHTSORATORIUM I-VI – Ballett von John Neumeier mit Musik von J. S. Bach

TadW Johann Sebastian Bach/John Neumeier WEIHNACHTS-ORATORIUM I-VI 18.12. 2014(Premiere am 17.12.)

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Foto: Holger Badekow

Was wäre Weihnachten, die beschaulichste Zeit des Jahres, die zum Rückbesinnen auf die Heilsgeschichte geradezu einlädt, ohne Bachs Weihnachtsoratorium? „Jauchzet, frohlocket“, der alles überstrahlende Eingangschor, der am Ende des Abends folgerichtig wieder aufgegriffen wird, vermittelt uns Zuhörern die Hoffnung auf einstige Erlösung und dieses lodernde Feuer, das Bach so genial in uns entfacht, hält an bis zum Ende des Oratoriums, wo wir wieder in unser eigenes weniger beschauliches Leben entlassen werden.

Der Choreograph John Neumeier hat sich nach seiner Auseinandersetzung mit Bachs Matthäuspassion (1980/812) und den ersten drei Kantaten des Weihnachtsoratoriums (2007) nun der Kantaten IV bis VI choreographisch angenommen und das gesamte Oratorium zu einem stimmigen, harmonischen Ganzen verwoben, das 2013 seine Uraufführung in Hamburg erlebte. Er schuf auch die Kostüme und zeichnete für die sensible Lichtregie verantwortlich.

Drei Stunden Länge können schon ermüden, aber nicht bei Neumeier! Die ausdrucksstarke Körpersprache seines Ensembles lässt jede menschliche und seelische Regung und Stimmung plastisch werden und lotet dabei alle Affekte geschickt aus. Natürlich finden sich in seiner Tanzsprache Elemente des klassischen Balletts, diese dienen aber lediglich als Basis seiner eigenen Ausdrucksmittel, seiner eigenen Sprache, die den Zuseher geradezu hypnotisch in ihren Bann zieht.

Bachs Bericht über die Geburt Jesu nach den Evangelien der Apostel Matthäus und Lukas werden von Neumeier geschickt in die Gegenwart versetzt. Es geht nicht mehr um eine Heilsgeschichte, sondern im Zentrum stehen die vielgestaltigen menschlichen und zwischenmenschlichen Beziehungen in all ihren Spielarten. Menschen sind in Bewegung, auf der Reise oder auch auf der Flucht, mit den unseligen Koffern, die sich nun schon seit Generationen als nicht weg zu denkender Topos in der Regie/Choreographie etabliert zu haben scheint. Eine Mutter (Maria), in Erwartung ihrer Niederkunft, und ihr Mann (Joseph) sind auf der Flucht vor dem König (Herodes der Große). Ein anderer Mann mit Wollhaube fungiert gleichsam als „Fluchthelfer“. Wir sind mit dieser brisanten Interpretation im Hier und Heute angekommen. Mit äußerst schwierigen Schrittfolgen bei den rasanten Teilen des Oratoriums, atemberaubenden, geradezu athletischen Hebungen und dann wieder humorvollen ineinander und übereinander Verschlingungen der Körper, fesselt Neumeier das voyeuristische Auge des Betrachters. Wohlgeformte Körper entfesseln männliche Kraft und weibliche Grazie.

Weihnachtsorator
Foto: Holger Badekow

Anna Laudere wirkte barfuß tanzend als Die Mutter (Maria)in blassblauem Kleidchen äußerst fragil. Carsten Jung war Ihr besorgter Mann (Joseph). Als  Beobachter dieser transponierten Heilsgeschichte aus der Distanz heraus fungierte Lloyd Riggins (Ein Mann), der sich bald zum Fluchthelfer wandelt um am Ende des Oratoriums mit der Schar jubilierender Engel wie Fred Astaire zu steppen.

In grünen, roten und blauen Sarouel Haremshosen sind die drei Weisen aus dem Morgenland gekleidet: Marc Jubete, Florian Pohl und Thomas Stuhrmann, Letzterer mit Sonnenbrille, führen eine weniger andächtige wie ehrfurchtsgebietende morgenländische Entourage vor. Das Engelspaar Silvia Azzoni und Alexandr Trusch soll durch ihren gefühlvollen Tanz wohl an den Ursprung dieses christlichen Topos erinnern.

Mit Tangoelementen ausgestattet hat Neumeier den bösen König (Herodes der Große), selbstverliebt getanzt von Dario Franconi.

Karen Azatyan interpretierte den Hirten und Winnie Dias, Mayo Arii und Christopher Evans das Echo.

Die Bühne von Ferdinand Wögerbauer ist nur karg ausgestattet. Auf ihr darf ein Straßenkehrer (Vladimir Kocić) immer wieder für das tanzende Ensemble hinderlichen Müll beiseite räumen.

Die Namen der Choristen, die diese Bezeichnung eigentlich nicht verdienen, denn sie alle wirken in dieser Meisterchoreographie wie Solistinnen und Solisten, werden im Programmheft allesamt angeführt und müssen leider an dieser Stelle aus Platzgründen eingespart werden. Ihnen allen gebührt aber Standing Ovation für ihre exemplarische Interpretation.

Wermutstropfen bei den singenden Solisten: Der Tenor und Evangelist von Andrew Tortise hörte sich leider furchtbar heiser an und auch der Sopran von Lenneke Ruiten war hörbar schrill in der Höhe. Hervorragend aber der Bass von André Schuen sowie der warme, einschmeichelnde Alt von Ann Beth-Solvang.

Prächtig wie immer der von Erwin Ortner geleitete Arnold Schoenberg Chor. Als Dirigent des Wiener KammerOrchesters gelangen dem hauptberuflichen Chordirigenten natürlich mehr die Passagen des Chores. Hier entfesselte er ein wahres Feuer, während die übrigen Teile des Oratoriums eher durchhingen und musikalisch gesehen nur wenig Leuchtfeuer entfachen konnten. Schade!

Obwohl einige Sitze nach der Pause entvölkert waren spendete der verbliebene Teil des Publikums am Ende doch großen Applaus und begeisterte Bravorufe für John Neumeier!                                                               

Harald Lacina

 

 

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