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WIEN/ Theater an der Wien: TITO MANLIO von Antonio Vivaldi – konzertant

18.10.2012 | KRITIKEN, Oper

Theater an der Wien: „Tito Manlio“ von Antonio Vivaldi (konzertante Aufführung: 17. 10. 2012)

 Im konzertanten Aufführungsprogramm des Theaters an der Wien spielt in jedem Jahr der für das Wiener Musikleben der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bedeutende Komponist Antonio Vivaldi (geb. 1678 in Venedig – gest. 1741 in Wien) eine große Rolle. Nun wurde die nur wenig bekannte Oper „Tito Manlio“, die Vivaldi in angeblich nur fünf Tagen in Mantua, wo er von 1718 bis 1720 als Hofkapellmeister tätig war, komponierte. Es war eine Auftragsarbeit für die geplante Hochzeit von Philipp von Hessen-Darmstadt, die allerdings nie stattfand. Dennoch kam es 1719 zur Uraufführung des Werks im Teatro Arciducale in Mantua.

Die Handlung der Oper in drei Akten, deren Libretto Matteo Noris verfasste, fußt auf eine überlieferte Begebenheit der römischen Geschichte. Im Jahr 340 v. Chr. schlug er in der Schlacht bei Trifanum die Latiner, die zwar in den römischen Legionen dienen durften, aber keine Mitbestimmungsrechte hatten. Im Anschluss an den Sieg soll er seinen gleichnamigen Sohn zum Tode verurteilt haben, weil er einen Befehl seines Vaters missachtete und auf einem Erkundungsritt eine Gruppe Römer verspottende Latiner tötete. Um den Gehorsam seines Heeres zu erhalten, ließ er seinen Sohn enthaupten. Nach diesem Ereignis wurden die in Rom verhassten Manlischen Zuchtbefehle benannt.

In Vivaldis Oper verlaufen die Fronten zwischen den beiden Lagern recht unübersichtlich, da selbst die Kinder des Konsuls Tito Manlio amouröse Beziehungen mit Latinern unterhalten. Sein Sohn hat Servilia die Ehe versprochen, seine Tochter Vitellia ist heimlich mit Geminio, dem Anführer der aufständischen Latiner, verlobt. Für Konflikte ist also vorgesorgt. Als Geminio Manlio provoziert, wird er von ihm mit dem Schwert getötet, worauf der Konsul seinen Sohn zum Tod verurteilt. Es kommt zu dramatischen Verwicklungen: Der Latiner Lucio, der neue Anführer der Latiner, begehrt Vitellia, die als Beweis seiner Liebe den abgeschlagenen Kopf ihres Bruders fordert. Manlio bittet seinen Vater Tito, sich nach seinem Tod um Servilia zu kümmern. Tito verspricht ihm, Servilia zu heiraten, was diese empört ablehnt und den Tod ersehnt. Als sich Manlio auf dem Weg zur Hinrichtungsstätte von Vitellia verabschiedet, wird sie von schwesterlichen Gefühlen überwältigt und fällt ihrem Bruder weinend in die Arme. Plötzlich bricht in der Stadt ein Tumult aus – der römische Offizier Decio krönt Manlio mit dem Siegeslorbeerkranz. Große Versöhnung am Schluss: Tito beugt sich dem Willen des Volks und gibt seinem Sohn Servilia zur Frau – und Vitellia reicht Lucio ihre Hand, worauf der latinische Aufstand beendet ist. Freude und Glück erfüllen Rom. Happyend, wie in barocken Opern üblich, auf allen Linien.

Wie fast immer wartete das Theater an der Wien mit einer erstklassigen Besetzung des Ensembles auf, dessen sängerische Leistungen vom Publikum der gut besuchten, aber nicht ausverkauften Vorstellung des Öfteren mit Szenenapplaus honoriert wurden. Die Titelrolle stattete der italienische Bassbariton Sergio Foresti mit seiner kräftigen Stimme aus, die er in den dramatischen Szenen noch zu forcieren wusste. Als sein Sohn Manlio blieb die katalanische Sopranistin Maria Hinojosa Montenegro anfangs ein wenig blass, steigerte sich jedoch von Akt zu Akt. Warum sie als einzige der Sängerinnen in den Hosenrollen ihre Lippen rot bemalt hatte, blieb ihr Geheimnis. Mit einer besonders eindrucksvollen Leistung wartete die französische Mezzosopranistin Delphine Galou als Vitellia auf. Obwohl sie sich vor der Vorstellung von Intendant Roland Geyer als leicht indisponiert ansagen ließ, war davon nicht zu bemerken. In ihrer Körpersprache eine stolze Römerin vom Scheitel bis zur Sohle, versuchte sie nicht nur jeden ihrer stimmlich ausgefeilten Gesangsauftritte auch schauspielerisch darzustellen, sondern begleitete auch die anderen Sängerinnen und Sänger mit einer „sprechenden“ Mimik, wie man sie noch selten bei konzertanten Aufführungen gesehen hat. Ihr gebührt für diese Leistung ein besonderes „Brava“!

Schauspielerisch fast noch exponierter gab sich der italienische Bariton Bruno Taddia, der als Vitellias Diener Lindo seine Gesangsauftritte mit köstlichem Komödienspiel würzte, wie man sie von ihm von den Rossini-Festspielen in Pesaro bestens kennt. Das Publikum reagierte – wie nicht anders zu erwarten war – begeistert. Ebenso angetan zeigte es sich von der italienischen Sopranistin Roberta Invernizzi, die in der Hosenrolle des Lucio mit ihrer exzellenten und sehr wandlungsfähigen Stimme zu begeistern wusste und immer wieder verdientermaßen „Brava“-Rufe einheimste.

Sehr einfühlsam sang die kroatische Mezzosopranistin Marina de Liso die Rolle der Servilia. Besonders eindrucksvoll gelang es ihr, ihre von Trauer und Wehmut bestimmten Gefühle wiederzugeben. Auch sie wurde stets mit Szenenbeifall belohnt. Mit ihrem wohlklingenden Mezzosopran füllte die Italienerin Milena Storti die Hosenrolle des römischen Offiziers Decio aus. In der nur kurzen Rolle des Geminio war der italienische Tenor Anicio Zorzi Giustiniani zu hören.

Das Orchester Accademia Bizantina wurde von seinem musikalischen Leiter Ottavio Dantone äußerst gestenreich dirigiert, der sich seit Jahren der Wiederentdeckung in Vergessenheit geratenen Opern widmet. Mit welcher Inbrunst und Leidenschaft er das mit seinem Orchester bewerkstelligt, war auch in dieser konzertanten Aufführung zu spüren, in der die Virtuosität der ausgefeilten Partitur Vivaldis wunderbar wiedergegen wurde. Das begeisterte Publikum belohnte den exzellenten Hörgenuss mit frenetischem Beifall und vielen „Bravo“-Rufen.

Udo Pacolt. Wien – München

 

 

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