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WIEN / Theater an der Wien / via „Fidelio“: SAUL

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Alle Fotos: Theater an der Wien © Monika Rittershaus

WIEN / Theater an der Wien / Stream via „Fidelio“:
SAUL von Georg Friedrich Händel
8. Mai 2021

Eine Spielzeit noch, dann wird sich an zweien der drei großen Opernhäuser Wiens Entscheidendes ändern. Im Herbst 2022 folgen in der Volksoper Lotte de Beer auf Robert Meyer und im Theater an der Wien Stefan Herheim auf Roland Geyer. Letztgenannter hat schon in dieser seiner vorletzten Saison (noch ohne zu ahnen, welche Katastrophen hereinbrechen würden) „Rückblicke“ auf seine größten Erfolge geplant. Das waren der herrliche „Platée“ von Regisseur Robert Carsen, und die überraschend spannende Geschichte, die Regisseur Claus Guth aus Georg Friedrich Händels englischsprachigem Oratorium (nicht Oper!) „Saul“ gemacht hat.

Corona wollte der Theaterwelt Übles, aber es wäre sinnlos, die Tatsache des digitalen Zeitalters nicht ersatzweise für das versagte „Live“ zu nutzen, was auch noch den Vorzug hat, dass bemerkenswerte Aufführungen solcherart aufgezeichnet wurden und auch in Jahren noch überprüft werden können. Das gilt auch für „Saul“, Händels Oratorium von 1739, das man aus der Distanz von drei Jahren wieder aufnehmen und in den vier Hauptrollen gleich besetzen konnte (die weiteren vier Sänger sind neu).

Man hat Claus Guth selten als „temperamentvollen“ Regisseur erlebt, aber er wusste, dass er über seinen Schatten der gemäßigten Zimmer-Stücke springen musste, wenn er ein Oratorium zu einem genuinen Theater-, nein Opernabend machen will. Und so geht es nicht nur darum, dass – wie es die fromme Geschichte will – König Saul von König David abgelöst wird, was ihm heiligen Schrecken verursacht, sondern da wird auch eine Menge Aktion in die Familiengeschichte (Saul hat immerhin drei persönlichkeitsstarke Kinder) und die leidenschaftlichen Gefühle investiert, ob sie sich um Liebe oder um Macht (bzw. in Sauls Fall um Machtverlust) drehen. Guth inszeniert vor allem in den Chorszenen (Arnold Schoenberg Chor, geleitet von Erwin Ortner)  einsichtig stilisiert, aber in den Protagonisten immer psychologisch nachvollziehbar.

Nun kann man den Sängern mit den Kameras auch näher auf den Leib rücken (rätselhaft blieb allerdings, warum das Signet „Händel, Saul 8.6., 20.00 Uhr“ den ganzen Abend im Bild eingeblendet bleiben musste), und das gab einige spannende Bilder bei aller Schlichtheit der Szene (Ausstattung wie immer bei Guth: Christian Schmidt), wenn auch die Handlung nicht in allen Details gänzlich durchschaubar war. Was man bei einem Oratorium, das man sonst nur vorgesungen bekäme, eher wegsteckt als bei wohl bekannten und dann verballhornten Opernhandlungen.

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Sehr viel Drive erfuhr der Abend von der musikalischen Seite, wobei diesmal Christopher Moulds das Freiburger Barockorchester leitete und gewaltig aufheizte, ohne langsame oder pastose Passagen zu vernachlässigen. Fast noch dramatischer, als man ihn ohnedies in Erinnerung hatte, wirkte Florian Boesch in der Titelrolle, ein Saul, der seine Verwirrung und Verzweiflung darstellerisch und gesanglich unter die Haut gehen ließ, kämpfend und dann (im wahrsten Wortsinn, am umgekippten Sessel) gestürzt. Ein in jeder Hinsicht machtvoller Mann, dem der zarte David des Countertenors Jake Arditti als perfekter Kontrast gegenüber steht. Man versteht auch, dass er ein Objekt der Begierde für alle Beteiligten (letztlich auch für das Volk) darstellt.

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Als die beiden sehr unterschiedlichen Töchter des Geschehens bekommen Anna Prohaska und Giulia Semenzato wie anno dazumal bestens genützte Möglichkeiten, wobei sich in Gestalt von Rupert Charlesworth ein neuer, eindrucksvoller Bruder Jonathan zu ihnen gesellte.

Die klare, vergleichsweise schmucklose Gesangslinie, die das Oratorium von der sonstigen Händel’schen Virtuosenoper abgrenzt, hat es möglich gemacht, weit eher als bei der üblichen Haupt- und Staatsaktion eine dennoch hoch dramatische Menschen-Geschichte zu erzählen, durchaus mit der politischen Implikation des Machtübergangs, ohne dass einem irgendeine „Lehre“ aufs Auge gedrückt worden wäre.

Gäbe es Publikum, es hätte so gejubelt wie vor drei Jahren.

Renate Wagner

 

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