WIEN / Theater an der Wien:
THEODORA von Georg Friedrich Händel
Konzertante Aufführung in englischer Sprache
18.November 2021
Eine absolut luxusbesetzte Tournee-Aufführung machte im Theater an der Wien Halt und füllte das Haus bis hinauf zu den Stehplätzen. (Es war übrigens der letzte Abend, an dem Geimpfte und Genesene ins Theater gehen konnten, ohne zusätzlich ein negatives Covid-Testergebnis vorzulegen.)
Die Namen Joyce DiDonato vor allem, aber auch Lisette Oropesa und Michael Spyres zählen zur A-Klasse der Opernwelt, und man hört sie nicht jeden Tag live. Sie lockten auch in ein Händel-Oratorium wie „Theodora“, das wohl zurecht wenig gespielt wird – schon bei der Uraufführung 1750 hat sich der Misserfolg erklärt.
Dafür gibt es ein paar gute Gründe. Zwar waren die Oratorien Händels (ungeachtet dessen, dass wir sie mittlerweile „spielen“) nicht als Bühnengeschehen gedacht, mussten also inhaltlich nicht so farbig sein wie seine Römer- oder Helden-Opern. Aber musikalisch erwarteten die Zeitgenossen (und, ehrlich gesagt, erwarten auch noch wir heute) den schönen Händelschen Barock-Bombast, der aus der Musik kommt.
Aber „Theodora“ ist eine unendlich fromme Heiligengeschichte, die der Komponist – durchaus im Sinne des Librettos – vor allem in Moll-Tönen gehalten hat, nur der reichlich eingesetzte Chor darf gelegentlich etwas Temperament und Glanz entfalten. Sonst sind die Arien der fünf Protagonisten, wenn man genau hinhört, zwar raffiniert und schwierig, aber in den seltensten Fällen überaus effektvoll.
Und die Handlung von der standhaften Christin Theodora, die zur Zeit der Christenverfolgungen Diokletians nicht bereit war, ihrem Glauben abzuschwören? Da war man doch glückliche Wendungen am Ende (mit entsprechendem Jubelton) gewöhnt und nicht das auch musikalische Verdämmern der braven Heldin, die ungerettet mit ihrem Getreuen in den Tod geht…
Nun leben wir nicht im 18. Jahrhundert, wir sind ein neues Publikum für Händels durchaus mutigen Versuch, dem barocken Pomp etwas abzuschwören. Wir sollten doch etwas daran finden. Aber so richtig überzeugt das brave Werk nicht. Was natürlich gegenstandslos wird, wenn man sich an die Besetzung dieses Abends hält, denOrchester „Il pomo d’oro“ (sie klingen, wie alte Instrumente klingen) unter der Leitung des Russen Maxim Emelyanychev mit so viel Verve wie nur möglich begleitete.
Lisette Oropesa, schwarze Locken, grau-silbriges Abendkleid, sang die Titelrolle. Sie hat mit ihrem Strahle-Sopran als Konstanze in der Wiener Staatoper die Herzen des Publikums im Sturm erobert. Hier muss sie die „Tugendboldin“ (wie man Händels Heldin bezeichnet hat) interessant machen. Sie tut es so weit wie möglich mit Stimme, Technik und lebhaftem Minenspiel, dessen sich auch alle anderen Sänger bedienen: Wenn man das Ganze schon nicht spielen darf (das Programmheft kündigt allerdings eine szenische Aufführung mit dieser Besetzung irgendwann irgendwo an), dann muss man doch wenigstens zeigen, wie man fühlt und leidet. Leidet vor allem, denn Theodora wird verfolgt, soll zur Prostitution gezwungen werden, will das Opfer des Didymus, der sie retten möchte, nicht annehmen… kurz, selbst wenn man den englischen Text nicht mitliest, weiß man doch nach der Inhaltsangabe worum es geht. Tragisch.
Star des Abends war natürlich Joyce DiDonato, grandiose Dido an der Wiener Staatsoper, aber als Händel-Sängerin am Olymp mit ihrer Agrippina an der Met (Gott segne das Kino, das einen solches miterleben ließ). Nun ist die Irene, Theodoras edle Gefährtin, alles andere als die Hauptrolle, aber sie hat fast so viele Arien wie diese und muss vor allem mit dem Chor (der Christen) interagieren. Im beige-goldenen Kleid, sehr blond (man kennt ihre Vorliebe für leicht shräge Frisuren), sang sich Joyce DiDonato durch alle Register, wie man es von ihr kennt. Sie „kann“ Sopran ebenso wie Mezzo (obwohl die Stimme nicht sehr dunkel ist), vor allem aber kann sie virtuose Technik – und lässt es hören. Wie sie ihre Arien behandelte, da stockte den Zuhörern teilweise der Atem, und die „Brava“-Rufe begleiteten sie den ganzen Abend lang.
Held der Geschichte ist diesmal nicht der Tenor, sondern der Counter-Tenor, die gute Seele des Geschehens: Mit Inbrunst kämpfte Paul-Antoine Bénos-Djian als Didymus für Theodora, so leidenschaftlich und ergreifend, dass man auch hinnahm, wenn sich seine hohen Töne gelegentlich arg in die Ohren bohrten.
Auch als Virtuose seiner Zunft erwies sich Michael Spyres in der nicht ganz so ergiebigen Rolle des Septimius, an sich ein „Böser“, der am Ende allerdings von dem Edelmut der Christin sehr ergriffen ist. Spyres hat eine sehr schöne Stimme und setzt sie nach allen Regeln der Kunst ein, etwa wenn ihm im Laufe seiner Arie ganze Läufe von Vokalisen abverlangt werden (auf Koloraturen hat Händel in diesem Werk weitestgehend verzichtet).
Damit es noch eine dunkle Stimme gibt, ist Valens als römischer Statthalter in Antiochia aufgeboten, auch kein Guter, wozu der raue, starke, durchschlagskräftige Bariton von John Chest bestens passte. Und eine exzellente Leistung lieferten die 16 Damen und Herren des Chores „Il pomo d’oro“.
Nach 3 Stunden 40 Minuten war das Publikum noch frisch genug, das Ensemble heftig zu bejubeln. Als ich heimkam, las ich im Internet, dass das Test-System am Zusammenbrechen ist. Wer weiß, wann man wieder ins Theater oder in die Oper kommt…
Renate Wagner
Foto Joyce DiDonato: Website Theater an der Wien