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WIEN / Theater an der Wien / via „Fidelio“: DER FEURIGE ENGEL

theater an der wien feuriger engel
Alle Fotos: Theater an der Wien / Bernd Uhlig

WIEN / Theater an der Wien / Stream via „Fidelio“:
DER FEURIGE ENGEL von Sergej Prokofjew
1.Mai 2021

Mitte März aufgezeichnet, gab es in diesem Fall auch schon Rezensionen. Wer sich als „Normalpublikm“ vor dem ORF-Klassik-Sender „Fidelio“ einfand, um die Aufführung von Prokofjews „Der feurige Engel“ aus dem Theater an der Wien zu sehen, wusste also schon, was ihn erwartet. Die Geschichte, die im deutschen Mittelalter spielt (und in der auch Faust und Mephisto in Nebenrollen vorkommen..), wurde von Regisseurin Andrea Breth in ein Irrenhaus verlegt. Kein Milieu darüber hinaus, kaum Szenenwechsel, auswegloser Horror des permanenten Eingeschlossenseins.

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Allerdings hat Sergej Prokofjev vor rund hundert Jahren den Roman „Der feurige Engel“ von Waleri Brjussow nicht zuletzt deshalb gewählt (und selbst in ein Libretto geformt), weil ihn das Thema Wahn und Magie fasziniert hat – und von da sind es ja nur ein paar Schritte zum Irrenhaus. Zwar wechseln Gitter und Gestänge (Bühnenbild: Martin Zehetgruber, Insassen- und Ärztekleidung: Carla Teti) nur geringfügig, aber wenn man auf „Milieu“ verzichtet, ist die Geschichte von den Wahnvorstellungen der Renata hier nicht schlecht aufgehoben. Was sie Ruprecht da an ihrer Geschichte zumutet, findet a priori mit den hektischen Aktionen einer Wahnsinnigen (oder wie man sich eine solche eben vorstellt) statt.

Details der ursprünglichen Handlung erkennt allerdings nur jener, der mit dem Werk wohl vertraut ist, denn die „Fidelio“-Aufzeichnung blieb zum russischen Text die deutschen Untertitel schuldig. Und dass sich sein Werk mit der abstrusen Problematik der irrationalen Wahrnehmungen schwer verkaufen lässt (bis heute), das erlebte schon Prokofiev selbst, der zu seinen Lebzeiten keinen Ort für die Uraufführung fand. Nach seinem Tod endlich gespielt, gehört „Der feurige Engel“ trotz seiner musikalischen Qualitäten bis heute nicht eben zu den populären Werken des Repertoires.

Was spielt sich nun konkret handlungsmäßig in der Psychiatrie ab, wo Figuren ihren Charakter verloren haben, zusammen gezogen werden und dann doch nur Ärzte oder Patienten sind? Dazu reizt Regisseurin Andrea Breth die Welt, zu der sie sich entschlossen hat, zusätzlich aus – da liegen Leichen herum, die gelegentlich gewaschen werden, es wird geprügelt und gequält, da gibt es gänsehaut-schaurig experimentierende Ärzte… Der in diesem Rahmen neu strukturierten Handlung vermag man nicht immer zu folgen, wohl aber zumindest dem Schicksal der Hauptfiguren.

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Renata ist als flirrendes Geschöpf gedacht, das in seinen Wahn- und Zwangsvorstellungen lebt, die teils religiös, teils erotisch bedingt sind, und die ihre Mitwelt mit sich ins Unglück reißt. In Gestalt von Aušrinė Stundytė ist sie vor allem eine bemitleidenswerte Kranke, weniger irrlichternd als leidend, rührend, wenn sie verzweifelt mit ihrem Teddybären spielt. Sie hätte es als Figur leichter, wäre sie Außenseiterin und nicht, wie hier, Insassin unter vielen und dazu verurteilt, meist verzweifelt herumzukriechen. Die erotische Komponente des Originals geht ganz verloren. Aušrinė Stundytė singt ihre Qualen mit einem eher leichten als hochdramatischen Sopran und wird als leidende Tragödin, nicht als rätselhafte Femme fatale in Erinnerung bleiben.

Ruprecht ist weniger ein Retter als auch ein Verrückter, der sich adäquat verhält: Bo Skovhus, kahl geschoren, bringt mit kernigem Bariton seinen Teil an persönlicher Unheimlichkeit in die Geschichte mit. In ihren Verzweiflungsausbrüchen bleiben er und seine Partnerin einander nichts schuldig.

Der Rest der Besetzung irrlichtert als Groteskfiguren durch das Geschehen (unüberhörbar der bekannt harte Tenor von Nikolai Schukoff). Am Ende gibt es statt eines Klosters einen überaus eindrucksvollen, hoch gebauten Spitalsbetten-Turm, wo die „Nonnen“, die keine sind, sondern Irre, herumturnen (es sind die Damen des Arnold Schoenberg Chors).

Ist man szenisch an diesem Irrenhaus-Abend ein wenig allein gelassen, was die ursprüngliche Handlung dieser Oper betrifft, so besticht der musikalische Teil sowohl durch die Hauptdarsteller wie durch Constantin Trinks am Pult des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien, indem er die Musik in ihren ganzen Effekten und Klangfarben ausreizt. Allein, die Verzweiflung, die der Komponist immer wieder in Klänge gesetzt hat, geht enorm unter die Haut.

Wer gerne vergleicht, welche Möglichkeiten in einem Werk wohnen und was Regiekonzepte vermögen, kann bei YouTube die russische Version aus dem Marinskij Theater (Co-Produktiion mit Covent Garden) sehen. Wie ganz anders erscheint die Geschichte, wenn das Irrationale in eine reale Welt einbricht.

Renate Wagner

 

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